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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Der Krieg von ^366 und seine Folgen

Frankreich abhängig gewesen ist, so erscheint ihnen die Abhängigkeit von Frank¬
reich als der normale und rechtmäßige Zustand Italiens. Es fällt ihnen gar
nicht ein, selbständig sein zu wollen. Der Gedanke, sich von Frankreich frei
zu machen, würde von ihnen als völlig albern ohne jede Erörterung ab¬
gewiesen werden. So betrachten sie denn unter allen Bedingungen das Ver¬
hältnis Italiens zu Frankreich als das Eigentliche, Bleibende, die Beziehungen
zu Preußen dagegen als zufällig und vorübergehend, und es versteht sich von
selbst, daß die Rücksicht auf Frankreich immer und auch dafür maßgebend
bleibt, wie weit man in den Beziehungen zu Preußen gehen kann. Ferner
klebt ihnen auch in Beziehung auf Politik die Beschränktheit an, die in Klein¬
stanten heimisch ist und aus den Verhältnissen eines Staates dritten Ranges
natürlich genug hervorgeht. Piemont vermochte der Natur der Sache nach
nichts über die großen, allgemeinen europäischen Verhältnisse und hatte bei
den Händeln der Großmächte unter sich immer nur zu erwägen, wie es wohl,
indem es sich der einen oder der andern Partei anschloß, irgend einen aller¬
nächsten kleinen Vorteil erlangen könnte. Aus dieser Art, die Dinge zu be¬
trachten, können nun einmal Leute wie La Marmora nicht heraus. So hat
er auch dieses mal lediglich die Erwerbung Vcneticns im Sinn; wenn man
das erwirbt -- gleichviel auf welche Weise --, vorausgesetzt, daß mau da¬
durch das Verhältnis zu Frankreich nicht verdirbt: dann hat sich Italien nicht
darum zu kümmern, was sonst noch in Europa vorgeht; das mögen die Gro߬
mächte unter sich ausmachen; Italien mischt sich nicht in bedenkliche Händel,
die sich nicht gut übersehen lassen."

Wie vollständig La Marmora in dem Gedanken der Abhängigkeit von
Frankreich befangen war, zeigte sich aufs deutlichste bei der Unterredung, die
Bernhardt am 10. Juli mit ihm hatte. "Bismarck, sagte er dabei, hat an¬
gefragt, ob Preußen im Falle eines Krieges mit Frankreich auf Italien rechnen
könne; diese Frage bespricht La Marmora dann wie die aberwitzige Frage
eines Verrückten, als ob es vollends unsinnig wäre, eine solche Frage über¬
haupt nur auszustellen: in dem Vertrage, ruft er aus, sieht kein Wort von
Frankreich; ein Krieg mit Frankreich ist für uns ganz unmöglich!"

Andrerseits verhehlt sich Bernhardt keineswegs, daß. auch abgesehen von
dem unbegreiflichen Zögern nach der Schlacht bei Custozzci, Anzeichen vorlagen,
die allerdings den Verdacht des Verrath sehr nahe legten. So hatte der
Admiral Perscmo von der Negierung den Befehl erhalten, die Eisenbahn bei
Triest zu zerstören und die österreichische Flotte im Hafen von Pola zu
blockiren: er that keins von beiden, weil er von La Marmora den geheimen
Befehl erhalten hatte, weder Triest noch die dalmatische Küste zu berühren,
da Frankreich und England dagegen waren!

In diesen Zusammenhang gehört auch eine Betrachtung von König Victor
Emanuels Verhältnis zu La Marmora. Der König hält La Marmora sür


Der Krieg von ^366 und seine Folgen

Frankreich abhängig gewesen ist, so erscheint ihnen die Abhängigkeit von Frank¬
reich als der normale und rechtmäßige Zustand Italiens. Es fällt ihnen gar
nicht ein, selbständig sein zu wollen. Der Gedanke, sich von Frankreich frei
zu machen, würde von ihnen als völlig albern ohne jede Erörterung ab¬
gewiesen werden. So betrachten sie denn unter allen Bedingungen das Ver¬
hältnis Italiens zu Frankreich als das Eigentliche, Bleibende, die Beziehungen
zu Preußen dagegen als zufällig und vorübergehend, und es versteht sich von
selbst, daß die Rücksicht auf Frankreich immer und auch dafür maßgebend
bleibt, wie weit man in den Beziehungen zu Preußen gehen kann. Ferner
klebt ihnen auch in Beziehung auf Politik die Beschränktheit an, die in Klein¬
stanten heimisch ist und aus den Verhältnissen eines Staates dritten Ranges
natürlich genug hervorgeht. Piemont vermochte der Natur der Sache nach
nichts über die großen, allgemeinen europäischen Verhältnisse und hatte bei
den Händeln der Großmächte unter sich immer nur zu erwägen, wie es wohl,
indem es sich der einen oder der andern Partei anschloß, irgend einen aller¬
nächsten kleinen Vorteil erlangen könnte. Aus dieser Art, die Dinge zu be¬
trachten, können nun einmal Leute wie La Marmora nicht heraus. So hat
er auch dieses mal lediglich die Erwerbung Vcneticns im Sinn; wenn man
das erwirbt — gleichviel auf welche Weise —, vorausgesetzt, daß mau da¬
durch das Verhältnis zu Frankreich nicht verdirbt: dann hat sich Italien nicht
darum zu kümmern, was sonst noch in Europa vorgeht; das mögen die Gro߬
mächte unter sich ausmachen; Italien mischt sich nicht in bedenkliche Händel,
die sich nicht gut übersehen lassen."

Wie vollständig La Marmora in dem Gedanken der Abhängigkeit von
Frankreich befangen war, zeigte sich aufs deutlichste bei der Unterredung, die
Bernhardt am 10. Juli mit ihm hatte. „Bismarck, sagte er dabei, hat an¬
gefragt, ob Preußen im Falle eines Krieges mit Frankreich auf Italien rechnen
könne; diese Frage bespricht La Marmora dann wie die aberwitzige Frage
eines Verrückten, als ob es vollends unsinnig wäre, eine solche Frage über¬
haupt nur auszustellen: in dem Vertrage, ruft er aus, sieht kein Wort von
Frankreich; ein Krieg mit Frankreich ist für uns ganz unmöglich!"

Andrerseits verhehlt sich Bernhardt keineswegs, daß. auch abgesehen von
dem unbegreiflichen Zögern nach der Schlacht bei Custozzci, Anzeichen vorlagen,
die allerdings den Verdacht des Verrath sehr nahe legten. So hatte der
Admiral Perscmo von der Negierung den Befehl erhalten, die Eisenbahn bei
Triest zu zerstören und die österreichische Flotte im Hafen von Pola zu
blockiren: er that keins von beiden, weil er von La Marmora den geheimen
Befehl erhalten hatte, weder Triest noch die dalmatische Küste zu berühren,
da Frankreich und England dagegen waren!

In diesen Zusammenhang gehört auch eine Betrachtung von König Victor
Emanuels Verhältnis zu La Marmora. Der König hält La Marmora sür


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[0184] Der Krieg von ^366 und seine Folgen Frankreich abhängig gewesen ist, so erscheint ihnen die Abhängigkeit von Frank¬ reich als der normale und rechtmäßige Zustand Italiens. Es fällt ihnen gar nicht ein, selbständig sein zu wollen. Der Gedanke, sich von Frankreich frei zu machen, würde von ihnen als völlig albern ohne jede Erörterung ab¬ gewiesen werden. So betrachten sie denn unter allen Bedingungen das Ver¬ hältnis Italiens zu Frankreich als das Eigentliche, Bleibende, die Beziehungen zu Preußen dagegen als zufällig und vorübergehend, und es versteht sich von selbst, daß die Rücksicht auf Frankreich immer und auch dafür maßgebend bleibt, wie weit man in den Beziehungen zu Preußen gehen kann. Ferner klebt ihnen auch in Beziehung auf Politik die Beschränktheit an, die in Klein¬ stanten heimisch ist und aus den Verhältnissen eines Staates dritten Ranges natürlich genug hervorgeht. Piemont vermochte der Natur der Sache nach nichts über die großen, allgemeinen europäischen Verhältnisse und hatte bei den Händeln der Großmächte unter sich immer nur zu erwägen, wie es wohl, indem es sich der einen oder der andern Partei anschloß, irgend einen aller¬ nächsten kleinen Vorteil erlangen könnte. Aus dieser Art, die Dinge zu be¬ trachten, können nun einmal Leute wie La Marmora nicht heraus. So hat er auch dieses mal lediglich die Erwerbung Vcneticns im Sinn; wenn man das erwirbt — gleichviel auf welche Weise —, vorausgesetzt, daß mau da¬ durch das Verhältnis zu Frankreich nicht verdirbt: dann hat sich Italien nicht darum zu kümmern, was sonst noch in Europa vorgeht; das mögen die Gro߬ mächte unter sich ausmachen; Italien mischt sich nicht in bedenkliche Händel, die sich nicht gut übersehen lassen." Wie vollständig La Marmora in dem Gedanken der Abhängigkeit von Frankreich befangen war, zeigte sich aufs deutlichste bei der Unterredung, die Bernhardt am 10. Juli mit ihm hatte. „Bismarck, sagte er dabei, hat an¬ gefragt, ob Preußen im Falle eines Krieges mit Frankreich auf Italien rechnen könne; diese Frage bespricht La Marmora dann wie die aberwitzige Frage eines Verrückten, als ob es vollends unsinnig wäre, eine solche Frage über¬ haupt nur auszustellen: in dem Vertrage, ruft er aus, sieht kein Wort von Frankreich; ein Krieg mit Frankreich ist für uns ganz unmöglich!" Andrerseits verhehlt sich Bernhardt keineswegs, daß. auch abgesehen von dem unbegreiflichen Zögern nach der Schlacht bei Custozzci, Anzeichen vorlagen, die allerdings den Verdacht des Verrath sehr nahe legten. So hatte der Admiral Perscmo von der Negierung den Befehl erhalten, die Eisenbahn bei Triest zu zerstören und die österreichische Flotte im Hafen von Pola zu blockiren: er that keins von beiden, weil er von La Marmora den geheimen Befehl erhalten hatte, weder Triest noch die dalmatische Küste zu berühren, da Frankreich und England dagegen waren! In diesen Zusammenhang gehört auch eine Betrachtung von König Victor Emanuels Verhältnis zu La Marmora. Der König hält La Marmora sür

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/184>, abgerufen am 08.01.2025.