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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das deutsche Dorfwirtshaus

nicht teuer gewesen sein. Ein so interessantes, dabei echt volkstümliches, weil
ganz verständliches Schlachtenbild aus unsern großen Jahren habe ich nie in
einem deutschen Gastzimmer gesehen. Was Wunder, daß sich uns ein Vorsaal
oder Gastzimmer eines Wirtshauses tief einprägt, wo wir alte Ölgemälde
hängen sehen, und seien sie auch bis zur Unkenntlichkeit dunkel geworden.
Zum Glück sind noch nicht alle zum Trödler gewandert.

Das deutsche Bett wird einst auch seinen Geschichtschreiber finden. Ich gebe
hier nur kleine Beiträge zu einer Seite seiner Geschichte. Wenn man das
Bett als eines der beachtenswertesten Geräte des Menschen deshalb bezeichnet
hat, weil er fast die Hälfte aller Stunden seines Lebens darin zubringt, so
erheischt das Wirtshausbett eine doppelt sorgfältige Betrachtung, denn es be¬
herbergt seine Gäste gewöhnlich noch viel länger als das häusliche oder Familien¬
bett. Das Wirtshausbett ist in Deutschland vom Bett des Privathauses vor
allem darin verschieden, daß es ein Einzelbett ist. Während man in Frankreich und
England in städtischen und ländlichen Gasthäusern noch sehr häufig die Doppel¬
betten trifft, die bequem von einem Paar zu benutzen sind, und an Schläfer¬
paare, nicht bloß Ehepaare, zur Not auch an drei Schläfer vermietet werden,
wiegt in Deutschland überall das Einzelbett vor. Es entspricht das ganz der
Entwicklung des deutschen Bettes überhaupt. Das alte Himmelbett ist in
vielen Teilen Deutschlands schon im vorigen Jahrhundert in die Rumpel¬
kammer gewandert, während die Familie in England und Frankreich daran
festhielt. Im ehelichen Schlafgemach ist es dann durch zwei aneinandergerückte
Betten ersetzt worden. Auch zu den Bauern hat sich diese Mode verbreitet. Sie
berühren sich aber auch darin mit der Geburtsaristokratie, daß bei beiden an der
alten Sitte des geräumigen Bettes am zühesten festgehalten worden ist. Das sind
die beiden Stände, bei denen nicht leicht Raummangel eintrat, und die auch
am festesten auf ihrem Boden sitzen geblieben sind. In dem seit dem sieb¬
zehnten Jahrhundert immer mehr verarmenden Kleinbürgertum und den un¬
stete" Beamten- und Offiziersfamilien muß man dagegen den Ursprung des
schmalen, meist auch kurzen, einschläfrigen Bettes suchen, das der Kasernen¬
pritsche am nächsten verwandt ist. Das Minimum hat es in Mitteldeutschland
erreicht, wo Thüringen, Teile von Hessen, Sachsen und Schlesien sowohl in
den Dimensionen als in der Ausstattung des Bettes das Unmögliche an Un¬
bequemlichkeit leisten. Dann schon lieber eine Schütte Stroh!

Als das deutsche Bett von feiner üppigen Fülle verlor und abzumagern
begann, konnte es sich doch nicht entschließen, auf seine hohen Dimensionen
ohne weiteres zu verzichten. Was es an Federn verlor, gewann es an Holz
zurück, indem es sich nun auf die vier Füße stellte, auf denen es sich bis auf
den heutigen Tag fest erhalten hat, trotzdem daß niemand zu sagen weiß,
welchen Wert diese Vierfüßigkeit eigentlich haben soll. Die Unzähligen, die
aus hohen Betten herausgefallen sind, die vielen, die die Schwierigkeit erprobt


Das deutsche Dorfwirtshaus

nicht teuer gewesen sein. Ein so interessantes, dabei echt volkstümliches, weil
ganz verständliches Schlachtenbild aus unsern großen Jahren habe ich nie in
einem deutschen Gastzimmer gesehen. Was Wunder, daß sich uns ein Vorsaal
oder Gastzimmer eines Wirtshauses tief einprägt, wo wir alte Ölgemälde
hängen sehen, und seien sie auch bis zur Unkenntlichkeit dunkel geworden.
Zum Glück sind noch nicht alle zum Trödler gewandert.

Das deutsche Bett wird einst auch seinen Geschichtschreiber finden. Ich gebe
hier nur kleine Beiträge zu einer Seite seiner Geschichte. Wenn man das
Bett als eines der beachtenswertesten Geräte des Menschen deshalb bezeichnet
hat, weil er fast die Hälfte aller Stunden seines Lebens darin zubringt, so
erheischt das Wirtshausbett eine doppelt sorgfältige Betrachtung, denn es be¬
herbergt seine Gäste gewöhnlich noch viel länger als das häusliche oder Familien¬
bett. Das Wirtshausbett ist in Deutschland vom Bett des Privathauses vor
allem darin verschieden, daß es ein Einzelbett ist. Während man in Frankreich und
England in städtischen und ländlichen Gasthäusern noch sehr häufig die Doppel¬
betten trifft, die bequem von einem Paar zu benutzen sind, und an Schläfer¬
paare, nicht bloß Ehepaare, zur Not auch an drei Schläfer vermietet werden,
wiegt in Deutschland überall das Einzelbett vor. Es entspricht das ganz der
Entwicklung des deutschen Bettes überhaupt. Das alte Himmelbett ist in
vielen Teilen Deutschlands schon im vorigen Jahrhundert in die Rumpel¬
kammer gewandert, während die Familie in England und Frankreich daran
festhielt. Im ehelichen Schlafgemach ist es dann durch zwei aneinandergerückte
Betten ersetzt worden. Auch zu den Bauern hat sich diese Mode verbreitet. Sie
berühren sich aber auch darin mit der Geburtsaristokratie, daß bei beiden an der
alten Sitte des geräumigen Bettes am zühesten festgehalten worden ist. Das sind
die beiden Stände, bei denen nicht leicht Raummangel eintrat, und die auch
am festesten auf ihrem Boden sitzen geblieben sind. In dem seit dem sieb¬
zehnten Jahrhundert immer mehr verarmenden Kleinbürgertum und den un¬
stete« Beamten- und Offiziersfamilien muß man dagegen den Ursprung des
schmalen, meist auch kurzen, einschläfrigen Bettes suchen, das der Kasernen¬
pritsche am nächsten verwandt ist. Das Minimum hat es in Mitteldeutschland
erreicht, wo Thüringen, Teile von Hessen, Sachsen und Schlesien sowohl in
den Dimensionen als in der Ausstattung des Bettes das Unmögliche an Un¬
bequemlichkeit leisten. Dann schon lieber eine Schütte Stroh!

Als das deutsche Bett von feiner üppigen Fülle verlor und abzumagern
begann, konnte es sich doch nicht entschließen, auf seine hohen Dimensionen
ohne weiteres zu verzichten. Was es an Federn verlor, gewann es an Holz
zurück, indem es sich nun auf die vier Füße stellte, auf denen es sich bis auf
den heutigen Tag fest erhalten hat, trotzdem daß niemand zu sagen weiß,
welchen Wert diese Vierfüßigkeit eigentlich haben soll. Die Unzähligen, die
aus hohen Betten herausgefallen sind, die vielen, die die Schwierigkeit erprobt


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[0161] Das deutsche Dorfwirtshaus nicht teuer gewesen sein. Ein so interessantes, dabei echt volkstümliches, weil ganz verständliches Schlachtenbild aus unsern großen Jahren habe ich nie in einem deutschen Gastzimmer gesehen. Was Wunder, daß sich uns ein Vorsaal oder Gastzimmer eines Wirtshauses tief einprägt, wo wir alte Ölgemälde hängen sehen, und seien sie auch bis zur Unkenntlichkeit dunkel geworden. Zum Glück sind noch nicht alle zum Trödler gewandert. Das deutsche Bett wird einst auch seinen Geschichtschreiber finden. Ich gebe hier nur kleine Beiträge zu einer Seite seiner Geschichte. Wenn man das Bett als eines der beachtenswertesten Geräte des Menschen deshalb bezeichnet hat, weil er fast die Hälfte aller Stunden seines Lebens darin zubringt, so erheischt das Wirtshausbett eine doppelt sorgfältige Betrachtung, denn es be¬ herbergt seine Gäste gewöhnlich noch viel länger als das häusliche oder Familien¬ bett. Das Wirtshausbett ist in Deutschland vom Bett des Privathauses vor allem darin verschieden, daß es ein Einzelbett ist. Während man in Frankreich und England in städtischen und ländlichen Gasthäusern noch sehr häufig die Doppel¬ betten trifft, die bequem von einem Paar zu benutzen sind, und an Schläfer¬ paare, nicht bloß Ehepaare, zur Not auch an drei Schläfer vermietet werden, wiegt in Deutschland überall das Einzelbett vor. Es entspricht das ganz der Entwicklung des deutschen Bettes überhaupt. Das alte Himmelbett ist in vielen Teilen Deutschlands schon im vorigen Jahrhundert in die Rumpel¬ kammer gewandert, während die Familie in England und Frankreich daran festhielt. Im ehelichen Schlafgemach ist es dann durch zwei aneinandergerückte Betten ersetzt worden. Auch zu den Bauern hat sich diese Mode verbreitet. Sie berühren sich aber auch darin mit der Geburtsaristokratie, daß bei beiden an der alten Sitte des geräumigen Bettes am zühesten festgehalten worden ist. Das sind die beiden Stände, bei denen nicht leicht Raummangel eintrat, und die auch am festesten auf ihrem Boden sitzen geblieben sind. In dem seit dem sieb¬ zehnten Jahrhundert immer mehr verarmenden Kleinbürgertum und den un¬ stete« Beamten- und Offiziersfamilien muß man dagegen den Ursprung des schmalen, meist auch kurzen, einschläfrigen Bettes suchen, das der Kasernen¬ pritsche am nächsten verwandt ist. Das Minimum hat es in Mitteldeutschland erreicht, wo Thüringen, Teile von Hessen, Sachsen und Schlesien sowohl in den Dimensionen als in der Ausstattung des Bettes das Unmögliche an Un¬ bequemlichkeit leisten. Dann schon lieber eine Schütte Stroh! Als das deutsche Bett von feiner üppigen Fülle verlor und abzumagern begann, konnte es sich doch nicht entschließen, auf seine hohen Dimensionen ohne weiteres zu verzichten. Was es an Federn verlor, gewann es an Holz zurück, indem es sich nun auf die vier Füße stellte, auf denen es sich bis auf den heutigen Tag fest erhalten hat, trotzdem daß niemand zu sagen weiß, welchen Wert diese Vierfüßigkeit eigentlich haben soll. Die Unzähligen, die aus hohen Betten herausgefallen sind, die vielen, die die Schwierigkeit erprobt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/161>, abgerufen am 08.01.2025.