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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das deutsche Vorfwirtshaus

haben, selbst mit Hilfe eines Bettschemels oder Höckers die Spitze des Bett¬
turmes zu besteigen, die zahllosen Furchtsamen, die jede Nacht unter das Bett
leuchten, um den Missethäter zu entdecken, der sich dort verborgen hält, warum
haben sie sich nicht zusammengethan und einen Bund gegen die hohen Bett¬
beine und überhaupt gegen die Vierfüßigkeit des ganzen Wesens gemacht? Die
Furcht und die Bequemlichkeit vermögen doch sonst soviel in deutschen Landen,
warum denn nicht hier? Ja, wenn nicht die Bequemlichkeit, sich ins Un¬
bequeme zu fügen, so verführerisch wäre!

Erst nach fremden Mustern hat man ganz langsam die Vettbeine niedriger
gemacht, aber manchmal doch nur soweit, daß die Besteigung noch immer
eine beträchtliche Leistung, einen Aufschwung verlangt, dessen nicht jeder fähig
ist. Obgleich die deutsche Sprache den Müden sagen läßt: "Ich bin so müd,
daß ich ins Bett hineinfallen möchte," so hat der Deutsche doch nicht aus der
eignen Erkenntnis der Untauiglichkeit des hochbeinigen Bettes heraus ein Bett
geschaffen, das diesen Wunsch des Müden erfüllte, sondern in Nachahmung
der englischen und französischen Vorgänger. Aber leider in kleinlicher, stümper¬
hafter Weise, die wieder das wesentliche übersah, daß das Bett zum Ruhen in
gestreckter Lage bestimmt ist. Das Bett ist nun auf kürzere Beine gestellt,
hat aber in seinen Weichteilen noch einen Rest der alten Auftürmung in der
dreifachen Kissenlage und dem überflüssigen, wenn nicht schädlichen Unterbett
bewahrt. Es ist sehr merkwürdig, wie das besonders im Sommer unerträg¬
liche und ungesunde Federdeckbett in ganz Westdeutschland, der Schweiz, Baiern
und selbst Böhmen durch die wollne oder gesteppte Decke mit einem leichten
Federkissen (?1um"zän) schon seit langen Jahrzehnten verdrängt ist, während
man ihm in Thüringen, im Harz, in Sachsen, in der Mark und Schlesien noch
in anspruchsvollen Gasthäusern, sogar in großstädtischen begegnen kann. Die
augenfällige Verbesserung wird an manchen Stellen mehr als ein Jahr¬
hundert nötig haben, um sich vom Rhein und von der Donau bis zur Oder
fortzupflanzen. Den für den müden Wandrer verhängnisvollen zeitweiligen
Sieg des Seegrases über das Roßhaar und die gewiß nur kurzlebige Ver¬
drängung beider durch die heimtückischen Sprungfedermatrazen zu schildern,
muß ich dem Historiker des deutschen Bettes überlassen, der hoffentlich seine
Aufgabe in Angriff nimmt, ehe es zu spät ist.




Das deutsche Vorfwirtshaus

haben, selbst mit Hilfe eines Bettschemels oder Höckers die Spitze des Bett¬
turmes zu besteigen, die zahllosen Furchtsamen, die jede Nacht unter das Bett
leuchten, um den Missethäter zu entdecken, der sich dort verborgen hält, warum
haben sie sich nicht zusammengethan und einen Bund gegen die hohen Bett¬
beine und überhaupt gegen die Vierfüßigkeit des ganzen Wesens gemacht? Die
Furcht und die Bequemlichkeit vermögen doch sonst soviel in deutschen Landen,
warum denn nicht hier? Ja, wenn nicht die Bequemlichkeit, sich ins Un¬
bequeme zu fügen, so verführerisch wäre!

Erst nach fremden Mustern hat man ganz langsam die Vettbeine niedriger
gemacht, aber manchmal doch nur soweit, daß die Besteigung noch immer
eine beträchtliche Leistung, einen Aufschwung verlangt, dessen nicht jeder fähig
ist. Obgleich die deutsche Sprache den Müden sagen läßt: „Ich bin so müd,
daß ich ins Bett hineinfallen möchte," so hat der Deutsche doch nicht aus der
eignen Erkenntnis der Untauiglichkeit des hochbeinigen Bettes heraus ein Bett
geschaffen, das diesen Wunsch des Müden erfüllte, sondern in Nachahmung
der englischen und französischen Vorgänger. Aber leider in kleinlicher, stümper¬
hafter Weise, die wieder das wesentliche übersah, daß das Bett zum Ruhen in
gestreckter Lage bestimmt ist. Das Bett ist nun auf kürzere Beine gestellt,
hat aber in seinen Weichteilen noch einen Rest der alten Auftürmung in der
dreifachen Kissenlage und dem überflüssigen, wenn nicht schädlichen Unterbett
bewahrt. Es ist sehr merkwürdig, wie das besonders im Sommer unerträg¬
liche und ungesunde Federdeckbett in ganz Westdeutschland, der Schweiz, Baiern
und selbst Böhmen durch die wollne oder gesteppte Decke mit einem leichten
Federkissen (?1um«zän) schon seit langen Jahrzehnten verdrängt ist, während
man ihm in Thüringen, im Harz, in Sachsen, in der Mark und Schlesien noch
in anspruchsvollen Gasthäusern, sogar in großstädtischen begegnen kann. Die
augenfällige Verbesserung wird an manchen Stellen mehr als ein Jahr¬
hundert nötig haben, um sich vom Rhein und von der Donau bis zur Oder
fortzupflanzen. Den für den müden Wandrer verhängnisvollen zeitweiligen
Sieg des Seegrases über das Roßhaar und die gewiß nur kurzlebige Ver¬
drängung beider durch die heimtückischen Sprungfedermatrazen zu schildern,
muß ich dem Historiker des deutschen Bettes überlassen, der hoffentlich seine
Aufgabe in Angriff nimmt, ehe es zu spät ist.




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[0162] Das deutsche Vorfwirtshaus haben, selbst mit Hilfe eines Bettschemels oder Höckers die Spitze des Bett¬ turmes zu besteigen, die zahllosen Furchtsamen, die jede Nacht unter das Bett leuchten, um den Missethäter zu entdecken, der sich dort verborgen hält, warum haben sie sich nicht zusammengethan und einen Bund gegen die hohen Bett¬ beine und überhaupt gegen die Vierfüßigkeit des ganzen Wesens gemacht? Die Furcht und die Bequemlichkeit vermögen doch sonst soviel in deutschen Landen, warum denn nicht hier? Ja, wenn nicht die Bequemlichkeit, sich ins Un¬ bequeme zu fügen, so verführerisch wäre! Erst nach fremden Mustern hat man ganz langsam die Vettbeine niedriger gemacht, aber manchmal doch nur soweit, daß die Besteigung noch immer eine beträchtliche Leistung, einen Aufschwung verlangt, dessen nicht jeder fähig ist. Obgleich die deutsche Sprache den Müden sagen läßt: „Ich bin so müd, daß ich ins Bett hineinfallen möchte," so hat der Deutsche doch nicht aus der eignen Erkenntnis der Untauiglichkeit des hochbeinigen Bettes heraus ein Bett geschaffen, das diesen Wunsch des Müden erfüllte, sondern in Nachahmung der englischen und französischen Vorgänger. Aber leider in kleinlicher, stümper¬ hafter Weise, die wieder das wesentliche übersah, daß das Bett zum Ruhen in gestreckter Lage bestimmt ist. Das Bett ist nun auf kürzere Beine gestellt, hat aber in seinen Weichteilen noch einen Rest der alten Auftürmung in der dreifachen Kissenlage und dem überflüssigen, wenn nicht schädlichen Unterbett bewahrt. Es ist sehr merkwürdig, wie das besonders im Sommer unerträg¬ liche und ungesunde Federdeckbett in ganz Westdeutschland, der Schweiz, Baiern und selbst Böhmen durch die wollne oder gesteppte Decke mit einem leichten Federkissen (?1um«zän) schon seit langen Jahrzehnten verdrängt ist, während man ihm in Thüringen, im Harz, in Sachsen, in der Mark und Schlesien noch in anspruchsvollen Gasthäusern, sogar in großstädtischen begegnen kann. Die augenfällige Verbesserung wird an manchen Stellen mehr als ein Jahr¬ hundert nötig haben, um sich vom Rhein und von der Donau bis zur Oder fortzupflanzen. Den für den müden Wandrer verhängnisvollen zeitweiligen Sieg des Seegrases über das Roßhaar und die gewiß nur kurzlebige Ver¬ drängung beider durch die heimtückischen Sprungfedermatrazen zu schildern, muß ich dem Historiker des deutschen Bettes überlassen, der hoffentlich seine Aufgabe in Angriff nimmt, ehe es zu spät ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/162>, abgerufen am 07.01.2025.