Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

darauf ankommen, ob er ein paar hundert Mark mehr für seine neuen Sofas
und Sessel anlegte, wenn nur der Eindruck des Luxuriösen erreicht wurde,
der die sprungweis vorgenommenen Preissteigerungen rechtfertigte. Die deutsche
Renaissance zeigt natürlich gerade hier ihre schwachen Seiten ganz unverhüllt,
wo der praktische Zweck der einfach bequemen Einrichtung so nahe und eben
deshalb ganz außer dem Gesichtskreis des von den neuen Ideen erfüllten
Kunstschreiners und Tapezierers liegt. Die fünfziger und sechziger Jahre
hatten die deutsche Zimmereinrichtung auf ihren niedersten Stand herunter¬
gebracht, wo Bequemheit und Schönheit gleich vernachlässigt worden waren,
Billigkeit und Schablone sich mit der vollendeten Unfähigkeit der Hand¬
werker verbanden, um das praktisch und ästhetisch Unbrauchbarste zu schaffen,
was es um 1870 auf dem weiten Erdenrund an Hauseinrichtung gab.
Und dann der plötzliche Aufschwung zum stilvollen! Statt jedes einzelne
Möbel bequemer und fester zu machen, wurden die unpraktischen, unsolider
Konstruktionen mit Schnörkeln umgeben, wie sie der Stil vorschrieb. Statt
das zum Liegen und Sitzen gleich unbequeme Sofa, an dessen geschweiften
harthölzernen Rücken und Lehnen man sich unfehlbar anstieß, wenn man den
kühnen Gedanken zu verwirklichen suchte, sich auf ihm auszustrecken, mit einem
wahren Divan zu vertauschen, wurde das hochrückige Pruuksofa eingeführt,
auf dessen Gesims zwecklose Krüge und Vasen verdächtig klappern, wenn sich
der Nuhebedttrftige auf ihm umwendet. Oder, um den "Forschritt" an einem
andern kleinern Beispiel zu zeigen: den guten alten Leuchter mit festem Hand¬
griff und tiefer Röhre, in die das Licht fest hineingestellt und durch eine be¬
wegliche Hülse nachgeschoben werden konnte, hat der silberplattirte verdrängt,
der eine schlanke, fast windig zu nennende Form, keinen Griff und nur ein
seichtes Grübchen für ein dünnes Licht hat. Von Schieben kein Gedanke; das
Licht leuchtet hoch von oben herunter, wenn es neu ist, droht bei jeder Bewegung
herunterzufallen und sinkt in sein Grübchen ein, wenn es niedergebrannt ist.
Diesen Leuchter darf man auch nicht oft blankputzen, weil sonst das Kupfer durch¬
schimmert. Im glasreichen Böhmen und Schlesien giebt es solche Leuchter
aus dem silberbelegten Glas der Weihuachtskugelu! Die haben doch wenigstens
noch etwas Rührendes, Naives. Wenn ich aber diese glänzenden Belege des
Verkommens des einfachsten praktischen Sinnes und des elementaren Geschmacks
sehe, denke ich mit Sehnsucht an die schwarze Eisenklammer in der Mauer
neben dem Herd, in die einst der düsterflammende Kienspan eingeschraubt
wurde. Und was auch die reinlichkeitliebende Hausfrau denken mag: die von
Glanzruß leuchtende Wand über einem solchen Licht kam mir viel schöner vor
als die verschnörkeltste Deckenmalerei, die rote, knisternde lebendige Flamme
poetischer als der langweilig-hellste Glühstrumpf.

In den industriellen Teilen von Deutschland sind die bessern unter den
neuen Gasthäusern oft wahre GeWerbeausstellungen. Das bringen die geschaft-


darauf ankommen, ob er ein paar hundert Mark mehr für seine neuen Sofas
und Sessel anlegte, wenn nur der Eindruck des Luxuriösen erreicht wurde,
der die sprungweis vorgenommenen Preissteigerungen rechtfertigte. Die deutsche
Renaissance zeigt natürlich gerade hier ihre schwachen Seiten ganz unverhüllt,
wo der praktische Zweck der einfach bequemen Einrichtung so nahe und eben
deshalb ganz außer dem Gesichtskreis des von den neuen Ideen erfüllten
Kunstschreiners und Tapezierers liegt. Die fünfziger und sechziger Jahre
hatten die deutsche Zimmereinrichtung auf ihren niedersten Stand herunter¬
gebracht, wo Bequemheit und Schönheit gleich vernachlässigt worden waren,
Billigkeit und Schablone sich mit der vollendeten Unfähigkeit der Hand¬
werker verbanden, um das praktisch und ästhetisch Unbrauchbarste zu schaffen,
was es um 1870 auf dem weiten Erdenrund an Hauseinrichtung gab.
Und dann der plötzliche Aufschwung zum stilvollen! Statt jedes einzelne
Möbel bequemer und fester zu machen, wurden die unpraktischen, unsolider
Konstruktionen mit Schnörkeln umgeben, wie sie der Stil vorschrieb. Statt
das zum Liegen und Sitzen gleich unbequeme Sofa, an dessen geschweiften
harthölzernen Rücken und Lehnen man sich unfehlbar anstieß, wenn man den
kühnen Gedanken zu verwirklichen suchte, sich auf ihm auszustrecken, mit einem
wahren Divan zu vertauschen, wurde das hochrückige Pruuksofa eingeführt,
auf dessen Gesims zwecklose Krüge und Vasen verdächtig klappern, wenn sich
der Nuhebedttrftige auf ihm umwendet. Oder, um den „Forschritt" an einem
andern kleinern Beispiel zu zeigen: den guten alten Leuchter mit festem Hand¬
griff und tiefer Röhre, in die das Licht fest hineingestellt und durch eine be¬
wegliche Hülse nachgeschoben werden konnte, hat der silberplattirte verdrängt,
der eine schlanke, fast windig zu nennende Form, keinen Griff und nur ein
seichtes Grübchen für ein dünnes Licht hat. Von Schieben kein Gedanke; das
Licht leuchtet hoch von oben herunter, wenn es neu ist, droht bei jeder Bewegung
herunterzufallen und sinkt in sein Grübchen ein, wenn es niedergebrannt ist.
Diesen Leuchter darf man auch nicht oft blankputzen, weil sonst das Kupfer durch¬
schimmert. Im glasreichen Böhmen und Schlesien giebt es solche Leuchter
aus dem silberbelegten Glas der Weihuachtskugelu! Die haben doch wenigstens
noch etwas Rührendes, Naives. Wenn ich aber diese glänzenden Belege des
Verkommens des einfachsten praktischen Sinnes und des elementaren Geschmacks
sehe, denke ich mit Sehnsucht an die schwarze Eisenklammer in der Mauer
neben dem Herd, in die einst der düsterflammende Kienspan eingeschraubt
wurde. Und was auch die reinlichkeitliebende Hausfrau denken mag: die von
Glanzruß leuchtende Wand über einem solchen Licht kam mir viel schöner vor
als die verschnörkeltste Deckenmalerei, die rote, knisternde lebendige Flamme
poetischer als der langweilig-hellste Glühstrumpf.

In den industriellen Teilen von Deutschland sind die bessern unter den
neuen Gasthäusern oft wahre GeWerbeausstellungen. Das bringen die geschaft-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227061"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_492" prev="#ID_491"> darauf ankommen, ob er ein paar hundert Mark mehr für seine neuen Sofas<lb/>
und Sessel anlegte, wenn nur der Eindruck des Luxuriösen erreicht wurde,<lb/>
der die sprungweis vorgenommenen Preissteigerungen rechtfertigte. Die deutsche<lb/>
Renaissance zeigt natürlich gerade hier ihre schwachen Seiten ganz unverhüllt,<lb/>
wo der praktische Zweck der einfach bequemen Einrichtung so nahe und eben<lb/>
deshalb ganz außer dem Gesichtskreis des von den neuen Ideen erfüllten<lb/>
Kunstschreiners und Tapezierers liegt. Die fünfziger und sechziger Jahre<lb/>
hatten die deutsche Zimmereinrichtung auf ihren niedersten Stand herunter¬<lb/>
gebracht, wo Bequemheit und Schönheit gleich vernachlässigt worden waren,<lb/>
Billigkeit und Schablone sich mit der vollendeten Unfähigkeit der Hand¬<lb/>
werker verbanden, um das praktisch und ästhetisch Unbrauchbarste zu schaffen,<lb/>
was es um 1870 auf dem weiten Erdenrund an Hauseinrichtung gab.<lb/>
Und dann der plötzliche Aufschwung zum stilvollen! Statt jedes einzelne<lb/>
Möbel bequemer und fester zu machen, wurden die unpraktischen, unsolider<lb/>
Konstruktionen mit Schnörkeln umgeben, wie sie der Stil vorschrieb. Statt<lb/>
das zum Liegen und Sitzen gleich unbequeme Sofa, an dessen geschweiften<lb/>
harthölzernen Rücken und Lehnen man sich unfehlbar anstieß, wenn man den<lb/>
kühnen Gedanken zu verwirklichen suchte, sich auf ihm auszustrecken, mit einem<lb/>
wahren Divan zu vertauschen, wurde das hochrückige Pruuksofa eingeführt,<lb/>
auf dessen Gesims zwecklose Krüge und Vasen verdächtig klappern, wenn sich<lb/>
der Nuhebedttrftige auf ihm umwendet. Oder, um den &#x201E;Forschritt" an einem<lb/>
andern kleinern Beispiel zu zeigen: den guten alten Leuchter mit festem Hand¬<lb/>
griff und tiefer Röhre, in die das Licht fest hineingestellt und durch eine be¬<lb/>
wegliche Hülse nachgeschoben werden konnte, hat der silberplattirte verdrängt,<lb/>
der eine schlanke, fast windig zu nennende Form, keinen Griff und nur ein<lb/>
seichtes Grübchen für ein dünnes Licht hat. Von Schieben kein Gedanke; das<lb/>
Licht leuchtet hoch von oben herunter, wenn es neu ist, droht bei jeder Bewegung<lb/>
herunterzufallen und sinkt in sein Grübchen ein, wenn es niedergebrannt ist.<lb/>
Diesen Leuchter darf man auch nicht oft blankputzen, weil sonst das Kupfer durch¬<lb/>
schimmert. Im glasreichen Böhmen und Schlesien giebt es solche Leuchter<lb/>
aus dem silberbelegten Glas der Weihuachtskugelu! Die haben doch wenigstens<lb/>
noch etwas Rührendes, Naives. Wenn ich aber diese glänzenden Belege des<lb/>
Verkommens des einfachsten praktischen Sinnes und des elementaren Geschmacks<lb/>
sehe, denke ich mit Sehnsucht an die schwarze Eisenklammer in der Mauer<lb/>
neben dem Herd, in die einst der düsterflammende Kienspan eingeschraubt<lb/>
wurde. Und was auch die reinlichkeitliebende Hausfrau denken mag: die von<lb/>
Glanzruß leuchtende Wand über einem solchen Licht kam mir viel schöner vor<lb/>
als die verschnörkeltste Deckenmalerei, die rote, knisternde lebendige Flamme<lb/>
poetischer als der langweilig-hellste Glühstrumpf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_493" next="#ID_494"> In den industriellen Teilen von Deutschland sind die bessern unter den<lb/>
neuen Gasthäusern oft wahre GeWerbeausstellungen. Das bringen die geschaft-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0159] darauf ankommen, ob er ein paar hundert Mark mehr für seine neuen Sofas und Sessel anlegte, wenn nur der Eindruck des Luxuriösen erreicht wurde, der die sprungweis vorgenommenen Preissteigerungen rechtfertigte. Die deutsche Renaissance zeigt natürlich gerade hier ihre schwachen Seiten ganz unverhüllt, wo der praktische Zweck der einfach bequemen Einrichtung so nahe und eben deshalb ganz außer dem Gesichtskreis des von den neuen Ideen erfüllten Kunstschreiners und Tapezierers liegt. Die fünfziger und sechziger Jahre hatten die deutsche Zimmereinrichtung auf ihren niedersten Stand herunter¬ gebracht, wo Bequemheit und Schönheit gleich vernachlässigt worden waren, Billigkeit und Schablone sich mit der vollendeten Unfähigkeit der Hand¬ werker verbanden, um das praktisch und ästhetisch Unbrauchbarste zu schaffen, was es um 1870 auf dem weiten Erdenrund an Hauseinrichtung gab. Und dann der plötzliche Aufschwung zum stilvollen! Statt jedes einzelne Möbel bequemer und fester zu machen, wurden die unpraktischen, unsolider Konstruktionen mit Schnörkeln umgeben, wie sie der Stil vorschrieb. Statt das zum Liegen und Sitzen gleich unbequeme Sofa, an dessen geschweiften harthölzernen Rücken und Lehnen man sich unfehlbar anstieß, wenn man den kühnen Gedanken zu verwirklichen suchte, sich auf ihm auszustrecken, mit einem wahren Divan zu vertauschen, wurde das hochrückige Pruuksofa eingeführt, auf dessen Gesims zwecklose Krüge und Vasen verdächtig klappern, wenn sich der Nuhebedttrftige auf ihm umwendet. Oder, um den „Forschritt" an einem andern kleinern Beispiel zu zeigen: den guten alten Leuchter mit festem Hand¬ griff und tiefer Röhre, in die das Licht fest hineingestellt und durch eine be¬ wegliche Hülse nachgeschoben werden konnte, hat der silberplattirte verdrängt, der eine schlanke, fast windig zu nennende Form, keinen Griff und nur ein seichtes Grübchen für ein dünnes Licht hat. Von Schieben kein Gedanke; das Licht leuchtet hoch von oben herunter, wenn es neu ist, droht bei jeder Bewegung herunterzufallen und sinkt in sein Grübchen ein, wenn es niedergebrannt ist. Diesen Leuchter darf man auch nicht oft blankputzen, weil sonst das Kupfer durch¬ schimmert. Im glasreichen Böhmen und Schlesien giebt es solche Leuchter aus dem silberbelegten Glas der Weihuachtskugelu! Die haben doch wenigstens noch etwas Rührendes, Naives. Wenn ich aber diese glänzenden Belege des Verkommens des einfachsten praktischen Sinnes und des elementaren Geschmacks sehe, denke ich mit Sehnsucht an die schwarze Eisenklammer in der Mauer neben dem Herd, in die einst der düsterflammende Kienspan eingeschraubt wurde. Und was auch die reinlichkeitliebende Hausfrau denken mag: die von Glanzruß leuchtende Wand über einem solchen Licht kam mir viel schöner vor als die verschnörkeltste Deckenmalerei, die rote, knisternde lebendige Flamme poetischer als der langweilig-hellste Glühstrumpf. In den industriellen Teilen von Deutschland sind die bessern unter den neuen Gasthäusern oft wahre GeWerbeausstellungen. Das bringen die geschaft-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/159
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/159>, abgerufen am 08.01.2025.