Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

gehängten eisernen Schuhlöffel. Wer nun gar das Glück hatte, zur Winterszeit
in dem Teil der Alpen zu wandern, wo, ungefähr zwischen der Furka und dem
Julier, der grünliche Thonstein von Chiavenna die Ofenkacheln ersetzt, der
konnte das Behagen kennen lernen, mit dem man auf dem niedern breit aus
Steinplatten aufgebaute" Ofen seinen derben Veltliner zu schlürfen pflegt, denn
in den dortigen alten Bergwirtshäusern ist die Oberfläche des Ofens als er¬
höhter Ehrenplatz mit einem niedrigen Tisch und Schemel ausgestattet. Was
kaun die Modernisirung an die Stelle dieses Behagens setzen, das man elementar
nennen möchte, und dessen Bestandteile man eines Tages eifrig für die Volks¬
museen der Zukunft suchen wird?

Auch wenn die Mittel viel größer und der moderne Masfengeschmack viel
weniger schlecht wären, würden diese guten alten Dinge nicht zu ersetzen sein.
Der Fall ist sehr lehrreich für unsre Kunstgewerbe. Welche kurzsichtige
Enthusiasten, die einem modischen Stil zu lieb alles umgestalten möchten,
ohne zu bedenken, daß das gute Alte aus einem Boden herausgewachsen ist,
den sie mit aller Begeisterung nicht nachschaffen können! Hier haben die
Generationen, wie sie auf einander folgten, für dieselben Bedürfnisse mit
nur langsam sich wandelnden Geschmack gesorgt, indem sie nach Maßgabe
ihrer Mittel stückweise anschafften und nachschafften; sie wählten das Zweck¬
mäßige und das Gediegne, denn sie dienten nicht der Mode. Die besten
Sachen entstanden auf Höhepunkten des bäuerlichen Daseins: zur Ausstattung
der Braut, als Taus- oder Firmgeschenke. Der Umkreis des Bedarfs war
nicht groß, und wenn er durchschritten war, brachte die neue alte Gelegen¬
heit, das alte neue Geschenk. So sammelten sich die messingnen Leuchter
zum Dutzend, das blankgeputzt den friesischen Kaminsims schmückt -- ich war
sehr erstaunt, denselben Schmuck in den Hütten der Fischer von Cette und
Agde zu finden --, und so erhielten die geschliffnen Weinflaschen ihre zahl¬
reiche Nachfolge, die man im Glasschrank einer oberrheinischen Wirtschaft be¬
wundert. Der "Glasträger" hat Jahr für Jahr eine neue aus der böhmischen
Waldhütte in den Odenwald getragen. Und ununterbrochen ging die Be¬
schaffung neuer Leinwand am Spinnrad fort, das in der langen Winterzeit fast
ohne Unterlaß schnurrte.

Heute deckt man dir auf gemeinem sicheren Tisch, dessen Platte nicht wie
die in Abgang geratnen birnen- oder apfelholznen gebohrt wird, daher verdeckt
werden muß, ein schnödes Tuch, das eiuer Jutefabrik entstammt, darüber ein
braunes Wachstuch, und stellt darauf eine unnötige Menge von Tassen, Unter¬
tassen, Tellern, Zuckerschälchen, Kannen und Kamraden aus grüngeründertem
Porzellan mit dem Monogramm des Herrn Hinterhuber oder der Frau Ober¬
mayer. Es darf nicht an staubigen Palmen, sogar blechernen, auf der langen
Wirtstafel fehlen, die für die Herrschafte" bestimmt ist. Für Blumensträuße
reicht die Zeit nicht mehr, auch geht die Blumenzucht in den Dorfgarten zurück,


Grenzboten I 1898 20

gehängten eisernen Schuhlöffel. Wer nun gar das Glück hatte, zur Winterszeit
in dem Teil der Alpen zu wandern, wo, ungefähr zwischen der Furka und dem
Julier, der grünliche Thonstein von Chiavenna die Ofenkacheln ersetzt, der
konnte das Behagen kennen lernen, mit dem man auf dem niedern breit aus
Steinplatten aufgebaute» Ofen seinen derben Veltliner zu schlürfen pflegt, denn
in den dortigen alten Bergwirtshäusern ist die Oberfläche des Ofens als er¬
höhter Ehrenplatz mit einem niedrigen Tisch und Schemel ausgestattet. Was
kaun die Modernisirung an die Stelle dieses Behagens setzen, das man elementar
nennen möchte, und dessen Bestandteile man eines Tages eifrig für die Volks¬
museen der Zukunft suchen wird?

Auch wenn die Mittel viel größer und der moderne Masfengeschmack viel
weniger schlecht wären, würden diese guten alten Dinge nicht zu ersetzen sein.
Der Fall ist sehr lehrreich für unsre Kunstgewerbe. Welche kurzsichtige
Enthusiasten, die einem modischen Stil zu lieb alles umgestalten möchten,
ohne zu bedenken, daß das gute Alte aus einem Boden herausgewachsen ist,
den sie mit aller Begeisterung nicht nachschaffen können! Hier haben die
Generationen, wie sie auf einander folgten, für dieselben Bedürfnisse mit
nur langsam sich wandelnden Geschmack gesorgt, indem sie nach Maßgabe
ihrer Mittel stückweise anschafften und nachschafften; sie wählten das Zweck¬
mäßige und das Gediegne, denn sie dienten nicht der Mode. Die besten
Sachen entstanden auf Höhepunkten des bäuerlichen Daseins: zur Ausstattung
der Braut, als Taus- oder Firmgeschenke. Der Umkreis des Bedarfs war
nicht groß, und wenn er durchschritten war, brachte die neue alte Gelegen¬
heit, das alte neue Geschenk. So sammelten sich die messingnen Leuchter
zum Dutzend, das blankgeputzt den friesischen Kaminsims schmückt — ich war
sehr erstaunt, denselben Schmuck in den Hütten der Fischer von Cette und
Agde zu finden —, und so erhielten die geschliffnen Weinflaschen ihre zahl¬
reiche Nachfolge, die man im Glasschrank einer oberrheinischen Wirtschaft be¬
wundert. Der „Glasträger" hat Jahr für Jahr eine neue aus der böhmischen
Waldhütte in den Odenwald getragen. Und ununterbrochen ging die Be¬
schaffung neuer Leinwand am Spinnrad fort, das in der langen Winterzeit fast
ohne Unterlaß schnurrte.

Heute deckt man dir auf gemeinem sicheren Tisch, dessen Platte nicht wie
die in Abgang geratnen birnen- oder apfelholznen gebohrt wird, daher verdeckt
werden muß, ein schnödes Tuch, das eiuer Jutefabrik entstammt, darüber ein
braunes Wachstuch, und stellt darauf eine unnötige Menge von Tassen, Unter¬
tassen, Tellern, Zuckerschälchen, Kannen und Kamraden aus grüngeründertem
Porzellan mit dem Monogramm des Herrn Hinterhuber oder der Frau Ober¬
mayer. Es darf nicht an staubigen Palmen, sogar blechernen, auf der langen
Wirtstafel fehlen, die für die Herrschafte» bestimmt ist. Für Blumensträuße
reicht die Zeit nicht mehr, auch geht die Blumenzucht in den Dorfgarten zurück,


Grenzboten I 1898 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227059"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_486" prev="#ID_485"> gehängten eisernen Schuhlöffel. Wer nun gar das Glück hatte, zur Winterszeit<lb/>
in dem Teil der Alpen zu wandern, wo, ungefähr zwischen der Furka und dem<lb/>
Julier, der grünliche Thonstein von Chiavenna die Ofenkacheln ersetzt, der<lb/>
konnte das Behagen kennen lernen, mit dem man auf dem niedern breit aus<lb/>
Steinplatten aufgebaute» Ofen seinen derben Veltliner zu schlürfen pflegt, denn<lb/>
in den dortigen alten Bergwirtshäusern ist die Oberfläche des Ofens als er¬<lb/>
höhter Ehrenplatz mit einem niedrigen Tisch und Schemel ausgestattet. Was<lb/>
kaun die Modernisirung an die Stelle dieses Behagens setzen, das man elementar<lb/>
nennen möchte, und dessen Bestandteile man eines Tages eifrig für die Volks¬<lb/>
museen der Zukunft suchen wird?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_487"> Auch wenn die Mittel viel größer und der moderne Masfengeschmack viel<lb/>
weniger schlecht wären, würden diese guten alten Dinge nicht zu ersetzen sein.<lb/>
Der Fall ist sehr lehrreich für unsre Kunstgewerbe. Welche kurzsichtige<lb/>
Enthusiasten, die einem modischen Stil zu lieb alles umgestalten möchten,<lb/>
ohne zu bedenken, daß das gute Alte aus einem Boden herausgewachsen ist,<lb/>
den sie mit aller Begeisterung nicht nachschaffen können! Hier haben die<lb/>
Generationen, wie sie auf einander folgten, für dieselben Bedürfnisse mit<lb/>
nur langsam sich wandelnden Geschmack gesorgt, indem sie nach Maßgabe<lb/>
ihrer Mittel stückweise anschafften und nachschafften; sie wählten das Zweck¬<lb/>
mäßige und das Gediegne, denn sie dienten nicht der Mode. Die besten<lb/>
Sachen entstanden auf Höhepunkten des bäuerlichen Daseins: zur Ausstattung<lb/>
der Braut, als Taus- oder Firmgeschenke. Der Umkreis des Bedarfs war<lb/>
nicht groß, und wenn er durchschritten war, brachte die neue alte Gelegen¬<lb/>
heit, das alte neue Geschenk. So sammelten sich die messingnen Leuchter<lb/>
zum Dutzend, das blankgeputzt den friesischen Kaminsims schmückt &#x2014; ich war<lb/>
sehr erstaunt, denselben Schmuck in den Hütten der Fischer von Cette und<lb/>
Agde zu finden &#x2014;, und so erhielten die geschliffnen Weinflaschen ihre zahl¬<lb/>
reiche Nachfolge, die man im Glasschrank einer oberrheinischen Wirtschaft be¬<lb/>
wundert. Der &#x201E;Glasträger" hat Jahr für Jahr eine neue aus der böhmischen<lb/>
Waldhütte in den Odenwald getragen. Und ununterbrochen ging die Be¬<lb/>
schaffung neuer Leinwand am Spinnrad fort, das in der langen Winterzeit fast<lb/>
ohne Unterlaß schnurrte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_488" next="#ID_489"> Heute deckt man dir auf gemeinem sicheren Tisch, dessen Platte nicht wie<lb/>
die in Abgang geratnen birnen- oder apfelholznen gebohrt wird, daher verdeckt<lb/>
werden muß, ein schnödes Tuch, das eiuer Jutefabrik entstammt, darüber ein<lb/>
braunes Wachstuch, und stellt darauf eine unnötige Menge von Tassen, Unter¬<lb/>
tassen, Tellern, Zuckerschälchen, Kannen und Kamraden aus grüngeründertem<lb/>
Porzellan mit dem Monogramm des Herrn Hinterhuber oder der Frau Ober¬<lb/>
mayer. Es darf nicht an staubigen Palmen, sogar blechernen, auf der langen<lb/>
Wirtstafel fehlen, die für die Herrschafte» bestimmt ist. Für Blumensträuße<lb/>
reicht die Zeit nicht mehr, auch geht die Blumenzucht in den Dorfgarten zurück,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1898 20</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] gehängten eisernen Schuhlöffel. Wer nun gar das Glück hatte, zur Winterszeit in dem Teil der Alpen zu wandern, wo, ungefähr zwischen der Furka und dem Julier, der grünliche Thonstein von Chiavenna die Ofenkacheln ersetzt, der konnte das Behagen kennen lernen, mit dem man auf dem niedern breit aus Steinplatten aufgebaute» Ofen seinen derben Veltliner zu schlürfen pflegt, denn in den dortigen alten Bergwirtshäusern ist die Oberfläche des Ofens als er¬ höhter Ehrenplatz mit einem niedrigen Tisch und Schemel ausgestattet. Was kaun die Modernisirung an die Stelle dieses Behagens setzen, das man elementar nennen möchte, und dessen Bestandteile man eines Tages eifrig für die Volks¬ museen der Zukunft suchen wird? Auch wenn die Mittel viel größer und der moderne Masfengeschmack viel weniger schlecht wären, würden diese guten alten Dinge nicht zu ersetzen sein. Der Fall ist sehr lehrreich für unsre Kunstgewerbe. Welche kurzsichtige Enthusiasten, die einem modischen Stil zu lieb alles umgestalten möchten, ohne zu bedenken, daß das gute Alte aus einem Boden herausgewachsen ist, den sie mit aller Begeisterung nicht nachschaffen können! Hier haben die Generationen, wie sie auf einander folgten, für dieselben Bedürfnisse mit nur langsam sich wandelnden Geschmack gesorgt, indem sie nach Maßgabe ihrer Mittel stückweise anschafften und nachschafften; sie wählten das Zweck¬ mäßige und das Gediegne, denn sie dienten nicht der Mode. Die besten Sachen entstanden auf Höhepunkten des bäuerlichen Daseins: zur Ausstattung der Braut, als Taus- oder Firmgeschenke. Der Umkreis des Bedarfs war nicht groß, und wenn er durchschritten war, brachte die neue alte Gelegen¬ heit, das alte neue Geschenk. So sammelten sich die messingnen Leuchter zum Dutzend, das blankgeputzt den friesischen Kaminsims schmückt — ich war sehr erstaunt, denselben Schmuck in den Hütten der Fischer von Cette und Agde zu finden —, und so erhielten die geschliffnen Weinflaschen ihre zahl¬ reiche Nachfolge, die man im Glasschrank einer oberrheinischen Wirtschaft be¬ wundert. Der „Glasträger" hat Jahr für Jahr eine neue aus der böhmischen Waldhütte in den Odenwald getragen. Und ununterbrochen ging die Be¬ schaffung neuer Leinwand am Spinnrad fort, das in der langen Winterzeit fast ohne Unterlaß schnurrte. Heute deckt man dir auf gemeinem sicheren Tisch, dessen Platte nicht wie die in Abgang geratnen birnen- oder apfelholznen gebohrt wird, daher verdeckt werden muß, ein schnödes Tuch, das eiuer Jutefabrik entstammt, darüber ein braunes Wachstuch, und stellt darauf eine unnötige Menge von Tassen, Unter¬ tassen, Tellern, Zuckerschälchen, Kannen und Kamraden aus grüngeründertem Porzellan mit dem Monogramm des Herrn Hinterhuber oder der Frau Ober¬ mayer. Es darf nicht an staubigen Palmen, sogar blechernen, auf der langen Wirtstafel fehlen, die für die Herrschafte» bestimmt ist. Für Blumensträuße reicht die Zeit nicht mehr, auch geht die Blumenzucht in den Dorfgarten zurück, Grenzboten I 1898 20

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/157>, abgerufen am 08.01.2025.