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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das deutsche Dorfwirtshaus

Besitzer gewechselt haben. In den Südvvgesen traf ich vor einem neuen
Touristenwirtshaus fünf schöne junge Tannen ohne Wurzeln eingepflanzt.
Der Wirt meinte, zwei Jahre sähen sie ganz gut aus, und dann könne man
sie durch lebende Bäume ersetzen, wenn sich das Geschüft erst einmal übersehen
lasse, das doch zweifelhaft sei, solange das Touristenwescn von den Ein¬
heimischen scheel angesehen werde. Wie manche Gründung auf diesem Gebiete
wäre diesen wurzellosen Tannen zu vergleichen, die man einmal versuchsweise
für ein paar Jahre hinsetzt!

Wo der Fremdcuandraug Jahr für Jahr so unanfhaltsnm wächst, wie an
der Ostsee und Nordsee, da wird bald jede Hütte zum Gasthaus, allerdings
unter beschränkenden Voraussetzungen, wie sie einer meiner Freunde auf H. er¬
lebte, wo der Wirt hartnäckig nnr Junggesellen in seine Fremdenzimmer, das
heißt in die neuen Bretterverschläge seines alten Speichers aufnahm, weil
seine Mittel noch nicht erlaubten, bis zu dem Grade von Komfort fort¬
zuschreiten, den weibliche Wesen angeblich selbst in einem kleinen Ostseestrand¬
dorfe verlangen.

Eine besondre Klasse vou neuen Wirtshäusern wollen wir nicht vergessen,
die sich zu den Eisenbahnen ungefähr so verhalten, wie die alten Postgasthänser
zu den Poststraßen: die Bahnhofgasthänser. Diese Gasthäuser gegenüber dem
Bahnhof sind die eigentlichen Durchgaugshänser. Es wäre viel besser, wenn
ein solches Haus den Titel trüge "Passantenhaus." Es ist immer lärmend
und natürlich in großen verkehrsreichen Städten vor allem zu meiden, wo
jeder Nachtzug neue Gäste bringt. Ans dem Lande ist es das Stelldichein
der Eisenbahnbediensteten, im Gebirge der Führer, die hier die Touristen in
Empfang nehmen. Es ist immer neu und trägt leider oft schon heute in
Spuren frühen Verfalles die Merkmale eines übereilte" Baues. Entsprechend
ist die ganz moderne, aber meist billige und schlechte innere Einrichtung.

Ju diesem Wandel der Zeiten hat natürlich auch das Innere der Wirtshäuser
entsprechende Veränderungen erfahren. Die alten erneuern sich, und die neuen
richten sich von vornherein modisch ein. Diese Umwandlung auf ihren ver-
schiednen Stufen zu beobachten, ist für den nachdenklichen Wandersmann sehr
anziehend. Die alten Wirtshäuser bieten ihm immer Beachtenswertes, und die
neuen sind zwar minder erfreulich, aber in ihrer Weise anch lehrreich. Die
alten waren auf dem Dorf vergrößerte und bereicherte Bauernhäuser, in der
Stadt Bürgerhäuser und in den Marktflecken und Poststationen ein interessantes
Mittelding. Wer hat nicht den ursprünglichsten Komfort der hölzernen Ofen¬
bank mit Wonne empfunden, wenn er an einem kühlen Herbstabend einkehrte,
und der Tisch mit einem dampfenden Gericht zwischen ihn und den wärmenden
Kachelofen gerückt wurde? An passender Stelle fand er neben sich den im
Fußboden befestigten Stiefelzieher und den mit einer Kette an die Ofenbank


Das deutsche Dorfwirtshaus

Besitzer gewechselt haben. In den Südvvgesen traf ich vor einem neuen
Touristenwirtshaus fünf schöne junge Tannen ohne Wurzeln eingepflanzt.
Der Wirt meinte, zwei Jahre sähen sie ganz gut aus, und dann könne man
sie durch lebende Bäume ersetzen, wenn sich das Geschüft erst einmal übersehen
lasse, das doch zweifelhaft sei, solange das Touristenwescn von den Ein¬
heimischen scheel angesehen werde. Wie manche Gründung auf diesem Gebiete
wäre diesen wurzellosen Tannen zu vergleichen, die man einmal versuchsweise
für ein paar Jahre hinsetzt!

Wo der Fremdcuandraug Jahr für Jahr so unanfhaltsnm wächst, wie an
der Ostsee und Nordsee, da wird bald jede Hütte zum Gasthaus, allerdings
unter beschränkenden Voraussetzungen, wie sie einer meiner Freunde auf H. er¬
lebte, wo der Wirt hartnäckig nnr Junggesellen in seine Fremdenzimmer, das
heißt in die neuen Bretterverschläge seines alten Speichers aufnahm, weil
seine Mittel noch nicht erlaubten, bis zu dem Grade von Komfort fort¬
zuschreiten, den weibliche Wesen angeblich selbst in einem kleinen Ostseestrand¬
dorfe verlangen.

Eine besondre Klasse vou neuen Wirtshäusern wollen wir nicht vergessen,
die sich zu den Eisenbahnen ungefähr so verhalten, wie die alten Postgasthänser
zu den Poststraßen: die Bahnhofgasthänser. Diese Gasthäuser gegenüber dem
Bahnhof sind die eigentlichen Durchgaugshänser. Es wäre viel besser, wenn
ein solches Haus den Titel trüge „Passantenhaus." Es ist immer lärmend
und natürlich in großen verkehrsreichen Städten vor allem zu meiden, wo
jeder Nachtzug neue Gäste bringt. Ans dem Lande ist es das Stelldichein
der Eisenbahnbediensteten, im Gebirge der Führer, die hier die Touristen in
Empfang nehmen. Es ist immer neu und trägt leider oft schon heute in
Spuren frühen Verfalles die Merkmale eines übereilte» Baues. Entsprechend
ist die ganz moderne, aber meist billige und schlechte innere Einrichtung.

Ju diesem Wandel der Zeiten hat natürlich auch das Innere der Wirtshäuser
entsprechende Veränderungen erfahren. Die alten erneuern sich, und die neuen
richten sich von vornherein modisch ein. Diese Umwandlung auf ihren ver-
schiednen Stufen zu beobachten, ist für den nachdenklichen Wandersmann sehr
anziehend. Die alten Wirtshäuser bieten ihm immer Beachtenswertes, und die
neuen sind zwar minder erfreulich, aber in ihrer Weise anch lehrreich. Die
alten waren auf dem Dorf vergrößerte und bereicherte Bauernhäuser, in der
Stadt Bürgerhäuser und in den Marktflecken und Poststationen ein interessantes
Mittelding. Wer hat nicht den ursprünglichsten Komfort der hölzernen Ofen¬
bank mit Wonne empfunden, wenn er an einem kühlen Herbstabend einkehrte,
und der Tisch mit einem dampfenden Gericht zwischen ihn und den wärmenden
Kachelofen gerückt wurde? An passender Stelle fand er neben sich den im
Fußboden befestigten Stiefelzieher und den mit einer Kette an die Ofenbank


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[0156] Das deutsche Dorfwirtshaus Besitzer gewechselt haben. In den Südvvgesen traf ich vor einem neuen Touristenwirtshaus fünf schöne junge Tannen ohne Wurzeln eingepflanzt. Der Wirt meinte, zwei Jahre sähen sie ganz gut aus, und dann könne man sie durch lebende Bäume ersetzen, wenn sich das Geschüft erst einmal übersehen lasse, das doch zweifelhaft sei, solange das Touristenwescn von den Ein¬ heimischen scheel angesehen werde. Wie manche Gründung auf diesem Gebiete wäre diesen wurzellosen Tannen zu vergleichen, die man einmal versuchsweise für ein paar Jahre hinsetzt! Wo der Fremdcuandraug Jahr für Jahr so unanfhaltsnm wächst, wie an der Ostsee und Nordsee, da wird bald jede Hütte zum Gasthaus, allerdings unter beschränkenden Voraussetzungen, wie sie einer meiner Freunde auf H. er¬ lebte, wo der Wirt hartnäckig nnr Junggesellen in seine Fremdenzimmer, das heißt in die neuen Bretterverschläge seines alten Speichers aufnahm, weil seine Mittel noch nicht erlaubten, bis zu dem Grade von Komfort fort¬ zuschreiten, den weibliche Wesen angeblich selbst in einem kleinen Ostseestrand¬ dorfe verlangen. Eine besondre Klasse vou neuen Wirtshäusern wollen wir nicht vergessen, die sich zu den Eisenbahnen ungefähr so verhalten, wie die alten Postgasthänser zu den Poststraßen: die Bahnhofgasthänser. Diese Gasthäuser gegenüber dem Bahnhof sind die eigentlichen Durchgaugshänser. Es wäre viel besser, wenn ein solches Haus den Titel trüge „Passantenhaus." Es ist immer lärmend und natürlich in großen verkehrsreichen Städten vor allem zu meiden, wo jeder Nachtzug neue Gäste bringt. Ans dem Lande ist es das Stelldichein der Eisenbahnbediensteten, im Gebirge der Führer, die hier die Touristen in Empfang nehmen. Es ist immer neu und trägt leider oft schon heute in Spuren frühen Verfalles die Merkmale eines übereilte» Baues. Entsprechend ist die ganz moderne, aber meist billige und schlechte innere Einrichtung. Ju diesem Wandel der Zeiten hat natürlich auch das Innere der Wirtshäuser entsprechende Veränderungen erfahren. Die alten erneuern sich, und die neuen richten sich von vornherein modisch ein. Diese Umwandlung auf ihren ver- schiednen Stufen zu beobachten, ist für den nachdenklichen Wandersmann sehr anziehend. Die alten Wirtshäuser bieten ihm immer Beachtenswertes, und die neuen sind zwar minder erfreulich, aber in ihrer Weise anch lehrreich. Die alten waren auf dem Dorf vergrößerte und bereicherte Bauernhäuser, in der Stadt Bürgerhäuser und in den Marktflecken und Poststationen ein interessantes Mittelding. Wer hat nicht den ursprünglichsten Komfort der hölzernen Ofen¬ bank mit Wonne empfunden, wenn er an einem kühlen Herbstabend einkehrte, und der Tisch mit einem dampfenden Gericht zwischen ihn und den wärmenden Kachelofen gerückt wurde? An passender Stelle fand er neben sich den im Fußboden befestigten Stiefelzieher und den mit einer Kette an die Ofenbank

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/156>, abgerufen am 08.01.2025.