Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Sagenbildung und Sagenentwicklung Beweggründe, von denen die merowingischen Herrscher geleitet wurden. Dies Da bieten sich denn ungesucht die Ereignisse aus der zweiten Hälfte des Hier haben wir. meine ich, wenn auch nicht die Siegfriedsage selbst, so Sagenbildung und Sagenentwicklung Beweggründe, von denen die merowingischen Herrscher geleitet wurden. Dies Da bieten sich denn ungesucht die Ereignisse aus der zweiten Hälfte des Hier haben wir. meine ich, wenn auch nicht die Siegfriedsage selbst, so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227050"/> <fw type="header" place="top"> Sagenbildung und Sagenentwicklung</fw><lb/> <p xml:id="ID_458" prev="#ID_457"> Beweggründe, von denen die merowingischen Herrscher geleitet wurden. Dies<lb/> würde zunächst nur die Annahme nahelegen, daß die Sage ihre endgiltige Aus¬<lb/> bildung in merowingischer Zeit erlangt habe. Aber wir dürfen wohl weiter¬<lb/> gehen und uns in der Geschichte der Merowinger nach Ereignissen umsehen,<lb/> die die Grundlage unsrer Sage gewesen sein konnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_459"> Da bieten sich denn ungesucht die Ereignisse aus der zweiten Hälfte des<lb/> sechsten Jahrhunderts dar, Ereignisse, die das merowingische Haus von Grund<lb/> aus erschütterten, die Merowinger auf der Höhe ihrer Kraft, aber auch ihrer<lb/> Verworfenheit zeigen, und die von so gewaltiger dramatischer Wucht sind, daß<lb/> es sehr verwunderlich wäre, wenn sie in der fränkischen Sage keinerlei Spuren<lb/> hinterlassen hätten. In ihren Hauptzügen sind es folgende: Es herrschen<lb/> gleichzeitig die drei Brüder Chilperich von Neustrien, Guntrcim von Burgund<lb/> und Sigebert von Austrien. Sigebert erscheint gegenüber der sittlichen Ver¬<lb/> kommenheit seiner Brüder als ein strahlender Held, der übrigens seinen Ruf<lb/> durch glückliche Kriegsthaten an der Ostgrenze des Reiches auch verdient. Er<lb/> weicht auch darin von seinen Brüdern ab, daß er nicht, wie sie, mehrere niedrig<lb/> geborne Fränkinnen eheliche, sondern um des westgotischen Königs Athanagild<lb/> Tochter Brunihild freit. Er erhält sie mit ansehnlicher Mitgift in Gold und<lb/> Kostbarkeiten. Dieser äußerliche Gewinn sticht seinem Bruder Chilperich so in<lb/> die Augen, daß er sein fränkisches Weib entläßt und Brunihilds Schwester<lb/> Galsuintha heiratet- Aber kaum hat er sie und ihre Mitgift, so kehrt er zu<lb/> seiner frühern Geliebten Fredegund zurück und läßt Galsuintha töten. So wird<lb/> Brunihilds und Sigeberts Nache herausgefordert; sie ziehen gegen Chilperich zu<lb/> Felde und schlagen und vertreiben ihn. Doch auf der Höhe seiner Macht fällt<lb/> Sigebert plötzlich durch Mörder, die Fredegund ausgesandt hat. Was dem<lb/> noch folgt, ist für uns unwesentlich; nur das sei noch erwähnt, daß der Haß<lb/> der beiden Königinnen bis an ihren Tod dauert und sich auf ihre Nachkommen<lb/> vererbt, sowie daß Brunihild wieder und wieder versucht, für ihre Nachkommen<lb/> die Zügel der Regierung zu führen, und sich nicht scheut, zu Pferde gepanzert<lb/> inmitten aufsässiger Vasallen zu erscheinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_460" next="#ID_461"> Hier haben wir. meine ich, wenn auch nicht die Siegfriedsage selbst, so<lb/> doch ihre wesentlichen Züge ans engem Raume beisammen; die Gruppirung ist<lb/> allerdings in der Geschichte anders als in der Sage. Wesentlich gleich aber<lb/> ist folgendes: Sigebert, der die andern überragt, ist uach Namen und Stellung<lb/> gleich Siegfried (der zweite Bestandteil des Namens Siegfried steht auch in<lb/> der Sage nicht fest, denn der Norden nennt ihn Sigurdr Siegwart); mit<lb/> der Verdrängung der Galsuintha durch Fredegund vergleicht sich die der<lb/> Brunhild durch Kriemhild in der Sage. Am deutlichsten stimmen Sage und<lb/> Geschichte überein in dem Streite der Königinnen und der dadurch hervor-<lb/> gerufnen Ermordung Sigeberts. Die geschichtliche Brnnihild deckt sich nach<lb/> Namen und Charakter völlig mit der Brunhild der Sage. Endlich entspricht,<lb/> etwas seitwärts stehend, Gnntram von Burgund in seiner mehr zuschauenden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0148]
Sagenbildung und Sagenentwicklung
Beweggründe, von denen die merowingischen Herrscher geleitet wurden. Dies
würde zunächst nur die Annahme nahelegen, daß die Sage ihre endgiltige Aus¬
bildung in merowingischer Zeit erlangt habe. Aber wir dürfen wohl weiter¬
gehen und uns in der Geschichte der Merowinger nach Ereignissen umsehen,
die die Grundlage unsrer Sage gewesen sein konnten.
Da bieten sich denn ungesucht die Ereignisse aus der zweiten Hälfte des
sechsten Jahrhunderts dar, Ereignisse, die das merowingische Haus von Grund
aus erschütterten, die Merowinger auf der Höhe ihrer Kraft, aber auch ihrer
Verworfenheit zeigen, und die von so gewaltiger dramatischer Wucht sind, daß
es sehr verwunderlich wäre, wenn sie in der fränkischen Sage keinerlei Spuren
hinterlassen hätten. In ihren Hauptzügen sind es folgende: Es herrschen
gleichzeitig die drei Brüder Chilperich von Neustrien, Guntrcim von Burgund
und Sigebert von Austrien. Sigebert erscheint gegenüber der sittlichen Ver¬
kommenheit seiner Brüder als ein strahlender Held, der übrigens seinen Ruf
durch glückliche Kriegsthaten an der Ostgrenze des Reiches auch verdient. Er
weicht auch darin von seinen Brüdern ab, daß er nicht, wie sie, mehrere niedrig
geborne Fränkinnen eheliche, sondern um des westgotischen Königs Athanagild
Tochter Brunihild freit. Er erhält sie mit ansehnlicher Mitgift in Gold und
Kostbarkeiten. Dieser äußerliche Gewinn sticht seinem Bruder Chilperich so in
die Augen, daß er sein fränkisches Weib entläßt und Brunihilds Schwester
Galsuintha heiratet- Aber kaum hat er sie und ihre Mitgift, so kehrt er zu
seiner frühern Geliebten Fredegund zurück und läßt Galsuintha töten. So wird
Brunihilds und Sigeberts Nache herausgefordert; sie ziehen gegen Chilperich zu
Felde und schlagen und vertreiben ihn. Doch auf der Höhe seiner Macht fällt
Sigebert plötzlich durch Mörder, die Fredegund ausgesandt hat. Was dem
noch folgt, ist für uns unwesentlich; nur das sei noch erwähnt, daß der Haß
der beiden Königinnen bis an ihren Tod dauert und sich auf ihre Nachkommen
vererbt, sowie daß Brunihild wieder und wieder versucht, für ihre Nachkommen
die Zügel der Regierung zu führen, und sich nicht scheut, zu Pferde gepanzert
inmitten aufsässiger Vasallen zu erscheinen.
Hier haben wir. meine ich, wenn auch nicht die Siegfriedsage selbst, so
doch ihre wesentlichen Züge ans engem Raume beisammen; die Gruppirung ist
allerdings in der Geschichte anders als in der Sage. Wesentlich gleich aber
ist folgendes: Sigebert, der die andern überragt, ist uach Namen und Stellung
gleich Siegfried (der zweite Bestandteil des Namens Siegfried steht auch in
der Sage nicht fest, denn der Norden nennt ihn Sigurdr Siegwart); mit
der Verdrängung der Galsuintha durch Fredegund vergleicht sich die der
Brunhild durch Kriemhild in der Sage. Am deutlichsten stimmen Sage und
Geschichte überein in dem Streite der Königinnen und der dadurch hervor-
gerufnen Ermordung Sigeberts. Die geschichtliche Brnnihild deckt sich nach
Namen und Charakter völlig mit der Brunhild der Sage. Endlich entspricht,
etwas seitwärts stehend, Gnntram von Burgund in seiner mehr zuschauenden
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