Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Sagenbildung und Sagenentwicklung dadurch unermeßlich reich, verlobt sich mit der Walkürenhaften Brunhild, zieht Dies dürfte die älteste Fassung der Sage sein, die sich freilich aus den Mit dem ersten Teile ist diese unzweifelhaft aus Geschichte entstandne Sagenbildung und Sagenentwicklung dadurch unermeßlich reich, verlobt sich mit der Walkürenhaften Brunhild, zieht Dies dürfte die älteste Fassung der Sage sein, die sich freilich aus den Mit dem ersten Teile ist diese unzweifelhaft aus Geschichte entstandne <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227048"/> <fw type="header" place="top"> Sagenbildung und Sagenentwicklung</fw><lb/> <p xml:id="ID_451" prev="#ID_450"> dadurch unermeßlich reich, verlobt sich mit der Walkürenhaften Brunhild, zieht<lb/> dann an den Hof des Burgundenkönigs Gibich und vermählt sich dort mit<lb/> dessen Tochter Kriemhild. Die verlassene Brunhild erwirbt er dann für den<lb/> neu gewonnenen Schwager Günther. Diese Erwerbung ist mit Schwierig¬<lb/> keiten verknüpft, die nur der echte Bräutigam Siegfried überwinden kann. So<lb/> muß dieser dem Günther bei der Gewinnung in betrügerischer Weise helfen.<lb/> Doch das wird sein Unheil: Brunhild erführe durch einen Zank mit Kriemhild<lb/> die nähern Umstünde und gewinnt ihren Gemahl und die Seinen für ihre Rache:<lb/> Siegfried wird in ihrem Auftrage von Hagen ermordet, sein Schatz kommt in<lb/> den Besitz der burgundischen Könige, seine Witwe Kriemhild aber nimmt nach<lb/> einiger Zeit von ihren Brüdern die Mordbnße an und versöhnt sich mit ihnen.<lb/> Später wird sie die Gattin des Hnnnenkönigs Attila. Dieser, gierig nach dem<lb/> Horte seiner Schwäger, lockt sie zu sich und tötet sie samt ihren Mannen.<lb/> Kriemhild übernimmt dann die Rache für ihr Geschlecht und tötet den Attila.</p><lb/> <p xml:id="ID_452"> Dies dürfte die älteste Fassung der Sage sein, die sich freilich aus den<lb/> verschiednen Formen der Überlieferung nur schwer ableiten läßt; besonders<lb/> im ersten Teile bleibt es im einzelnen nicht selten zweifelhaft, ob diese oder<lb/> jene Form der Erzählung als altertümlicher vorzuziehen sei. Aber auf den<lb/> ersten Blick ist klar und auch längst erkannt, daß die Erzählung in zwei nur<lb/> lose verbundne Teile zerfüllt: die Geschichte von Siegfried und die Geschichte<lb/> von dem Untergange der Burgunden und Attilas Tode. Während nun der<lb/> erste Teil jeder Art von Deutung große Schwierigkeiten entgegenstellt, ist die<lb/> des zweiten längst festgestellt: zwei geschichtliche Ereignisse des fünften Jahr¬<lb/> hunderts, die Zerstörung des mittelrheinischen Vurgundenstaats unter Gnndicari<lb/> durch Aetius mit hunnischer Hilfe im Jahre 437, und Attilas plötzlicher Tod<lb/> an der Seite seiner neuesten Gattin Hildiko im Jahre 453 sind mit einander<lb/> in folgender Weise in ursächlichen Zusammenhang gebracht: die Hunnen des<lb/> Aetius sind Hunnen Attilas geworden, Hildiko gilt, wie schon gleichzeitige<lb/> Gerüchte besagten, als Attilas Mörderin, und zwar als eine burgundische<lb/> Fürstin, die den Untergang ihres Volkes rächt, Damit ist der geschichtliche<lb/> Ursprung dieses Teiles und der in ihm handelnd austretenden Sagengestalten<lb/> Günther, Etzel und Kriemhild erwiesen (der Name Hildiko ist Koseform eines<lb/> mit -bitt zusammengesetzten Frauennamens, darf also unmittelbar mit Kriemhild<lb/> verglichen werden).</p><lb/> <p xml:id="ID_453"> Mit dem ersten Teile ist diese unzweifelhaft aus Geschichte entstandne<lb/> Sage nur dadurch verknüpft, daß auch dort gewisse Personen (Günther, Kriem¬<lb/> hild) und Sachen (der Schatz) des zweiten Teils eine Rolle spielen. Diese<lb/> Personen und Sachen können aber entweder durch Gleichsetzung oder durch<lb/> Übertritt aus einem in den andern Teil beiden gemeinsam geworden sein:<lb/> jedenfalls beweisen sie nichts für eine alte Zusammengehörigkeit der dnrch eine<lb/> klaffende Lücke geschiednen Abschnitte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0146]
Sagenbildung und Sagenentwicklung
dadurch unermeßlich reich, verlobt sich mit der Walkürenhaften Brunhild, zieht
dann an den Hof des Burgundenkönigs Gibich und vermählt sich dort mit
dessen Tochter Kriemhild. Die verlassene Brunhild erwirbt er dann für den
neu gewonnenen Schwager Günther. Diese Erwerbung ist mit Schwierig¬
keiten verknüpft, die nur der echte Bräutigam Siegfried überwinden kann. So
muß dieser dem Günther bei der Gewinnung in betrügerischer Weise helfen.
Doch das wird sein Unheil: Brunhild erführe durch einen Zank mit Kriemhild
die nähern Umstünde und gewinnt ihren Gemahl und die Seinen für ihre Rache:
Siegfried wird in ihrem Auftrage von Hagen ermordet, sein Schatz kommt in
den Besitz der burgundischen Könige, seine Witwe Kriemhild aber nimmt nach
einiger Zeit von ihren Brüdern die Mordbnße an und versöhnt sich mit ihnen.
Später wird sie die Gattin des Hnnnenkönigs Attila. Dieser, gierig nach dem
Horte seiner Schwäger, lockt sie zu sich und tötet sie samt ihren Mannen.
Kriemhild übernimmt dann die Rache für ihr Geschlecht und tötet den Attila.
Dies dürfte die älteste Fassung der Sage sein, die sich freilich aus den
verschiednen Formen der Überlieferung nur schwer ableiten läßt; besonders
im ersten Teile bleibt es im einzelnen nicht selten zweifelhaft, ob diese oder
jene Form der Erzählung als altertümlicher vorzuziehen sei. Aber auf den
ersten Blick ist klar und auch längst erkannt, daß die Erzählung in zwei nur
lose verbundne Teile zerfüllt: die Geschichte von Siegfried und die Geschichte
von dem Untergange der Burgunden und Attilas Tode. Während nun der
erste Teil jeder Art von Deutung große Schwierigkeiten entgegenstellt, ist die
des zweiten längst festgestellt: zwei geschichtliche Ereignisse des fünften Jahr¬
hunderts, die Zerstörung des mittelrheinischen Vurgundenstaats unter Gnndicari
durch Aetius mit hunnischer Hilfe im Jahre 437, und Attilas plötzlicher Tod
an der Seite seiner neuesten Gattin Hildiko im Jahre 453 sind mit einander
in folgender Weise in ursächlichen Zusammenhang gebracht: die Hunnen des
Aetius sind Hunnen Attilas geworden, Hildiko gilt, wie schon gleichzeitige
Gerüchte besagten, als Attilas Mörderin, und zwar als eine burgundische
Fürstin, die den Untergang ihres Volkes rächt, Damit ist der geschichtliche
Ursprung dieses Teiles und der in ihm handelnd austretenden Sagengestalten
Günther, Etzel und Kriemhild erwiesen (der Name Hildiko ist Koseform eines
mit -bitt zusammengesetzten Frauennamens, darf also unmittelbar mit Kriemhild
verglichen werden).
Mit dem ersten Teile ist diese unzweifelhaft aus Geschichte entstandne
Sage nur dadurch verknüpft, daß auch dort gewisse Personen (Günther, Kriem¬
hild) und Sachen (der Schatz) des zweiten Teils eine Rolle spielen. Diese
Personen und Sachen können aber entweder durch Gleichsetzung oder durch
Übertritt aus einem in den andern Teil beiden gemeinsam geworden sein:
jedenfalls beweisen sie nichts für eine alte Zusammengehörigkeit der dnrch eine
klaffende Lücke geschiednen Abschnitte.
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