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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Der Auszug der deutschen Professoren

Maßregel war jedoch eine andre, als man in gewissen Kreisen gehofft haben
dürfte. Nach vergeblicher Reklamation erfolgte eine Beschwerde beim deutschen
Gesandten in Bern, und dieser nahm sich der Sache aufs wärmste an. Da
hielt es die Negierung doch für angebracht, einzulenken: am 9. November
empfingen beide Herren eine Anweisung auf den fälligen Gehalt. Das ganze
Verfahren wurde aufs ungeschickteste begründet: nicht um eine Sperrung habe
es sich gehandelt, sondern um eine "Suspcndirung," um die Herren zu einer
Aussprache vor dem Erziehungsdirektor zu veranlassen. Nur schade, daß
diese treffliche Begründung erst mehrere Wochen nach der Gehaltsverweigerung
auftauchte!

Es konnte nicht ausbleiben, daß das Vorkommnis den Weg in die Öffent¬
lichkeit fand. Sprach doch ganz Freiburg von nichts anderm. Die Nachricht
lief auch durch die Zeitungen. Die Versuche, sie abzuleugnen, scheiterten kläg¬
lich. Eine Zuschrift, die der Redakteur des Freiburger Regierungsblattes,
der laböM, an die Neue Zürcher Zeitung schickte, und worin er eine mit
groben Ausfällen gespickte, arg entstellte Schilderung der wirklichen Vorgänge
gab, war der Tropfen, der das bis zum Rande gefüllte Gefäß endlich zum
Überlaufen brachte. Man kam überein, mit dem Schlüsse des Semesters sein
Bündel zu schnüren. Unter dem Eindruck der erwähnten Zeitungsmitteilung
wurde der Regierung die gemeinsame Demissionserklürung übergeben und zu¬
gleich eiuer Anzahl von Tagesblättern von dem Schritte Mitteilung gemacht.
Die scheidenden Universitätslehrer sind die Herren Effmcmn (Kunstgeschichte),
Gottlob (historische Nationalökonomie), Hardy (Religionsgeschichte, indische
Sprache und Litteratur), Jostes (germanische Philologie), Lörkens (Strafrecht),
von Savigny (deutsches Recht), Streitberg (indogermanische Sprachwissenschaft,
Sanskrit), Sturm (klassische Philologie). Dazu kommt noch Professor Wasser¬
rad (Nationalökonomie), der gleichzeitig in den Verband der Münchner Uni¬
versität, der er bis zu seiner Berufung angehörte, zurückgekehrt ist.

Die Folgen dieses Schrittes für die Freiburger Hochschule lassen sich
leicht voraussehen. Sie wird -- daran ist nicht zu zweifeln -- mit der Zeit
ganz ins französische Fahrwasser einlenken. Zwar wirken an ihr jetzt noch
immer fünfzehn reichsdcutsche Dozenten, und diese stattliche Zahl ist denn auch
dazu benutzt worden, das Vorhandensein eines nationalen Zwiespalts ab¬
zuleugnen. Aber von dieser Zahl sind zunächst abzuziehen die beiden reichs-
deutschcn Dominikanerpatres, weil diese in allem von den Befehlen der Ordens¬
obern abhängig sind, ferner einer, der zwar Preuße ist, jedoch der polnischen
Nationalität angehört, ein andrer, der mit der Absicht umgeht, das Schweizer
Bürgerrecht zu erwerben, ein dritter, der in der Kölnischen Volkszeitung erklärt
hat, daß er schon früher seine Entlassung eingereicht habe, aber auf dringenden
Wunsch der Regierung vorläufig weiter lese; ein vierter ist als Mitglied des
Preußischen Abgeordnetenhauses seit Jahren verhindert, Vorlesungen zu halten,


Grenzboten I 1M8 18
Der Auszug der deutschen Professoren

Maßregel war jedoch eine andre, als man in gewissen Kreisen gehofft haben
dürfte. Nach vergeblicher Reklamation erfolgte eine Beschwerde beim deutschen
Gesandten in Bern, und dieser nahm sich der Sache aufs wärmste an. Da
hielt es die Negierung doch für angebracht, einzulenken: am 9. November
empfingen beide Herren eine Anweisung auf den fälligen Gehalt. Das ganze
Verfahren wurde aufs ungeschickteste begründet: nicht um eine Sperrung habe
es sich gehandelt, sondern um eine „Suspcndirung," um die Herren zu einer
Aussprache vor dem Erziehungsdirektor zu veranlassen. Nur schade, daß
diese treffliche Begründung erst mehrere Wochen nach der Gehaltsverweigerung
auftauchte!

Es konnte nicht ausbleiben, daß das Vorkommnis den Weg in die Öffent¬
lichkeit fand. Sprach doch ganz Freiburg von nichts anderm. Die Nachricht
lief auch durch die Zeitungen. Die Versuche, sie abzuleugnen, scheiterten kläg¬
lich. Eine Zuschrift, die der Redakteur des Freiburger Regierungsblattes,
der laböM, an die Neue Zürcher Zeitung schickte, und worin er eine mit
groben Ausfällen gespickte, arg entstellte Schilderung der wirklichen Vorgänge
gab, war der Tropfen, der das bis zum Rande gefüllte Gefäß endlich zum
Überlaufen brachte. Man kam überein, mit dem Schlüsse des Semesters sein
Bündel zu schnüren. Unter dem Eindruck der erwähnten Zeitungsmitteilung
wurde der Regierung die gemeinsame Demissionserklürung übergeben und zu¬
gleich eiuer Anzahl von Tagesblättern von dem Schritte Mitteilung gemacht.
Die scheidenden Universitätslehrer sind die Herren Effmcmn (Kunstgeschichte),
Gottlob (historische Nationalökonomie), Hardy (Religionsgeschichte, indische
Sprache und Litteratur), Jostes (germanische Philologie), Lörkens (Strafrecht),
von Savigny (deutsches Recht), Streitberg (indogermanische Sprachwissenschaft,
Sanskrit), Sturm (klassische Philologie). Dazu kommt noch Professor Wasser¬
rad (Nationalökonomie), der gleichzeitig in den Verband der Münchner Uni¬
versität, der er bis zu seiner Berufung angehörte, zurückgekehrt ist.

Die Folgen dieses Schrittes für die Freiburger Hochschule lassen sich
leicht voraussehen. Sie wird — daran ist nicht zu zweifeln — mit der Zeit
ganz ins französische Fahrwasser einlenken. Zwar wirken an ihr jetzt noch
immer fünfzehn reichsdcutsche Dozenten, und diese stattliche Zahl ist denn auch
dazu benutzt worden, das Vorhandensein eines nationalen Zwiespalts ab¬
zuleugnen. Aber von dieser Zahl sind zunächst abzuziehen die beiden reichs-
deutschcn Dominikanerpatres, weil diese in allem von den Befehlen der Ordens¬
obern abhängig sind, ferner einer, der zwar Preuße ist, jedoch der polnischen
Nationalität angehört, ein andrer, der mit der Absicht umgeht, das Schweizer
Bürgerrecht zu erwerben, ein dritter, der in der Kölnischen Volkszeitung erklärt
hat, daß er schon früher seine Entlassung eingereicht habe, aber auf dringenden
Wunsch der Regierung vorläufig weiter lese; ein vierter ist als Mitglied des
Preußischen Abgeordnetenhauses seit Jahren verhindert, Vorlesungen zu halten,


Grenzboten I 1M8 18
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/141>, abgerufen am 08.01.2025.