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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Der Auszug der deutschen Professoren

war der Selbstherrscher Freiburgs schon seit langen Jahren nicht mehr ge¬
wöhnt. Was Wunder, daß er es angenehmer sand, ohne Grundgesetz weiter
zu regieren. Die unwillkommnem Mahner aber sollten lernen, daß man die
Ruhe des Allmächtigen nicht straflos störe; sie sollten mürbe gemacht und
zum Gehorsam gebracht werden. nützte alles nichts, so wurde eine Plenar-
versammlung der Universitätslehrer einfach verboten, oder die Statuten wurden
irgendwie "ergänzt," Was auf diesem Wege geleistet werden kann, haben die
Reichsdeutschen und Deutschschweizer in den letzten Semestern, insbesondre im
vergangnen Sommerhalbjahr staunend erfahren. Wagler sie zu Protestiren,
so erfolgten Erlasse, wie sie ihrem Tone nach in der Universitätsgeschichte
wohl einzig dastehen dürften. Daneben lief eine wilde Hetze gegen einzelne,
besonders mißliebige Persönlichkeiten her, die man mit allen Mitteln vernichten
wollte. Daß die Stimmung unter solchen Umständen sehr erregt war, ist be¬
greiflich. Sie wurde nicht gebessert durch die Erfahrung, die ein Dozent noch
am Schlüsse des letzten Semesters machen mußte. Ihm war wie andern bei
der Gründung der Universität berufnen von dem Vertreter der Freiburger
Negierung, Herrn Dccurtins, zugesichert worden, daß er nach Ablauf der ersten
fünfjährigen Anstellungsperiode auf Lebenszeit angestellt werden solle, und
ein notarieller Vertrag bekräftigte diese Zusicherung. In Freiburg mußte er
erfahren, daß die Erfüllung dieses Versprechens nicht so einfach sei, da die
Verfassung des Kantons widerspreche. Als nun nach Jahren die Grundlagen
der Universität ins Wanken kamen, und von der Erziehungsdirektion eine Um¬
gestaltung der Organisation mit dürren Worten angedroht wurde, hielt es
jener Dozent für angebracht, die Probe darauf zu machen, ob die Regierung
ihre privatrechtlichen Verpflichtungen in gleicher Weise zu behandeln gesonnen
sei. In der That weigerte sich diese, ihren Verpflichtungen nachzukommen.

So ging man im August 1897 in die Ferien. Eine Anzahl von Professoren
war schon damals fest entschlossen, über kurz oder lang Freiburg zu verlassen.
Die Regierung war also nahe daran, ihr Ziel zu erreichen, das darin bestand,
die Mißliebigen einzeln und in aller Stille wegzuärgern. Es sollte aber
anders kommen. Der erste Gruß, der den aus den Ferien zurückkehrenden bei
Beginn des Wintersemesters zu teil ward, war die Nachricht, daß zwei Kollegen,
den Professoren Jostes und Hardy, der am 1. Oktober fällige Gehalt gesperrt
sei. Man war zuerst geneigt, diese Nachricht für einen schlechten Witz zu
halten. Sie bestätigte sich aber bald. An der Kasse war den beiden einfach
erklärt worden, es sei für sie kein Gehalt da. Von einer vorausgegangnen
Untersuchung, von einem Richterspruch, ja selbst von einer vorherigen Mit¬
teilung war keine Rede. Über die Gründe herrschte völliges Dunkel; man
wußte nur, daß beide Herren mißliebig waren, daß man ihnen im letzten
Semester das Leben nach Kräften schwer gemacht hatte, und daß sie. so gut
es gehen wollte, sich ihrer Haut zu wehren gesucht hatten. Die Folge dieser


Der Auszug der deutschen Professoren

war der Selbstherrscher Freiburgs schon seit langen Jahren nicht mehr ge¬
wöhnt. Was Wunder, daß er es angenehmer sand, ohne Grundgesetz weiter
zu regieren. Die unwillkommnem Mahner aber sollten lernen, daß man die
Ruhe des Allmächtigen nicht straflos störe; sie sollten mürbe gemacht und
zum Gehorsam gebracht werden. nützte alles nichts, so wurde eine Plenar-
versammlung der Universitätslehrer einfach verboten, oder die Statuten wurden
irgendwie „ergänzt," Was auf diesem Wege geleistet werden kann, haben die
Reichsdeutschen und Deutschschweizer in den letzten Semestern, insbesondre im
vergangnen Sommerhalbjahr staunend erfahren. Wagler sie zu Protestiren,
so erfolgten Erlasse, wie sie ihrem Tone nach in der Universitätsgeschichte
wohl einzig dastehen dürften. Daneben lief eine wilde Hetze gegen einzelne,
besonders mißliebige Persönlichkeiten her, die man mit allen Mitteln vernichten
wollte. Daß die Stimmung unter solchen Umständen sehr erregt war, ist be¬
greiflich. Sie wurde nicht gebessert durch die Erfahrung, die ein Dozent noch
am Schlüsse des letzten Semesters machen mußte. Ihm war wie andern bei
der Gründung der Universität berufnen von dem Vertreter der Freiburger
Negierung, Herrn Dccurtins, zugesichert worden, daß er nach Ablauf der ersten
fünfjährigen Anstellungsperiode auf Lebenszeit angestellt werden solle, und
ein notarieller Vertrag bekräftigte diese Zusicherung. In Freiburg mußte er
erfahren, daß die Erfüllung dieses Versprechens nicht so einfach sei, da die
Verfassung des Kantons widerspreche. Als nun nach Jahren die Grundlagen
der Universität ins Wanken kamen, und von der Erziehungsdirektion eine Um¬
gestaltung der Organisation mit dürren Worten angedroht wurde, hielt es
jener Dozent für angebracht, die Probe darauf zu machen, ob die Regierung
ihre privatrechtlichen Verpflichtungen in gleicher Weise zu behandeln gesonnen
sei. In der That weigerte sich diese, ihren Verpflichtungen nachzukommen.

So ging man im August 1897 in die Ferien. Eine Anzahl von Professoren
war schon damals fest entschlossen, über kurz oder lang Freiburg zu verlassen.
Die Regierung war also nahe daran, ihr Ziel zu erreichen, das darin bestand,
die Mißliebigen einzeln und in aller Stille wegzuärgern. Es sollte aber
anders kommen. Der erste Gruß, der den aus den Ferien zurückkehrenden bei
Beginn des Wintersemesters zu teil ward, war die Nachricht, daß zwei Kollegen,
den Professoren Jostes und Hardy, der am 1. Oktober fällige Gehalt gesperrt
sei. Man war zuerst geneigt, diese Nachricht für einen schlechten Witz zu
halten. Sie bestätigte sich aber bald. An der Kasse war den beiden einfach
erklärt worden, es sei für sie kein Gehalt da. Von einer vorausgegangnen
Untersuchung, von einem Richterspruch, ja selbst von einer vorherigen Mit¬
teilung war keine Rede. Über die Gründe herrschte völliges Dunkel; man
wußte nur, daß beide Herren mißliebig waren, daß man ihnen im letzten
Semester das Leben nach Kräften schwer gemacht hatte, und daß sie. so gut
es gehen wollte, sich ihrer Haut zu wehren gesucht hatten. Die Folge dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/140>, abgerufen am 08.01.2025.