Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Das Wesen des Staats demokratie einen Widerspruch, und ihr Streben geht wider die menschliche Als Zweck des Staats läßt sich kein Maximum seiner Leistungen be¬ Als sittliche Gesamtpersönlichkeit steht der Staat unter dem allgemeinen Das Wesen des Staats demokratie einen Widerspruch, und ihr Streben geht wider die menschliche Als Zweck des Staats läßt sich kein Maximum seiner Leistungen be¬ Als sittliche Gesamtpersönlichkeit steht der Staat unter dem allgemeinen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226915"/> <fw type="header" place="top"> Das Wesen des Staats</fw><lb/> <p xml:id="ID_10" prev="#ID_9"> demokratie einen Widerspruch, und ihr Streben geht wider die menschliche<lb/> Natur. Der Staat kann also die Arbeit der Gesellschaft nur ordnen und schützen,<lb/> er kann und soll gar nicht alles leiten, aber er ist die Voraussetzung für die<lb/> Dauer der Völker. Die „Volksseele" (als ein wollendes, also wirkendes Wesen)<lb/> ist „eine modisch gewordne Gelehrtenverirrnng," denn die Volksseele kann<lb/> gar nichts wollen, wollen kann sie nur durch den Staat und im Staate.<lb/> Daher ist auch alle Geschichte zuerst politische Geschichte; Gelehrte und Künstler<lb/> gehören auch in die Geschichte, aber das geschichtliche Leben geht in ihrem<lb/> Schaffen nicht auf, und rein kulturgeschichtliche Werke, die vom Staat und von<lb/> der Welt der That absehen, haben immer etwas Lückenhaftes. Im übrigen „ist es<lb/> eine wunderliche Eitelkeit unsers Jahrhunderts, zu meinen, daß diese Geschichte<lb/> der Kultur in Geschichtswerken etwas neues sei"; schon Herodot hat zur vollen<lb/> Hülste Kulturgeschichte. Aber sie kann allenfalls auch fehlen, die Politik da¬<lb/> gegen niemals. Ein Geschichtsschreiber ohne politischen Sinn wird also niemals<lb/> in den Kern der Dinge eindringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_11"> Als Zweck des Staats läßt sich kein Maximum seiner Leistungen be¬<lb/> stimmen, da er sich kraft seiner Souveränität selbst die Grenzen seines Wirkens<lb/> setzt, sondern nnr ein Minimum, und dies besteht auch bei den unvoll¬<lb/> kommensten Staaten im Waffenschutz nach außen, im Rechtsschutz nach innen.<lb/> Also ergiebt sich der Krieg ans dem Wesen des Staats, und er kann zwar<lb/> seltner werden, aber nie aufhören, solange es Staaten giebt; der „ewige<lb/> Friede" ist schon ein logischer Unsinn. So erscheinen Heerwesen, Rechtspflege<lb/> und Finanzwirtschaft als die nächsten Aufgaben des Staats. Aber seine<lb/> Thätigkeit erweitert sich mit der Entwicklung der.Kultur, nur daß sie zugleich<lb/> immer indirekter wird, und da der Staat seinem Wesen nach eine sittliche<lb/> Gesnmtpersönlichkeit ist, so hat er das Volk zu einem wirtlichen Gesnmtcharakter<lb/> auszubilden.</p><lb/> <p xml:id="ID_12"> Als sittliche Gesamtpersönlichkeit steht der Staat unter dem allgemeinen<lb/> Sittengesetz und darf sich nur sittliche Zwecke setzen, wenn er sich nicht selbst<lb/> aufheben will; die bloße Zweckmäßigkeit als oberstes Gesetz für staatliche<lb/> Handlungen, wie es Maechiavelli aufgestellt hat, ist deshalb unhaltbar. Wenn<lb/> Politik und Moral in Gegensatz geraten, so ist das ein Gegensatz entweder<lb/> zwischen zwei Pflichten, wie er mich im Privatleben tausendfach vorkommt,<lb/> oder zwischen politischem Handeln und positivem Recht. Diesen muß der<lb/> Staatsmann lösen nach dem Wesen des Staats, und das macht es dem<lb/> Staate zur obersten aller Pflichten, seine Macht, d. h. sich selbst zu behaupten,<lb/> weil es etwas Höheres über ihm gar nicht giebt. Der Einzelne kann und<lb/> muß sich dem Ganzen opfern, ein Ganzes, dem sich der Staat, einer, der es<lb/> wirklich ist, opfern könnte, giebt es nicht. Daß ein Staatsmann nicht ohne<lb/> tragische Schuld aus solchen Konflikten hervorgeht, folgt aus der allgemeinen<lb/> Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0013]
Das Wesen des Staats
demokratie einen Widerspruch, und ihr Streben geht wider die menschliche
Natur. Der Staat kann also die Arbeit der Gesellschaft nur ordnen und schützen,
er kann und soll gar nicht alles leiten, aber er ist die Voraussetzung für die
Dauer der Völker. Die „Volksseele" (als ein wollendes, also wirkendes Wesen)
ist „eine modisch gewordne Gelehrtenverirrnng," denn die Volksseele kann
gar nichts wollen, wollen kann sie nur durch den Staat und im Staate.
Daher ist auch alle Geschichte zuerst politische Geschichte; Gelehrte und Künstler
gehören auch in die Geschichte, aber das geschichtliche Leben geht in ihrem
Schaffen nicht auf, und rein kulturgeschichtliche Werke, die vom Staat und von
der Welt der That absehen, haben immer etwas Lückenhaftes. Im übrigen „ist es
eine wunderliche Eitelkeit unsers Jahrhunderts, zu meinen, daß diese Geschichte
der Kultur in Geschichtswerken etwas neues sei"; schon Herodot hat zur vollen
Hülste Kulturgeschichte. Aber sie kann allenfalls auch fehlen, die Politik da¬
gegen niemals. Ein Geschichtsschreiber ohne politischen Sinn wird also niemals
in den Kern der Dinge eindringen.
Als Zweck des Staats läßt sich kein Maximum seiner Leistungen be¬
stimmen, da er sich kraft seiner Souveränität selbst die Grenzen seines Wirkens
setzt, sondern nnr ein Minimum, und dies besteht auch bei den unvoll¬
kommensten Staaten im Waffenschutz nach außen, im Rechtsschutz nach innen.
Also ergiebt sich der Krieg ans dem Wesen des Staats, und er kann zwar
seltner werden, aber nie aufhören, solange es Staaten giebt; der „ewige
Friede" ist schon ein logischer Unsinn. So erscheinen Heerwesen, Rechtspflege
und Finanzwirtschaft als die nächsten Aufgaben des Staats. Aber seine
Thätigkeit erweitert sich mit der Entwicklung der.Kultur, nur daß sie zugleich
immer indirekter wird, und da der Staat seinem Wesen nach eine sittliche
Gesnmtpersönlichkeit ist, so hat er das Volk zu einem wirtlichen Gesnmtcharakter
auszubilden.
Als sittliche Gesamtpersönlichkeit steht der Staat unter dem allgemeinen
Sittengesetz und darf sich nur sittliche Zwecke setzen, wenn er sich nicht selbst
aufheben will; die bloße Zweckmäßigkeit als oberstes Gesetz für staatliche
Handlungen, wie es Maechiavelli aufgestellt hat, ist deshalb unhaltbar. Wenn
Politik und Moral in Gegensatz geraten, so ist das ein Gegensatz entweder
zwischen zwei Pflichten, wie er mich im Privatleben tausendfach vorkommt,
oder zwischen politischem Handeln und positivem Recht. Diesen muß der
Staatsmann lösen nach dem Wesen des Staats, und das macht es dem
Staate zur obersten aller Pflichten, seine Macht, d. h. sich selbst zu behaupten,
weil es etwas Höheres über ihm gar nicht giebt. Der Einzelne kann und
muß sich dem Ganzen opfern, ein Ganzes, dem sich der Staat, einer, der es
wirklich ist, opfern könnte, giebt es nicht. Daß ein Staatsmann nicht ohne
tragische Schuld aus solchen Konflikten hervorgeht, folgt aus der allgemeinen
Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts.
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