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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Zeitfragen

rein technische Ämter und für die untersten. Sie muß so bestimmt ausgeprägt
und bethätigt sein, daß sie auch nach der unwiderruflichen Anstellung gesichert
erscheint. Daß die Eltern des Amtsanwärters mit Liebe an der französischen
Vergangenheit hängen, ist kein Hindernis; der Sohn soll seinen Eltern darum
keine geringere Pietät beweisen, es empfiehlt ihn nicht, wenn er sie darum
vernachlässigt. Aber der Sohn selber muß, um angestellt zu werden, die fran¬
zösische Tradition innerlich und äußerlich überwunden haben, ein Deutscher
sein und sich auch so geben. Er hat das ganze welsche Gethue abzulegen und
abzuweisen; so darf er auch nicht die französische Sprache bevorzugen. Unter
den Gründen, worauf die Parlirerei zurückzuführen ist, die in den siebenund¬
zwanzig Jahren eher zu- als abgenommen hat, befindet sich keiner, der nicht
wenigstens trennend wirkte, und der Beamte soll sich zu uns halten, sich nicht
von uns absondern.

Dann gehört zum Beamten auch Charakter. Die deutsche Amtsauffassung
verlangt Hingebung des ganzen Menschen an das Amt; hiergegen treten Ver¬
sorgung und persönliches Ansehen zurück, und die Vorbereitung mit ihren
Prüfungen und Aufwendungen giebt ohne Charakter keinen Anspruch darauf,
angestellt zu werden.

Überall bleibt ja die Wirklichkeit hinter der Forderung zurück, aber die
Übereinstimmung beider muß überall das Ziel sein, zumal in einem neu er-
worbnen Lande, das von den Beamten besonders viel verlangt. Wie sieht es
nun hierzulande mit der Wirklichkeit aus? An der Amtsstellung wird fast
allgemein nur der "gute Platz" geschätzt, Anstellung und Vorrücken werden
durchweg als feste Ansprüche angesehen, etwa wie der auf eine Leibrente, die
Frage nach deutscher Gesinnung und nach Charakter ist durchaus untergeordnet.
Es giebt ja Ausnahmen, und in einigen Dienstzweigen, in der Forstverwaltung
z. B. und im Zollwesen, sind sie nicht vereinzelt; die Regel jedoch habe ich
richtig ausgedrückt. Es ist auch kein Fortschritt, sondern eher ein Rückschritt
zu merken. Es muß zugegeben werden, daß auch in unsern Kreisen die Herab¬
würdigung des Amtsbcgriffs recht verbreitet ist, aber in den sogenannten ein¬
heimischen ist sie es noch mehr, und unsre deutsche Gesinnung beschränkt sich
doch nicht auf Teilnahme am Kaiserfeste und an sonstigen Feierlichkeiten. Bei
uns ist sie ein Stück des Gemüts und durchdringt den ganzen Menschen.
Wenn wir dem französischen Wesen gegenüber schwach genng sind, so beteiligen
sich doch nur wenige von uns aktiv an der Parlirerei, während sie in den
einheimischen Beamtenkreisen von Vater und Mutter, Kind und Kegel mit der¬
selben Aufdringlichkeit gepflegt wird wie sonst in den "bessern" Familien.
Was den Charakter anbelangt, so sind ja unter uns Altdeutschen Streberei,
die Neigung zum Wohlleben, Großthuerei häufige Erscheinungen, aber das
eingeborne Element ist damit ebenso stark, nur weniger auffällig behaftet, und
wir leiden wenigstens nicht an einem besonders gefährlichen Zusatz. Ich meine


Reichsländische Zeitfragen

rein technische Ämter und für die untersten. Sie muß so bestimmt ausgeprägt
und bethätigt sein, daß sie auch nach der unwiderruflichen Anstellung gesichert
erscheint. Daß die Eltern des Amtsanwärters mit Liebe an der französischen
Vergangenheit hängen, ist kein Hindernis; der Sohn soll seinen Eltern darum
keine geringere Pietät beweisen, es empfiehlt ihn nicht, wenn er sie darum
vernachlässigt. Aber der Sohn selber muß, um angestellt zu werden, die fran¬
zösische Tradition innerlich und äußerlich überwunden haben, ein Deutscher
sein und sich auch so geben. Er hat das ganze welsche Gethue abzulegen und
abzuweisen; so darf er auch nicht die französische Sprache bevorzugen. Unter
den Gründen, worauf die Parlirerei zurückzuführen ist, die in den siebenund¬
zwanzig Jahren eher zu- als abgenommen hat, befindet sich keiner, der nicht
wenigstens trennend wirkte, und der Beamte soll sich zu uns halten, sich nicht
von uns absondern.

Dann gehört zum Beamten auch Charakter. Die deutsche Amtsauffassung
verlangt Hingebung des ganzen Menschen an das Amt; hiergegen treten Ver¬
sorgung und persönliches Ansehen zurück, und die Vorbereitung mit ihren
Prüfungen und Aufwendungen giebt ohne Charakter keinen Anspruch darauf,
angestellt zu werden.

Überall bleibt ja die Wirklichkeit hinter der Forderung zurück, aber die
Übereinstimmung beider muß überall das Ziel sein, zumal in einem neu er-
worbnen Lande, das von den Beamten besonders viel verlangt. Wie sieht es
nun hierzulande mit der Wirklichkeit aus? An der Amtsstellung wird fast
allgemein nur der „gute Platz" geschätzt, Anstellung und Vorrücken werden
durchweg als feste Ansprüche angesehen, etwa wie der auf eine Leibrente, die
Frage nach deutscher Gesinnung und nach Charakter ist durchaus untergeordnet.
Es giebt ja Ausnahmen, und in einigen Dienstzweigen, in der Forstverwaltung
z. B. und im Zollwesen, sind sie nicht vereinzelt; die Regel jedoch habe ich
richtig ausgedrückt. Es ist auch kein Fortschritt, sondern eher ein Rückschritt
zu merken. Es muß zugegeben werden, daß auch in unsern Kreisen die Herab¬
würdigung des Amtsbcgriffs recht verbreitet ist, aber in den sogenannten ein¬
heimischen ist sie es noch mehr, und unsre deutsche Gesinnung beschränkt sich
doch nicht auf Teilnahme am Kaiserfeste und an sonstigen Feierlichkeiten. Bei
uns ist sie ein Stück des Gemüts und durchdringt den ganzen Menschen.
Wenn wir dem französischen Wesen gegenüber schwach genng sind, so beteiligen
sich doch nur wenige von uns aktiv an der Parlirerei, während sie in den
einheimischen Beamtenkreisen von Vater und Mutter, Kind und Kegel mit der¬
selben Aufdringlichkeit gepflegt wird wie sonst in den „bessern" Familien.
Was den Charakter anbelangt, so sind ja unter uns Altdeutschen Streberei,
die Neigung zum Wohlleben, Großthuerei häufige Erscheinungen, aber das
eingeborne Element ist damit ebenso stark, nur weniger auffällig behaftet, und
wir leiden wenigstens nicht an einem besonders gefährlichen Zusatz. Ich meine


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[0128] Reichsländische Zeitfragen rein technische Ämter und für die untersten. Sie muß so bestimmt ausgeprägt und bethätigt sein, daß sie auch nach der unwiderruflichen Anstellung gesichert erscheint. Daß die Eltern des Amtsanwärters mit Liebe an der französischen Vergangenheit hängen, ist kein Hindernis; der Sohn soll seinen Eltern darum keine geringere Pietät beweisen, es empfiehlt ihn nicht, wenn er sie darum vernachlässigt. Aber der Sohn selber muß, um angestellt zu werden, die fran¬ zösische Tradition innerlich und äußerlich überwunden haben, ein Deutscher sein und sich auch so geben. Er hat das ganze welsche Gethue abzulegen und abzuweisen; so darf er auch nicht die französische Sprache bevorzugen. Unter den Gründen, worauf die Parlirerei zurückzuführen ist, die in den siebenund¬ zwanzig Jahren eher zu- als abgenommen hat, befindet sich keiner, der nicht wenigstens trennend wirkte, und der Beamte soll sich zu uns halten, sich nicht von uns absondern. Dann gehört zum Beamten auch Charakter. Die deutsche Amtsauffassung verlangt Hingebung des ganzen Menschen an das Amt; hiergegen treten Ver¬ sorgung und persönliches Ansehen zurück, und die Vorbereitung mit ihren Prüfungen und Aufwendungen giebt ohne Charakter keinen Anspruch darauf, angestellt zu werden. Überall bleibt ja die Wirklichkeit hinter der Forderung zurück, aber die Übereinstimmung beider muß überall das Ziel sein, zumal in einem neu er- worbnen Lande, das von den Beamten besonders viel verlangt. Wie sieht es nun hierzulande mit der Wirklichkeit aus? An der Amtsstellung wird fast allgemein nur der „gute Platz" geschätzt, Anstellung und Vorrücken werden durchweg als feste Ansprüche angesehen, etwa wie der auf eine Leibrente, die Frage nach deutscher Gesinnung und nach Charakter ist durchaus untergeordnet. Es giebt ja Ausnahmen, und in einigen Dienstzweigen, in der Forstverwaltung z. B. und im Zollwesen, sind sie nicht vereinzelt; die Regel jedoch habe ich richtig ausgedrückt. Es ist auch kein Fortschritt, sondern eher ein Rückschritt zu merken. Es muß zugegeben werden, daß auch in unsern Kreisen die Herab¬ würdigung des Amtsbcgriffs recht verbreitet ist, aber in den sogenannten ein¬ heimischen ist sie es noch mehr, und unsre deutsche Gesinnung beschränkt sich doch nicht auf Teilnahme am Kaiserfeste und an sonstigen Feierlichkeiten. Bei uns ist sie ein Stück des Gemüts und durchdringt den ganzen Menschen. Wenn wir dem französischen Wesen gegenüber schwach genng sind, so beteiligen sich doch nur wenige von uns aktiv an der Parlirerei, während sie in den einheimischen Beamtenkreisen von Vater und Mutter, Kind und Kegel mit der¬ selben Aufdringlichkeit gepflegt wird wie sonst in den „bessern" Familien. Was den Charakter anbelangt, so sind ja unter uns Altdeutschen Streberei, die Neigung zum Wohlleben, Großthuerei häufige Erscheinungen, aber das eingeborne Element ist damit ebenso stark, nur weniger auffällig behaftet, und wir leiden wenigstens nicht an einem besonders gefährlichen Zusatz. Ich meine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/128>, abgerufen am 08.01.2025.