Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Die Kaufleute im Kaiserhof braucht man Vertretern der kaufmännischen Intelligenz nicht erst auseinander Damit wird freilich die Abgabe eines ausgesprochen politischen Urteils ver¬ Der alte Jude Sirach hat geschrieben: "Wie der Nagel in der Mauer Die Kaufleute im Kaiserhof braucht man Vertretern der kaufmännischen Intelligenz nicht erst auseinander Damit wird freilich die Abgabe eines ausgesprochen politischen Urteils ver¬ Der alte Jude Sirach hat geschrieben: „Wie der Nagel in der Mauer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227010"/> <fw type="header" place="top"> Die Kaufleute im Kaiserhof</fw><lb/> <p xml:id="ID_312" prev="#ID_311"> braucht man Vertretern der kaufmännischen Intelligenz nicht erst auseinander<lb/> zu setzen. Daß die neuen Schiffe nicht in einem Etatsjahre gebaut werden<lb/> können, berührt das Recht und die Pflicht des Reichstags, die einmal als not¬<lb/> wendig erkannten Aufwendungen jetzt zu bewilligen, gar nicht. Auch die<lb/> Finanzlage des Reichs steht dieser endgiltigen Bewilligung nicht entgegen.<lb/> Die „konstitutionellen Bedenken" sind thatsächlich Hokuspokus der Partei¬<lb/> politik, der in jeder halbwegs verständigen Generalversammlung einer Aktien¬<lb/> gesellschaft einer ähnlichen Frage gegenüber unmöglich wäre. Es wäre dringend<lb/> zu wünschen, daß die versammelten Handels- und Fabrikherren auch darüber<lb/> unumwunden ihre Ansicht kund gäben.</p><lb/> <p xml:id="ID_313"> Damit wird freilich die Abgabe eines ausgesprochen politischen Urteils ver¬<lb/> langt, aber das geht nicht mehr anders. Die deutschen Kaufleute müssen deutsche<lb/> Politiker werden, sie müssen einen hohen politischen Einfluß eingeräumt er¬<lb/> halten in einem Reiche, dessen politischer Schwerpunkt nicht länger ausschließlich<lb/> innerhalb der Grenzpfähle des alten, stark beschnittenen Grund und Bodens<lb/> des deutschen Bundes seligen Angedenkens gesucht werden darf. Aber der<lb/> Himmel bewahre Deutschland vor neuen politischen Mächten und Machthabern,<lb/> deren Politik nicht unwandelbar fußt auf einem felsenfesten Untergrund der<lb/> Vaterlandsliebe. Wir haben gerade genug an jenen „vaterlandslosen" Stimmen,<lb/> die imstande sind, auf Deutschlands Politik einen übermäßigen, oft ausschlag¬<lb/> gebenden Einfluß verfassungsmäßig auszuüben. Wie stehts damit in der Kauf¬<lb/> mannschaft? Die Versammlung am 13. Januar sollte auch darüber die<lb/> dringend erwünschte Beruhigung schaffen, die versammelten Handels- und<lb/> Fabrikherren sollten keinen Zweifel darüber bestehen lassen, daß neben dem<lb/> kaufmännischen Jnteresfenstandpunkt die Vaterlandsliebe als oberstes Gesetz auch<lb/> den deutschen Kaufmann regiert, in der Heimat wie draußen, und daß die<lb/> Leute lügen, die ihm heute noch diese erste, unerläßlichste Vorbedingung heil¬<lb/> samen politischen Einflusses absprechen.</p><lb/> <p xml:id="ID_314" next="#ID_315"> Der alte Jude Sirach hat geschrieben: „Wie der Nagel in der Mauer<lb/> zwischen zween Steinen steckt, also steckt auch Sünde zwischen Käufer und<lb/> Verkäufer." Aber heute, so scheint es mir, steckt sie auch gerade so zwischen<lb/> Meister und Lehrling, zwischen Bauer und Knecht. Das „mobile Kapital"<lb/> hat in der Sünde nichts mehr voraus. Vor hundertundzwanzig Jahren hat<lb/> der Prophet der „klassischen Nationalökonomie," Adam Smith, behauptet,<lb/> keine Eigenschaften seien weniger verträglich miteinander, als die des Kauf¬<lb/> manns und die des Politikers. Als Politiker müßten die Handelsherren das¬<lb/> selbe Interesse haben wie das Vaterland, als Kaufleute hätten sie gerade das<lb/> entgegengesetzte. Ich glaube nicht, daß sich die Ältesten der Berliner Kauf¬<lb/> mannschaft bei ihrem bekannten Bescheide, sie und der deutsche Handelstag<lb/> hätten sich um Politik, auch um Handels- und Flottenpolitik, nicht zu kümmern,<lb/> in einem Anfall übertriebner Selbsterkenntnis von dieser alten Weisheit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
Die Kaufleute im Kaiserhof
braucht man Vertretern der kaufmännischen Intelligenz nicht erst auseinander
zu setzen. Daß die neuen Schiffe nicht in einem Etatsjahre gebaut werden
können, berührt das Recht und die Pflicht des Reichstags, die einmal als not¬
wendig erkannten Aufwendungen jetzt zu bewilligen, gar nicht. Auch die
Finanzlage des Reichs steht dieser endgiltigen Bewilligung nicht entgegen.
Die „konstitutionellen Bedenken" sind thatsächlich Hokuspokus der Partei¬
politik, der in jeder halbwegs verständigen Generalversammlung einer Aktien¬
gesellschaft einer ähnlichen Frage gegenüber unmöglich wäre. Es wäre dringend
zu wünschen, daß die versammelten Handels- und Fabrikherren auch darüber
unumwunden ihre Ansicht kund gäben.
Damit wird freilich die Abgabe eines ausgesprochen politischen Urteils ver¬
langt, aber das geht nicht mehr anders. Die deutschen Kaufleute müssen deutsche
Politiker werden, sie müssen einen hohen politischen Einfluß eingeräumt er¬
halten in einem Reiche, dessen politischer Schwerpunkt nicht länger ausschließlich
innerhalb der Grenzpfähle des alten, stark beschnittenen Grund und Bodens
des deutschen Bundes seligen Angedenkens gesucht werden darf. Aber der
Himmel bewahre Deutschland vor neuen politischen Mächten und Machthabern,
deren Politik nicht unwandelbar fußt auf einem felsenfesten Untergrund der
Vaterlandsliebe. Wir haben gerade genug an jenen „vaterlandslosen" Stimmen,
die imstande sind, auf Deutschlands Politik einen übermäßigen, oft ausschlag¬
gebenden Einfluß verfassungsmäßig auszuüben. Wie stehts damit in der Kauf¬
mannschaft? Die Versammlung am 13. Januar sollte auch darüber die
dringend erwünschte Beruhigung schaffen, die versammelten Handels- und
Fabrikherren sollten keinen Zweifel darüber bestehen lassen, daß neben dem
kaufmännischen Jnteresfenstandpunkt die Vaterlandsliebe als oberstes Gesetz auch
den deutschen Kaufmann regiert, in der Heimat wie draußen, und daß die
Leute lügen, die ihm heute noch diese erste, unerläßlichste Vorbedingung heil¬
samen politischen Einflusses absprechen.
Der alte Jude Sirach hat geschrieben: „Wie der Nagel in der Mauer
zwischen zween Steinen steckt, also steckt auch Sünde zwischen Käufer und
Verkäufer." Aber heute, so scheint es mir, steckt sie auch gerade so zwischen
Meister und Lehrling, zwischen Bauer und Knecht. Das „mobile Kapital"
hat in der Sünde nichts mehr voraus. Vor hundertundzwanzig Jahren hat
der Prophet der „klassischen Nationalökonomie," Adam Smith, behauptet,
keine Eigenschaften seien weniger verträglich miteinander, als die des Kauf¬
manns und die des Politikers. Als Politiker müßten die Handelsherren das¬
selbe Interesse haben wie das Vaterland, als Kaufleute hätten sie gerade das
entgegengesetzte. Ich glaube nicht, daß sich die Ältesten der Berliner Kauf¬
mannschaft bei ihrem bekannten Bescheide, sie und der deutsche Handelstag
hätten sich um Politik, auch um Handels- und Flottenpolitik, nicht zu kümmern,
in einem Anfall übertriebner Selbsterkenntnis von dieser alten Weisheit
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