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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die Aaufleute im Raisorhof

der deutschen, ist Reden Silber, Schweigen Gold, und wer die Rede nicht ge¬
braucht, seine Pläne zu verbergen, der soll lieber schweigen als reden. Freilich
im konstitutionellen Staate muß die Negierung reden, auch wo sie lieber
schweigen möchte, und auch der deutsche Kaiser mußte über die Handels¬
politik und Flottcnfrage reden, schon um dem Volke jeden Zweifel darüber
zu nehmen, daß er für sein Teil wenigstens die Pflicht seines hohen
Amts klar erkannt habe und für ihre Erfüllung auch in der Handels¬
politik einzutreten entschlossen sei. Das deutsche Volk und Deutschlands
Handel und Gewerbe wird ihm das noch danken. Der Konkurrenz hat
er dabei die Karten nicht verraten; Kiaotschau würde dem verschwiegensten
Kaufmann Ehre machen. Aber man muß in Deutschland noch auf ganz
andrer Seite über handelspolitische Maßnahmen schweigen lernen, und dazu
sollte, wenn die Kaufleute und Industriellen am 13. Januar den Kern
der Sache, um den sich zur Zeit der parlamentarische Streit noch dreht,
treffen wollen, die Versammlung zu allererst etwas beitragen. Dem Reichs¬
tage hat vor allem die Kundgebung zu gelten. Die verbündeten Regierungen
legen mit Recht den größten Nachdruck auf die Endgiltigkeit der Bewilligungen
für die Mariuevermehruug, auf die Vermeidung alljährlich wiederkehrender
grundsätzlicher Debatten über die Flotten- und Weltpolitik Deutschlands vor
der ganzen Welt, und kein verständiger Kaufmann wird sich der Berechtigung
dieses Verlangens verschließen können. In nichts spricht sich die handels¬
politische Unreife der Mehrheit der Vevöllerungskreise, die bis jetzt im Gegensatz
zu Handel und Industrie in unsern parlamentarischen Körperschaften fast aus¬
schließlich vertreten sind, deutlicher aus, als in dem völligen Mangel an
Verständnis dafür, daß, wenn die Vermehrung der Flotte, wie die Regie¬
rungen sie vorschlagen, an sich als notwendig anerkannt werden muß, es als
Superlativ von Zweckwidrigkeit und handelspolitischem Ungeschick zu bezeichnen
ist, wenn man die Geldmittel dazu nicht bellte definitiv, soudern in sieben einzeln
zu debattirenden Jahresraten bewilligen will. In England, selbst in Frank¬
reich, lacht man uns deshalb mit Recht aus. Dort werden Vorlagen, die
unserm gegenwärtigen Marinegcsetzentwurf entsprechen, ohne Debatte, ohne Reden,
ohne den Versuch bewilligt, aus der Negierung Erklärungen herauszupressen,
die sie gar nicht geben darf. Dieser handelspolitische Takt fehlt im Reichs¬
tag in einem Grade, der mit einer kräftigen Flottenpolitik völlig unverträglich
ist, und es wird endlich zu dringender Pflicht der Selbsterhaltung, daß die
Vertreter der handelspolitischen Einsicht und des kaufmännischen Sachverständ¬
nisses miles in Deutschland sich aus ihrer nachgerade unverantwortlichen Passi¬
vität aufraffen und den Herren Volksvertretern aus andern Bildungskreisen
unzweideutig die Fingerzeige geben, wie in Zukunft ihre, der Kaufleute, Sache,
d, h. die Handelspolitik und die Flottenpvlitik, auch parlamentarisch behandelt
werden soll. Die Inhaltlosigkeit der vorgeschützten "konstitutionellen Bedenken"


Die Aaufleute im Raisorhof

der deutschen, ist Reden Silber, Schweigen Gold, und wer die Rede nicht ge¬
braucht, seine Pläne zu verbergen, der soll lieber schweigen als reden. Freilich
im konstitutionellen Staate muß die Negierung reden, auch wo sie lieber
schweigen möchte, und auch der deutsche Kaiser mußte über die Handels¬
politik und Flottcnfrage reden, schon um dem Volke jeden Zweifel darüber
zu nehmen, daß er für sein Teil wenigstens die Pflicht seines hohen
Amts klar erkannt habe und für ihre Erfüllung auch in der Handels¬
politik einzutreten entschlossen sei. Das deutsche Volk und Deutschlands
Handel und Gewerbe wird ihm das noch danken. Der Konkurrenz hat
er dabei die Karten nicht verraten; Kiaotschau würde dem verschwiegensten
Kaufmann Ehre machen. Aber man muß in Deutschland noch auf ganz
andrer Seite über handelspolitische Maßnahmen schweigen lernen, und dazu
sollte, wenn die Kaufleute und Industriellen am 13. Januar den Kern
der Sache, um den sich zur Zeit der parlamentarische Streit noch dreht,
treffen wollen, die Versammlung zu allererst etwas beitragen. Dem Reichs¬
tage hat vor allem die Kundgebung zu gelten. Die verbündeten Regierungen
legen mit Recht den größten Nachdruck auf die Endgiltigkeit der Bewilligungen
für die Mariuevermehruug, auf die Vermeidung alljährlich wiederkehrender
grundsätzlicher Debatten über die Flotten- und Weltpolitik Deutschlands vor
der ganzen Welt, und kein verständiger Kaufmann wird sich der Berechtigung
dieses Verlangens verschließen können. In nichts spricht sich die handels¬
politische Unreife der Mehrheit der Vevöllerungskreise, die bis jetzt im Gegensatz
zu Handel und Industrie in unsern parlamentarischen Körperschaften fast aus¬
schließlich vertreten sind, deutlicher aus, als in dem völligen Mangel an
Verständnis dafür, daß, wenn die Vermehrung der Flotte, wie die Regie¬
rungen sie vorschlagen, an sich als notwendig anerkannt werden muß, es als
Superlativ von Zweckwidrigkeit und handelspolitischem Ungeschick zu bezeichnen
ist, wenn man die Geldmittel dazu nicht bellte definitiv, soudern in sieben einzeln
zu debattirenden Jahresraten bewilligen will. In England, selbst in Frank¬
reich, lacht man uns deshalb mit Recht aus. Dort werden Vorlagen, die
unserm gegenwärtigen Marinegcsetzentwurf entsprechen, ohne Debatte, ohne Reden,
ohne den Versuch bewilligt, aus der Negierung Erklärungen herauszupressen,
die sie gar nicht geben darf. Dieser handelspolitische Takt fehlt im Reichs¬
tag in einem Grade, der mit einer kräftigen Flottenpolitik völlig unverträglich
ist, und es wird endlich zu dringender Pflicht der Selbsterhaltung, daß die
Vertreter der handelspolitischen Einsicht und des kaufmännischen Sachverständ¬
nisses miles in Deutschland sich aus ihrer nachgerade unverantwortlichen Passi¬
vität aufraffen und den Herren Volksvertretern aus andern Bildungskreisen
unzweideutig die Fingerzeige geben, wie in Zukunft ihre, der Kaufleute, Sache,
d, h. die Handelspolitik und die Flottenpvlitik, auch parlamentarisch behandelt
werden soll. Die Inhaltlosigkeit der vorgeschützten „konstitutionellen Bedenken"


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[0107] Die Aaufleute im Raisorhof der deutschen, ist Reden Silber, Schweigen Gold, und wer die Rede nicht ge¬ braucht, seine Pläne zu verbergen, der soll lieber schweigen als reden. Freilich im konstitutionellen Staate muß die Negierung reden, auch wo sie lieber schweigen möchte, und auch der deutsche Kaiser mußte über die Handels¬ politik und Flottcnfrage reden, schon um dem Volke jeden Zweifel darüber zu nehmen, daß er für sein Teil wenigstens die Pflicht seines hohen Amts klar erkannt habe und für ihre Erfüllung auch in der Handels¬ politik einzutreten entschlossen sei. Das deutsche Volk und Deutschlands Handel und Gewerbe wird ihm das noch danken. Der Konkurrenz hat er dabei die Karten nicht verraten; Kiaotschau würde dem verschwiegensten Kaufmann Ehre machen. Aber man muß in Deutschland noch auf ganz andrer Seite über handelspolitische Maßnahmen schweigen lernen, und dazu sollte, wenn die Kaufleute und Industriellen am 13. Januar den Kern der Sache, um den sich zur Zeit der parlamentarische Streit noch dreht, treffen wollen, die Versammlung zu allererst etwas beitragen. Dem Reichs¬ tage hat vor allem die Kundgebung zu gelten. Die verbündeten Regierungen legen mit Recht den größten Nachdruck auf die Endgiltigkeit der Bewilligungen für die Mariuevermehruug, auf die Vermeidung alljährlich wiederkehrender grundsätzlicher Debatten über die Flotten- und Weltpolitik Deutschlands vor der ganzen Welt, und kein verständiger Kaufmann wird sich der Berechtigung dieses Verlangens verschließen können. In nichts spricht sich die handels¬ politische Unreife der Mehrheit der Vevöllerungskreise, die bis jetzt im Gegensatz zu Handel und Industrie in unsern parlamentarischen Körperschaften fast aus¬ schließlich vertreten sind, deutlicher aus, als in dem völligen Mangel an Verständnis dafür, daß, wenn die Vermehrung der Flotte, wie die Regie¬ rungen sie vorschlagen, an sich als notwendig anerkannt werden muß, es als Superlativ von Zweckwidrigkeit und handelspolitischem Ungeschick zu bezeichnen ist, wenn man die Geldmittel dazu nicht bellte definitiv, soudern in sieben einzeln zu debattirenden Jahresraten bewilligen will. In England, selbst in Frank¬ reich, lacht man uns deshalb mit Recht aus. Dort werden Vorlagen, die unserm gegenwärtigen Marinegcsetzentwurf entsprechen, ohne Debatte, ohne Reden, ohne den Versuch bewilligt, aus der Negierung Erklärungen herauszupressen, die sie gar nicht geben darf. Dieser handelspolitische Takt fehlt im Reichs¬ tag in einem Grade, der mit einer kräftigen Flottenpolitik völlig unverträglich ist, und es wird endlich zu dringender Pflicht der Selbsterhaltung, daß die Vertreter der handelspolitischen Einsicht und des kaufmännischen Sachverständ¬ nisses miles in Deutschland sich aus ihrer nachgerade unverantwortlichen Passi¬ vität aufraffen und den Herren Volksvertretern aus andern Bildungskreisen unzweideutig die Fingerzeige geben, wie in Zukunft ihre, der Kaufleute, Sache, d, h. die Handelspolitik und die Flottenpvlitik, auch parlamentarisch behandelt werden soll. Die Inhaltlosigkeit der vorgeschützten „konstitutionellen Bedenken"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/107>, abgerufen am 08.01.2025.