Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Das deutsche Dorfwirtshaus seinen Ersparnissen, zufrieden, der erste und älteste Kellner seiner Vaterstadt Doch kehren wir aufs Land zurück. Das Dorfwirtshaus gehört dem Wenn ich hier eine angenehme Seite der Vereinigung des Trinkhauses Das deutsche Dorfwirtshaus seinen Ersparnissen, zufrieden, der erste und älteste Kellner seiner Vaterstadt Doch kehren wir aufs Land zurück. Das Dorfwirtshaus gehört dem Wenn ich hier eine angenehme Seite der Vereinigung des Trinkhauses <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227005"/> <fw type="header" place="top"> Das deutsche Dorfwirtshaus</fw><lb/> <p xml:id="ID_302" prev="#ID_301"> seinen Ersparnissen, zufrieden, der erste und älteste Kellner seiner Vaterstadt<lb/> zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_303"> Doch kehren wir aufs Land zurück. Das Dorfwirtshaus gehört dem<lb/> Bauern, und bäuerlich bleibt es daher auch in allen Entwicklungen, die ihm<lb/> der Fremdenverkehr auferlegt. Daher unterscheidet es sich ganz wesentlich von<lb/> der „Pension," die nur für die Sommerfrischler hingestellt ist; es hat seine<lb/> eigne Notwendigkeit und ein ganz andres Leben. Das bairische und das<lb/> Schwarzwülder Wirtshaus wird nicht wie das schweizerische Hotel — und eine<lb/> kleine Anzahl tirolische — im Winter geschlossen, um nur drei, in hohen<lb/> Lagen gar nur zwei Monate dem Fremdenzuzug geöffnet zu sein, es ist den<lb/> ganzen fremdenarmen Teil des Jahres ans seine ländliche Kundschaft an¬<lb/> gewiesen, die auch im Sommer nicht so scharf von der städtischen getrennt ist,<lb/> sondern unverändert ihre Ansprüche auf Komfort und Verpflegung geltend<lb/> macht. Die Ansprüche der Gaststube mit denen des „Herrenstübel" zu ver¬<lb/> einen gehört zu den Aufgaben, die nur ein guter Wirt löst. Wenn die Bauern zu<lb/> kegeln anfangen, während neben der Kegelbahn im Wirtsgarten eben das Essen<lb/> für feine Gäste aufgetragen wird, lassen sie sich leicht Ruhe gebieten; nicht so<lb/> leicht läßt sich der Lärm einer Bauernhochzeit mit dem Nuhebedürfnis nervöser<lb/> Städter vereinigen. Doch schlüge hier die alte Anziehung zwischen Vucibn<lb/> und Madln manchmal die Brücke, da es die „Stadtfratzen" gar nicht unter<lb/> ihrem Stande finden, sich im bäurischen Ländler zu drehen, was auch die<lb/> Burschen gern annehmen. Am leichtesten ebnet aber ohne Zweifel das Bier,<lb/> der Trunk, der allen zugänglich ist, die Verschiedenheiten aus. Ein gutes,<lb/> billiges Bier, das dem Holzknecht ebenso gut mundet wie dem Touristen, giebt<lb/> dem ganzen Wirtshausleben einen im guten Sinne demokratischen, daher<lb/> behaglichem Charakter.</p><lb/> <p xml:id="ID_304" next="#ID_305"> Wenn ich hier eine angenehme Seite der Vereinigung des Trinkhauses<lb/> und Gasthauses unter demselben Dache berühre, will ich nicht die Nachteile<lb/> verbergen, die daraus so oft für das gute deutsche Gasthaus hervorgehen.<lb/> Mit dem Egoismus der Genußsucht überschreitet die Kneipgesellschaft Raum<lb/> und Zeit, in die eine billige Rücksicht sie bannen sollte. Am obern Ende der<lb/> Wirtstafel trinken Familien Thee, während am untern das Wein- oder Bier¬<lb/> gelage mit Cigarrenanalm und banalen Gerede schon begonnen hat. Und zu<lb/> später Stunde, wo reisemüde Wandrer gern Ruhe hätten, lärmt diese Gesell¬<lb/> schaft, deren laute Unterhaltung sich zum Gebrüll gesteigert hat, in den Morgen<lb/> hinein. Auch im Auslande zeichnen sich besonders Deutsche durch die Rück¬<lb/> sichtslosigkeit aus, womit sie ihren Trinksitten fröhnen; es hebt nicht ihr An-<lb/> sehn, daß sie, um ungestört kneipen zu können, die „Schweinen" dem Salon, das<lb/> KcmdWvous less eoonsr8 dem Speisesaal vorziehen. In der lieben Heimat bedroht<lb/> diese Neigung am meisten das beliebte Gasthaus, von dem es in den Büchern<lb/> büßt: Einfach, bürgerlich, gut, billig. Was will man mehr? Aber gerade</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
Das deutsche Dorfwirtshaus
seinen Ersparnissen, zufrieden, der erste und älteste Kellner seiner Vaterstadt
zu sein.
Doch kehren wir aufs Land zurück. Das Dorfwirtshaus gehört dem
Bauern, und bäuerlich bleibt es daher auch in allen Entwicklungen, die ihm
der Fremdenverkehr auferlegt. Daher unterscheidet es sich ganz wesentlich von
der „Pension," die nur für die Sommerfrischler hingestellt ist; es hat seine
eigne Notwendigkeit und ein ganz andres Leben. Das bairische und das
Schwarzwülder Wirtshaus wird nicht wie das schweizerische Hotel — und eine
kleine Anzahl tirolische — im Winter geschlossen, um nur drei, in hohen
Lagen gar nur zwei Monate dem Fremdenzuzug geöffnet zu sein, es ist den
ganzen fremdenarmen Teil des Jahres ans seine ländliche Kundschaft an¬
gewiesen, die auch im Sommer nicht so scharf von der städtischen getrennt ist,
sondern unverändert ihre Ansprüche auf Komfort und Verpflegung geltend
macht. Die Ansprüche der Gaststube mit denen des „Herrenstübel" zu ver¬
einen gehört zu den Aufgaben, die nur ein guter Wirt löst. Wenn die Bauern zu
kegeln anfangen, während neben der Kegelbahn im Wirtsgarten eben das Essen
für feine Gäste aufgetragen wird, lassen sie sich leicht Ruhe gebieten; nicht so
leicht läßt sich der Lärm einer Bauernhochzeit mit dem Nuhebedürfnis nervöser
Städter vereinigen. Doch schlüge hier die alte Anziehung zwischen Vucibn
und Madln manchmal die Brücke, da es die „Stadtfratzen" gar nicht unter
ihrem Stande finden, sich im bäurischen Ländler zu drehen, was auch die
Burschen gern annehmen. Am leichtesten ebnet aber ohne Zweifel das Bier,
der Trunk, der allen zugänglich ist, die Verschiedenheiten aus. Ein gutes,
billiges Bier, das dem Holzknecht ebenso gut mundet wie dem Touristen, giebt
dem ganzen Wirtshausleben einen im guten Sinne demokratischen, daher
behaglichem Charakter.
Wenn ich hier eine angenehme Seite der Vereinigung des Trinkhauses
und Gasthauses unter demselben Dache berühre, will ich nicht die Nachteile
verbergen, die daraus so oft für das gute deutsche Gasthaus hervorgehen.
Mit dem Egoismus der Genußsucht überschreitet die Kneipgesellschaft Raum
und Zeit, in die eine billige Rücksicht sie bannen sollte. Am obern Ende der
Wirtstafel trinken Familien Thee, während am untern das Wein- oder Bier¬
gelage mit Cigarrenanalm und banalen Gerede schon begonnen hat. Und zu
später Stunde, wo reisemüde Wandrer gern Ruhe hätten, lärmt diese Gesell¬
schaft, deren laute Unterhaltung sich zum Gebrüll gesteigert hat, in den Morgen
hinein. Auch im Auslande zeichnen sich besonders Deutsche durch die Rück¬
sichtslosigkeit aus, womit sie ihren Trinksitten fröhnen; es hebt nicht ihr An-
sehn, daß sie, um ungestört kneipen zu können, die „Schweinen" dem Salon, das
KcmdWvous less eoonsr8 dem Speisesaal vorziehen. In der lieben Heimat bedroht
diese Neigung am meisten das beliebte Gasthaus, von dem es in den Büchern
büßt: Einfach, bürgerlich, gut, billig. Was will man mehr? Aber gerade
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