Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Das deutsche Vorfwirtshaus Bedienung nicht mehr anders als mit einem unmoralischen Nebengeschmack Mit dem Dorswirtshaus hat der Kellner nichts zu thun. Der Hausknecht Das deutsche Vorfwirtshaus Bedienung nicht mehr anders als mit einem unmoralischen Nebengeschmack Mit dem Dorswirtshaus hat der Kellner nichts zu thun. Der Hausknecht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227004"/> <fw type="header" place="top"> Das deutsche Vorfwirtshaus</fw><lb/> <p xml:id="ID_300" prev="#ID_299"> Bedienung nicht mehr anders als mit einem unmoralischen Nebengeschmack<lb/> vorstellen kann! Nur aus einer Wanderung in der Mark Brandenburg, nicht<lb/> ganz nahe bei Berlin, ist es mir vorgekommen, daß in dem äußerlich an¬<lb/> ständigen Bierstübchen gegenüber dem einsamen Bahnhof die hochgewachsene<lb/> Hebe sich als „Animirkellnerin" entpuppte, die mit unverschämt gestärkten<lb/> Nauschkleid den Gast bedeutsam streifte, indem sie wie aus Versehen ein zweites<lb/> Glas zu dem lauen Flüschlein Patzenhofer stellte. Der vvlantbesetzte Eindruck<lb/> dieser verwehten Großstadtpflanze drängt in meiner Erinnerung selbst die an<lb/> demselben Tage gewonnenen Bilder endloser gelber Lupinenfelder und kleiner<lb/> rotbacksteinener Kotsassenhäuschen, sowie des akaziennmsäumten Bukower<lb/> Sees zurück.</p><lb/> <p xml:id="ID_301" next="#ID_302"> Mit dem Dorswirtshaus hat der Kellner nichts zu thun. Der Hausknecht<lb/> ist streng aus der Wirtsstube gewiesen, Stall und Hof sind sein Revier. Ur¬<lb/> sprünglich verkehrte er mit den Gästen nur, wenn er ihnen ausspannte oder<lb/> sie frühmorgens weckte, um, mit schwankender Laterne voranschreitend, die schlaf-<lb/> trunkner zur Post zu führen. Die Zunahme des Verkehrs hat auch das ge¬<lb/> ändert. Jetzt kommen die Kellner wie die Schwalben mit der „Saison" und<lb/> kehren im Winter in die Stadt zurück. Aber es wäre unbillig, den deutschen<lb/> Kellner hier zu übergehen, weil er nur sporadisch auf dem Lande auftritt. Er<lb/> ist uns eine willkommne Erscheinung in England und Australien, in Ägypten<lb/> und Kalifornien. Wir wollen ihn darum in seiner Heimat nicht vergessen.<lb/> Ehe er sein Glück in der weiten Welt versucht, verdient er sich die Sporen<lb/> in dem Gasthaus einer kleinen deutschen Stadt. Wenn ich an dem deutschen<lb/> Wirt oft manches auszusetzen hatte, so habe ich fast immer mit stillem Wohl¬<lb/> gefallen und nicht selten mit Sympathie das eifrige Walten junger Kellner beob¬<lb/> achtet. Das sind in den bessern Häusern kleinerer Städte Jünglinge, die eine<lb/> gute Schule hinter sich haben und mit einer gewissen Liebe ihren Schatz von<lb/> Ortsknnde, Sprachkenntnissen usw. an den verschwenden, der ihnen hilfsbedürftig<lb/> scheint. Wenn des Abends die Gäste näher zusammenrücken und nur der an¬<lb/> spruchslose „Stamm" noch übrig ist, wandert eine französische oder englische<lb/> Grammatik hervor, die bei Tage unter Adreß- und Kursbüchern ruht. Indem der<lb/> junge Mann die geistreichen Sätze Ollcndorffs lernt, träumt er sich in ein Welt-<lb/> Hotel in der Rue de Rivvli oder der Victoria Street oder noch weiter in die Welt<lb/> hinaus. In Lissabon schrieb einer meiner Freunde seinen untrüglich nieder-<lb/> bairischcn Namen ins Fremdenbuch. Der internationale Oberkellner schaute ihn<lb/> freudigfragend an: Kennen Sie den „Wilden Mann" in Passau? — Natürlich,<lb/> sehr gut, und seinen siebzigjährigen Oberkellner kannte ich wohl, der leider<lb/> tot ist. — Oh, der war mein Lehrer, ich habe vier Jahre als Kellner im „Wilden<lb/> Mann" gelernt. Wissen Sie, dieser Alte war bei den Kellnern Europas bekannt,<lb/> der hat mehr als zwanzig ausgebildet, die in alle Welt hinausgewandert sind.<lb/> Er sprach vier Sprachen, hat Passau nie wieder verlassen und war, mit all</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0102]
Das deutsche Vorfwirtshaus
Bedienung nicht mehr anders als mit einem unmoralischen Nebengeschmack
vorstellen kann! Nur aus einer Wanderung in der Mark Brandenburg, nicht
ganz nahe bei Berlin, ist es mir vorgekommen, daß in dem äußerlich an¬
ständigen Bierstübchen gegenüber dem einsamen Bahnhof die hochgewachsene
Hebe sich als „Animirkellnerin" entpuppte, die mit unverschämt gestärkten
Nauschkleid den Gast bedeutsam streifte, indem sie wie aus Versehen ein zweites
Glas zu dem lauen Flüschlein Patzenhofer stellte. Der vvlantbesetzte Eindruck
dieser verwehten Großstadtpflanze drängt in meiner Erinnerung selbst die an
demselben Tage gewonnenen Bilder endloser gelber Lupinenfelder und kleiner
rotbacksteinener Kotsassenhäuschen, sowie des akaziennmsäumten Bukower
Sees zurück.
Mit dem Dorswirtshaus hat der Kellner nichts zu thun. Der Hausknecht
ist streng aus der Wirtsstube gewiesen, Stall und Hof sind sein Revier. Ur¬
sprünglich verkehrte er mit den Gästen nur, wenn er ihnen ausspannte oder
sie frühmorgens weckte, um, mit schwankender Laterne voranschreitend, die schlaf-
trunkner zur Post zu führen. Die Zunahme des Verkehrs hat auch das ge¬
ändert. Jetzt kommen die Kellner wie die Schwalben mit der „Saison" und
kehren im Winter in die Stadt zurück. Aber es wäre unbillig, den deutschen
Kellner hier zu übergehen, weil er nur sporadisch auf dem Lande auftritt. Er
ist uns eine willkommne Erscheinung in England und Australien, in Ägypten
und Kalifornien. Wir wollen ihn darum in seiner Heimat nicht vergessen.
Ehe er sein Glück in der weiten Welt versucht, verdient er sich die Sporen
in dem Gasthaus einer kleinen deutschen Stadt. Wenn ich an dem deutschen
Wirt oft manches auszusetzen hatte, so habe ich fast immer mit stillem Wohl¬
gefallen und nicht selten mit Sympathie das eifrige Walten junger Kellner beob¬
achtet. Das sind in den bessern Häusern kleinerer Städte Jünglinge, die eine
gute Schule hinter sich haben und mit einer gewissen Liebe ihren Schatz von
Ortsknnde, Sprachkenntnissen usw. an den verschwenden, der ihnen hilfsbedürftig
scheint. Wenn des Abends die Gäste näher zusammenrücken und nur der an¬
spruchslose „Stamm" noch übrig ist, wandert eine französische oder englische
Grammatik hervor, die bei Tage unter Adreß- und Kursbüchern ruht. Indem der
junge Mann die geistreichen Sätze Ollcndorffs lernt, träumt er sich in ein Welt-
Hotel in der Rue de Rivvli oder der Victoria Street oder noch weiter in die Welt
hinaus. In Lissabon schrieb einer meiner Freunde seinen untrüglich nieder-
bairischcn Namen ins Fremdenbuch. Der internationale Oberkellner schaute ihn
freudigfragend an: Kennen Sie den „Wilden Mann" in Passau? — Natürlich,
sehr gut, und seinen siebzigjährigen Oberkellner kannte ich wohl, der leider
tot ist. — Oh, der war mein Lehrer, ich habe vier Jahre als Kellner im „Wilden
Mann" gelernt. Wissen Sie, dieser Alte war bei den Kellnern Europas bekannt,
der hat mehr als zwanzig ausgebildet, die in alle Welt hinausgewandert sind.
Er sprach vier Sprachen, hat Passau nie wieder verlassen und war, mit all
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