Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Das deutsche Dorfwirtshaus italienischen Tirol erzogen, dabei arbeiten sie aber alle in der Wirtschaft mit. Zu welche" Verzerrungen des Einfachen und Natürlichen führt doch unser Das deutsche Dorfwirtshaus italienischen Tirol erzogen, dabei arbeiten sie aber alle in der Wirtschaft mit. Zu welche» Verzerrungen des Einfachen und Natürlichen führt doch unser <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227003"/> <fw type="header" place="top"> Das deutsche Dorfwirtshaus</fw><lb/> <p xml:id="ID_298" prev="#ID_297"> italienischen Tirol erzogen, dabei arbeiten sie aber alle in der Wirtschaft mit.<lb/> Die eine, künstlerisch beanlagt, hat das Speisezimmer mit japanisch-englischen<lb/> Jrisstengeln ausgemalt und schmückt allmorgentlich die Tische mit den geschmack¬<lb/> vollsten Blumensträußen. Wenn im Herbst die Blumen selten werden, weiß<lb/> sie Kohl-, Notrüben- und Salatblätter zu überraschend schönen Kraut-<lb/> sträußen zu vereinige». Alles ist so gut, wie es die Leute geben können,<lb/> und die Preise sind anständig. Der Gast fühlt sich in einem solchen Haus<lb/> gehoben, es geht ein aristokratischer Zug hindurch. Jeder thut seine Arbeit,<lb/> niemand drängt sich auf. Die Leute freuen sich, wenn sie gute Gäste haben<lb/> und thun den andern gegenüber die Pflicht ihres Berufs. Ein solches Haus<lb/> ist sür den Reisenden eine Oase in der Wüste der modernen Reiseeinrichtungen<lb/> und Reisemethoden, besonders wenn die Tüchtigkeit seiner Besitzer dafür sorgt,<lb/> daß es auch „mit der Zeit fortschreitet." Vor einigen Jahren kam ich<lb/> die Mosel und die Saar herab, schlief die eine Nacht in Metz, die<lb/> andre in Saarbrücken, die dritte in Trier. In Metz war ich in einem<lb/> der alten französischen Hotels feinen Stils, es wurde von einem deutschen<lb/> Gastwirtdilettanten terrenis- und geschmacklos bewirtschaftet; in Saarbrücken<lb/> War ich in einem neugebauten Haus für Geschäftsleute, das physisch und<lb/> moralisch nach Kalk roch; in Trier in einem auf reisende Engländer<lb/> zugeschnittnen Provinzialhaus. Am vierten Abend lief ich wie ein müdes<lb/> Schiff in den stillen Hafen eines von Frauen liebevoll verwalteten kleinen,<lb/> warmen Gasthauses in dem Moselstndtchen C. ein. Das Haus hat einen<lb/> guten Namen, es trägt den Bädekerschen Stern, seitdem überhaupt Vüdeter<lb/> Hotelstcrne verleiht, und es ist gut besucht. Auch diesmal saßen wir zu<lb/> fünfzehn zum „gemeinschaftlichen Abendessen" nieder und tranken dazu fünf¬<lb/> zehn bis dreißig Schoppen C.er Schloßberg, hellgelben, grünlich-topasig<lb/> schillernden. Tochter und Nichte warten auf, mit Grazie und Bestimmtheit.<lb/> Die weibliche Leitung der Küche verrät sich in der Schüchternheit der Würzung<lb/> der Speisen, sonst ist alles aufs sorgfältigste zubereitet. Zeitungen, Reisebttcher,<lb/> Schreibzeug, alles ist in schönster Ordnung. Sogar der skatspielende Revier-<lb/> förster und Schiffstapitün nebst Gesellschaft finden Karten und Kreide hübsch<lb/> auf einem Nebentisch vor dein Ledersofa zurecht gelegt. Die Mädchen sind<lb/> unablässig in Bewegung, die Wirtin überwachte sie vom Tisch aus, wo sie<lb/> uach dem Essen die Zeitung las. Ein Wink genügte. Ich ging nach dem<lb/> kleinen Zimmer, das man mir angewiesen hatte, und sand es leer. Mau hatte<lb/> wir ein besseres eingeräumt, das man bis zur Ankunft des letzten Zuges für<lb/> Familien bereit hält. Statt der Öldrucke schmücken hübsche Stickereien die<lb/> Wände. Alles spricht hier von Sorgfalt n»d Bemühen. Es sind eben<lb/> Menschen, mit denen man es hier zu thun hat. nicht Rechenmaschinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_299" next="#ID_300"> Zu welche» Verzerrungen des Einfachen und Natürlichen führt doch unser<lb/> Stadtleben, wemi es sich die hier so holde u»d i» jedem Sinn gute weibliche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
Das deutsche Dorfwirtshaus
italienischen Tirol erzogen, dabei arbeiten sie aber alle in der Wirtschaft mit.
Die eine, künstlerisch beanlagt, hat das Speisezimmer mit japanisch-englischen
Jrisstengeln ausgemalt und schmückt allmorgentlich die Tische mit den geschmack¬
vollsten Blumensträußen. Wenn im Herbst die Blumen selten werden, weiß
sie Kohl-, Notrüben- und Salatblätter zu überraschend schönen Kraut-
sträußen zu vereinige». Alles ist so gut, wie es die Leute geben können,
und die Preise sind anständig. Der Gast fühlt sich in einem solchen Haus
gehoben, es geht ein aristokratischer Zug hindurch. Jeder thut seine Arbeit,
niemand drängt sich auf. Die Leute freuen sich, wenn sie gute Gäste haben
und thun den andern gegenüber die Pflicht ihres Berufs. Ein solches Haus
ist sür den Reisenden eine Oase in der Wüste der modernen Reiseeinrichtungen
und Reisemethoden, besonders wenn die Tüchtigkeit seiner Besitzer dafür sorgt,
daß es auch „mit der Zeit fortschreitet." Vor einigen Jahren kam ich
die Mosel und die Saar herab, schlief die eine Nacht in Metz, die
andre in Saarbrücken, die dritte in Trier. In Metz war ich in einem
der alten französischen Hotels feinen Stils, es wurde von einem deutschen
Gastwirtdilettanten terrenis- und geschmacklos bewirtschaftet; in Saarbrücken
War ich in einem neugebauten Haus für Geschäftsleute, das physisch und
moralisch nach Kalk roch; in Trier in einem auf reisende Engländer
zugeschnittnen Provinzialhaus. Am vierten Abend lief ich wie ein müdes
Schiff in den stillen Hafen eines von Frauen liebevoll verwalteten kleinen,
warmen Gasthauses in dem Moselstndtchen C. ein. Das Haus hat einen
guten Namen, es trägt den Bädekerschen Stern, seitdem überhaupt Vüdeter
Hotelstcrne verleiht, und es ist gut besucht. Auch diesmal saßen wir zu
fünfzehn zum „gemeinschaftlichen Abendessen" nieder und tranken dazu fünf¬
zehn bis dreißig Schoppen C.er Schloßberg, hellgelben, grünlich-topasig
schillernden. Tochter und Nichte warten auf, mit Grazie und Bestimmtheit.
Die weibliche Leitung der Küche verrät sich in der Schüchternheit der Würzung
der Speisen, sonst ist alles aufs sorgfältigste zubereitet. Zeitungen, Reisebttcher,
Schreibzeug, alles ist in schönster Ordnung. Sogar der skatspielende Revier-
förster und Schiffstapitün nebst Gesellschaft finden Karten und Kreide hübsch
auf einem Nebentisch vor dein Ledersofa zurecht gelegt. Die Mädchen sind
unablässig in Bewegung, die Wirtin überwachte sie vom Tisch aus, wo sie
uach dem Essen die Zeitung las. Ein Wink genügte. Ich ging nach dem
kleinen Zimmer, das man mir angewiesen hatte, und sand es leer. Mau hatte
wir ein besseres eingeräumt, das man bis zur Ankunft des letzten Zuges für
Familien bereit hält. Statt der Öldrucke schmücken hübsche Stickereien die
Wände. Alles spricht hier von Sorgfalt n»d Bemühen. Es sind eben
Menschen, mit denen man es hier zu thun hat. nicht Rechenmaschinen.
Zu welche» Verzerrungen des Einfachen und Natürlichen führt doch unser
Stadtleben, wemi es sich die hier so holde u»d i» jedem Sinn gute weibliche
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