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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Nochmals der deutsch-russische Vertrag von ^38?

den Zaren in den Krieg mit der Türkei hinein. Da der gewaltige Kampf
nicht den gewünschten Erfolg hatte, vielmehr der Berliner Vertrag die Russen
um einen Teil des Siegespreises brachte, diese sich aber nicht eingestehen wollten,
daß die russische Politik und Kriegführung selbst die Schuld daran trage, so
richtete sich der Zorn der Enttäuschten gegen den "ehrlichen Makler," den
Fürsten Bismarck, weil er nicht über eine freundliche Neutralität hinausgegangen
war, und die Stimmung in Nußland wurde so bedenklich, daß Fürst Bismarck
am 7. Oktober 1879 den Vertrag mit Österreich schloß, und man sich in Berlin
alles Ernstes auf den Krieg gegen Nußland gefaßt machte, wobei der Ober¬
befehl dem König Albert von Sachsen zugedacht war. Der Tod Alexanders II.,
das Werk einer fanatischen radikalen Sekte, am 13. März 1881, brachte mit
Alexander III. einen Zögling Katkows auf den Thron und die Ideen der Pan-
slawisten gewissermaßen ans Nuder. Dies äußerte sich aber viel mehr in der
innern Politik, in der zunehmenden Unterdrückung aller abendländisch gesitteten
nichtrussischen Vevölkenmgsteile in den Westprovinzen des Reichs, als in der
auswärtigen. Alexander III. war kein Eroberer, und auch er hielt an einem
friedlichen Verhältnis zu seinen westlichen Nachbarn fest. Noch 1884 erneuerte
er das Dreikaiserverhältnis in abgeschwächter Form auf drei Jahre, nämlich in
der Weise, daß sich die drei Mächte verpflichteten, bei etwaigen Zwistigkeiten
zunächst einen freundlichen Ausgleich zu versuchen, und da von solchen eigentlich
nur zwischen Österreich und Rußland die Rede sein konnte, so fiel dem deutschen
Reiche die wichtige Rolle des ausschlaggebenden Vermittlers zu. In den
nächsten Jahren verwickelten sich die Verhältnisse im Orient derart, daß ein
Zusammenstoß zwischen Österreich und Rußland nicht für unmöglich galt.
Beide Mächte wünschten daher die Erneuerung des Vertrags von 1884 nicht,
um nicht gebunden zu sein, und sie wurde auch nicht vollzogen. Mit 1887
erlosch also das Dreikaiserverhältnis. Da aber nun zwar Österreich eine An¬
lehnung an Deutschland hatte, Rußland aber gänzlich allein stand, so bot
dies in Berlin einen Neutralitätsvertrag an, und dieser wurde in der Weise
abgeschlossen, daß Nußland seine freundliche Neutralität zusicherte, wenn
Deutschland von Frankreich angegriffen werden sollte, Deutschland sür den
Fall, daß Rußland mit der Macht, die ihm in Asien wie im europäischen
Orient gegenüberstand, mit England, in Krieg geraten sollte. Eine Untreue
gegen Österreich, von der soviel gefaselt wurde, als der Vertrag im vorigen
Herbst bekannt wurde, lag darin also nicht; denn für den Fall eines russisch¬
österreichischen Zusammenstoßes hatte Deutschland den Russen nichts ver¬
sprochen; in Wien, wo der Vertrag ebenso wie in Rom sofort vertraulich mit¬
geteilt wurde, hat man ihn fogar mit Freuden begrüßt, weil dadurch die
Voraussetzung, unter der Österreich nach dem Abkommen von 1879 zur Waffen-
Hilfe für Deutschland verpflichtet war, nämlich eine Unterstützung Frankreichs
durch Rußland, wegfiel. Wie wichtig dies Einvernehmen mit Rußland


Nochmals der deutsch-russische Vertrag von ^38?

den Zaren in den Krieg mit der Türkei hinein. Da der gewaltige Kampf
nicht den gewünschten Erfolg hatte, vielmehr der Berliner Vertrag die Russen
um einen Teil des Siegespreises brachte, diese sich aber nicht eingestehen wollten,
daß die russische Politik und Kriegführung selbst die Schuld daran trage, so
richtete sich der Zorn der Enttäuschten gegen den „ehrlichen Makler," den
Fürsten Bismarck, weil er nicht über eine freundliche Neutralität hinausgegangen
war, und die Stimmung in Nußland wurde so bedenklich, daß Fürst Bismarck
am 7. Oktober 1879 den Vertrag mit Österreich schloß, und man sich in Berlin
alles Ernstes auf den Krieg gegen Nußland gefaßt machte, wobei der Ober¬
befehl dem König Albert von Sachsen zugedacht war. Der Tod Alexanders II.,
das Werk einer fanatischen radikalen Sekte, am 13. März 1881, brachte mit
Alexander III. einen Zögling Katkows auf den Thron und die Ideen der Pan-
slawisten gewissermaßen ans Nuder. Dies äußerte sich aber viel mehr in der
innern Politik, in der zunehmenden Unterdrückung aller abendländisch gesitteten
nichtrussischen Vevölkenmgsteile in den Westprovinzen des Reichs, als in der
auswärtigen. Alexander III. war kein Eroberer, und auch er hielt an einem
friedlichen Verhältnis zu seinen westlichen Nachbarn fest. Noch 1884 erneuerte
er das Dreikaiserverhältnis in abgeschwächter Form auf drei Jahre, nämlich in
der Weise, daß sich die drei Mächte verpflichteten, bei etwaigen Zwistigkeiten
zunächst einen freundlichen Ausgleich zu versuchen, und da von solchen eigentlich
nur zwischen Österreich und Rußland die Rede sein konnte, so fiel dem deutschen
Reiche die wichtige Rolle des ausschlaggebenden Vermittlers zu. In den
nächsten Jahren verwickelten sich die Verhältnisse im Orient derart, daß ein
Zusammenstoß zwischen Österreich und Rußland nicht für unmöglich galt.
Beide Mächte wünschten daher die Erneuerung des Vertrags von 1884 nicht,
um nicht gebunden zu sein, und sie wurde auch nicht vollzogen. Mit 1887
erlosch also das Dreikaiserverhältnis. Da aber nun zwar Österreich eine An¬
lehnung an Deutschland hatte, Rußland aber gänzlich allein stand, so bot
dies in Berlin einen Neutralitätsvertrag an, und dieser wurde in der Weise
abgeschlossen, daß Nußland seine freundliche Neutralität zusicherte, wenn
Deutschland von Frankreich angegriffen werden sollte, Deutschland sür den
Fall, daß Rußland mit der Macht, die ihm in Asien wie im europäischen
Orient gegenüberstand, mit England, in Krieg geraten sollte. Eine Untreue
gegen Österreich, von der soviel gefaselt wurde, als der Vertrag im vorigen
Herbst bekannt wurde, lag darin also nicht; denn für den Fall eines russisch¬
österreichischen Zusammenstoßes hatte Deutschland den Russen nichts ver¬
sprochen; in Wien, wo der Vertrag ebenso wie in Rom sofort vertraulich mit¬
geteilt wurde, hat man ihn fogar mit Freuden begrüßt, weil dadurch die
Voraussetzung, unter der Österreich nach dem Abkommen von 1879 zur Waffen-
Hilfe für Deutschland verpflichtet war, nämlich eine Unterstützung Frankreichs
durch Rußland, wegfiel. Wie wichtig dies Einvernehmen mit Rußland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/99>, abgerufen am 29.06.2024.