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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Nochmals der deutsch-russische Vertrag von ^387

gerade damals war, zeigt ein Blick auf die Kriegshetzereien Boulangers, der
am 17. Mai 1837 zurücktrat. Nun ist es ja richtig, daß der Vertrag die
feindselige Stimmung weiter russischer Kreise nicht gehindert hat, und daß sich
sogar Alexander III. selbst, argwöhnisch, wie er überhaupt war, durch dänisch-
orleanistische Fälschungen zu dem Glauben verleiten ließ, Fürst Bismarck habe
bei den bulgarischen Vorgängen im Jahre 1885 seine Hand im russenfeindlichen
Sinne im Spiele gehabt; doch ließ er sich bekanntlich bei seinem Besuch in
Berlin im November 1887 eines Bessern belehren. Wenn er trotzdem um die¬
selbe Zeit große Truppenmassen in den russischen Westprovinzen zu sammeln
begann, so war das kein Zeichen von Angriffsabsichten, sondern eine Maßregel,
um den ungeheuern Vorsprung, den seine westlichen Nachbarn bei einem euro¬
päischen Kriege in der Mobilisirung ihrer Heeresmassen hatten, einigermaßen
auszugleichen, denn eine völlige Niederwerfung Frankreichs wie 1870 würde
Rußland nicht wieder zugelassen haben. Daß wiederum Deutschland durch
die Reichstagsbeschlüsse vom Februar 1888 seine Heeresrüstung vervollständigte,
war ein selbstverständliches Werk kluger Vorsicht; lief doch auch 1890 der
Vertrag mit Rußland ab, und es war immerhin unsicher, ob er erneuert werden
würde.

Trotz alledem blieb bekanntlich der Friede ungestört, und noch im Oktober
1889 versicherte Kaiser Alexander in Berlin den Fürsten Bismarck ausdrücklich
seines persönlichen Vertrauens. Freilich, dies Vertrauen schenkte er eben nur
diesem Reichskanzler, und es ist deshalb mehr als begreiflich, daß der Fürst
im März 1890 seinen Rücktritt in diesem Augenblicke mit Bezug auf die euro¬
päischen Verhältnisse für bedenklich erklärte. Trotzdem bot Graf Schuwalow
seinem Nachfolger Caprivi die Erneuerung des ablaufenden Vertrags von 1887
an. Weshalb dieser sie ablehnte, ist hier gleichgiltig und auch noch nicht genügend
bekannt. Welche Folgen aber diese Ablehnung des russischen Angebots haben
mußte oder doch gehabt hat. namentlich bei einem so schwer zu behandelnden,
stolzen, argwöhnischen und von Haus aus gewiß nicht besonders deutschfreund¬
lichen Herrscher, wie Alexander III. war, das ist klar genug und begreiflich
genug. Wer bürgte ihm jetzt für die Neutralität Deutschlands für den in
dem Vertrage von 1887 vorgesehenen Fall? Nußland stand also jetzt völlig
allein; kein Wunder, daß es an der Macht Anlehnung suchte, die ebenso allein
in Europa stand, an Frankreich. So trat Frankreich aus der Jsolirung, in
der es Fürst Bismarcks Staatskunst seit 1871 erhalten hatte, heraus, und
dem Dreibund stellte sich der Zweibund gegenüber. Daß sich dadurch die
Stellung Rußlands in Europa mächtig hob, ist selbstverständlich, denn es
hatte in Frankreich einen zuverlässigen, ihm geradezu blind ergebner, mächtigen
Bundesgenossen gewonnen und begann in der europäischen Politik bald die
leitende Rolle zu spielen.

Schließlich hat dieses russisch-französische Verhältnis, dessen Abschluß wahr-


Nochmals der deutsch-russische Vertrag von ^387

gerade damals war, zeigt ein Blick auf die Kriegshetzereien Boulangers, der
am 17. Mai 1837 zurücktrat. Nun ist es ja richtig, daß der Vertrag die
feindselige Stimmung weiter russischer Kreise nicht gehindert hat, und daß sich
sogar Alexander III. selbst, argwöhnisch, wie er überhaupt war, durch dänisch-
orleanistische Fälschungen zu dem Glauben verleiten ließ, Fürst Bismarck habe
bei den bulgarischen Vorgängen im Jahre 1885 seine Hand im russenfeindlichen
Sinne im Spiele gehabt; doch ließ er sich bekanntlich bei seinem Besuch in
Berlin im November 1887 eines Bessern belehren. Wenn er trotzdem um die¬
selbe Zeit große Truppenmassen in den russischen Westprovinzen zu sammeln
begann, so war das kein Zeichen von Angriffsabsichten, sondern eine Maßregel,
um den ungeheuern Vorsprung, den seine westlichen Nachbarn bei einem euro¬
päischen Kriege in der Mobilisirung ihrer Heeresmassen hatten, einigermaßen
auszugleichen, denn eine völlige Niederwerfung Frankreichs wie 1870 würde
Rußland nicht wieder zugelassen haben. Daß wiederum Deutschland durch
die Reichstagsbeschlüsse vom Februar 1888 seine Heeresrüstung vervollständigte,
war ein selbstverständliches Werk kluger Vorsicht; lief doch auch 1890 der
Vertrag mit Rußland ab, und es war immerhin unsicher, ob er erneuert werden
würde.

Trotz alledem blieb bekanntlich der Friede ungestört, und noch im Oktober
1889 versicherte Kaiser Alexander in Berlin den Fürsten Bismarck ausdrücklich
seines persönlichen Vertrauens. Freilich, dies Vertrauen schenkte er eben nur
diesem Reichskanzler, und es ist deshalb mehr als begreiflich, daß der Fürst
im März 1890 seinen Rücktritt in diesem Augenblicke mit Bezug auf die euro¬
päischen Verhältnisse für bedenklich erklärte. Trotzdem bot Graf Schuwalow
seinem Nachfolger Caprivi die Erneuerung des ablaufenden Vertrags von 1887
an. Weshalb dieser sie ablehnte, ist hier gleichgiltig und auch noch nicht genügend
bekannt. Welche Folgen aber diese Ablehnung des russischen Angebots haben
mußte oder doch gehabt hat. namentlich bei einem so schwer zu behandelnden,
stolzen, argwöhnischen und von Haus aus gewiß nicht besonders deutschfreund¬
lichen Herrscher, wie Alexander III. war, das ist klar genug und begreiflich
genug. Wer bürgte ihm jetzt für die Neutralität Deutschlands für den in
dem Vertrage von 1887 vorgesehenen Fall? Nußland stand also jetzt völlig
allein; kein Wunder, daß es an der Macht Anlehnung suchte, die ebenso allein
in Europa stand, an Frankreich. So trat Frankreich aus der Jsolirung, in
der es Fürst Bismarcks Staatskunst seit 1871 erhalten hatte, heraus, und
dem Dreibund stellte sich der Zweibund gegenüber. Daß sich dadurch die
Stellung Rußlands in Europa mächtig hob, ist selbstverständlich, denn es
hatte in Frankreich einen zuverlässigen, ihm geradezu blind ergebner, mächtigen
Bundesgenossen gewonnen und begann in der europäischen Politik bald die
leitende Rolle zu spielen.

Schließlich hat dieses russisch-französische Verhältnis, dessen Abschluß wahr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/100>, abgerufen am 26.06.2024.