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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Nochmals der deutsch-russische Vertrag von ^887

le Ausführungen des Artikels "Der Zusammenschluß der kon¬
tinentalen Mächte" in Ur> 39 dieses Blattes dürfen nicht dahin
verstanden werden, als ob die Bedeutung des deutsch-russischen
Neutralitätsvertrages von 1887 allein darin gelegen habe, daß
er dazu bestimmt gewesen sei, der persönlichen Empfindung Kaiser
Alexanders III. zu genügen. Das ist nicht der Fall. Man muß, um ihn ganz
zu verstehen, die deutsch-russischen Beziehungen etwas weiter zurück verfolgen.
Das Verhältnis zwischen Preußen-Deutschland und Rußland beruhte bis zum
russisch-türkischen Kriege von 1877/78 auf der freundlichen Neutralität Preußens
im Krimkriege und auf der von den Liberalen seinerzeit so hart angefochtenen
preußisch-russischen Militärkonvention vom Februar 1863 gegenüber dem pol¬
nischen Aufstande. Daher deckte Kaiser Alexander II. im Jahre 1866 Preußen,
1870/71 Deutschland den Rücken und förderte hier den Sieg über Österreich,
dort über Frankreich. Inzwischen aber vollzog sich in der russischen Gesell¬
schaft eine tiefe Wandlung. Der einseitige russische Nationalismus der Pcm-
slawisten oder, wie sie sich selbst nennen, der Slawophilen unter Führung von
Katkvw und Aksakow sah in der russischen bäuerlichen Demokratie und in dem
altrussischen unbeschränkten Kaisertum die Mächte der Zukunft, die, wie einst die
Germanen der Völkerwanderung das römische Weltreich, den "faulen Westen"
erobern und verjüngen würden durch die Herrschaft des jugeudkrüftigen Slawen¬
tums. Daher standen sie der abendländischen, besonders aber der deutschen
Kultur feindselig gegenüber und trugen mit den beginnenden Nussifizirungs-
maßregeln in dem niedergeworfnen Polen und den baltisch-dentschen Provinzen
ihren ersten Sieg davon. Die Errichtung des Deutschen Reichs verschärfte
diese feindselige Empfindung, da es den panslawistischen Machtgelüsten eine
starke Schranke zog, und obwohl Alexander II. persönlich seinen Standpunkt
gegenüber Deutschland nicht änderte, vielmehr das Dreikaiserbündnis einging,
so zeigte doch schon 1875 die Behauptung des Fürsten Gortschakow, nur durch
Nußland sei Deutschland von einem Angriff auf Frankreich abgehalten worden,
eine unfreundliche Gcfinnnnng gegen Deutschland, und schließlich riß die pan-
slawistische Partei, zu der thatsächlich der russische Thronfolger selbst gehörte,




Nochmals der deutsch-russische Vertrag von ^887

le Ausführungen des Artikels „Der Zusammenschluß der kon¬
tinentalen Mächte" in Ur> 39 dieses Blattes dürfen nicht dahin
verstanden werden, als ob die Bedeutung des deutsch-russischen
Neutralitätsvertrages von 1887 allein darin gelegen habe, daß
er dazu bestimmt gewesen sei, der persönlichen Empfindung Kaiser
Alexanders III. zu genügen. Das ist nicht der Fall. Man muß, um ihn ganz
zu verstehen, die deutsch-russischen Beziehungen etwas weiter zurück verfolgen.
Das Verhältnis zwischen Preußen-Deutschland und Rußland beruhte bis zum
russisch-türkischen Kriege von 1877/78 auf der freundlichen Neutralität Preußens
im Krimkriege und auf der von den Liberalen seinerzeit so hart angefochtenen
preußisch-russischen Militärkonvention vom Februar 1863 gegenüber dem pol¬
nischen Aufstande. Daher deckte Kaiser Alexander II. im Jahre 1866 Preußen,
1870/71 Deutschland den Rücken und förderte hier den Sieg über Österreich,
dort über Frankreich. Inzwischen aber vollzog sich in der russischen Gesell¬
schaft eine tiefe Wandlung. Der einseitige russische Nationalismus der Pcm-
slawisten oder, wie sie sich selbst nennen, der Slawophilen unter Führung von
Katkvw und Aksakow sah in der russischen bäuerlichen Demokratie und in dem
altrussischen unbeschränkten Kaisertum die Mächte der Zukunft, die, wie einst die
Germanen der Völkerwanderung das römische Weltreich, den „faulen Westen"
erobern und verjüngen würden durch die Herrschaft des jugeudkrüftigen Slawen¬
tums. Daher standen sie der abendländischen, besonders aber der deutschen
Kultur feindselig gegenüber und trugen mit den beginnenden Nussifizirungs-
maßregeln in dem niedergeworfnen Polen und den baltisch-dentschen Provinzen
ihren ersten Sieg davon. Die Errichtung des Deutschen Reichs verschärfte
diese feindselige Empfindung, da es den panslawistischen Machtgelüsten eine
starke Schranke zog, und obwohl Alexander II. persönlich seinen Standpunkt
gegenüber Deutschland nicht änderte, vielmehr das Dreikaiserbündnis einging,
so zeigte doch schon 1875 die Behauptung des Fürsten Gortschakow, nur durch
Nußland sei Deutschland von einem Angriff auf Frankreich abgehalten worden,
eine unfreundliche Gcfinnnnng gegen Deutschland, und schließlich riß die pan-
slawistische Partei, zu der thatsächlich der russische Thronfolger selbst gehörte,


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[0098] [Abbildung] Nochmals der deutsch-russische Vertrag von ^887 le Ausführungen des Artikels „Der Zusammenschluß der kon¬ tinentalen Mächte" in Ur> 39 dieses Blattes dürfen nicht dahin verstanden werden, als ob die Bedeutung des deutsch-russischen Neutralitätsvertrages von 1887 allein darin gelegen habe, daß er dazu bestimmt gewesen sei, der persönlichen Empfindung Kaiser Alexanders III. zu genügen. Das ist nicht der Fall. Man muß, um ihn ganz zu verstehen, die deutsch-russischen Beziehungen etwas weiter zurück verfolgen. Das Verhältnis zwischen Preußen-Deutschland und Rußland beruhte bis zum russisch-türkischen Kriege von 1877/78 auf der freundlichen Neutralität Preußens im Krimkriege und auf der von den Liberalen seinerzeit so hart angefochtenen preußisch-russischen Militärkonvention vom Februar 1863 gegenüber dem pol¬ nischen Aufstande. Daher deckte Kaiser Alexander II. im Jahre 1866 Preußen, 1870/71 Deutschland den Rücken und förderte hier den Sieg über Österreich, dort über Frankreich. Inzwischen aber vollzog sich in der russischen Gesell¬ schaft eine tiefe Wandlung. Der einseitige russische Nationalismus der Pcm- slawisten oder, wie sie sich selbst nennen, der Slawophilen unter Führung von Katkvw und Aksakow sah in der russischen bäuerlichen Demokratie und in dem altrussischen unbeschränkten Kaisertum die Mächte der Zukunft, die, wie einst die Germanen der Völkerwanderung das römische Weltreich, den „faulen Westen" erobern und verjüngen würden durch die Herrschaft des jugeudkrüftigen Slawen¬ tums. Daher standen sie der abendländischen, besonders aber der deutschen Kultur feindselig gegenüber und trugen mit den beginnenden Nussifizirungs- maßregeln in dem niedergeworfnen Polen und den baltisch-dentschen Provinzen ihren ersten Sieg davon. Die Errichtung des Deutschen Reichs verschärfte diese feindselige Empfindung, da es den panslawistischen Machtgelüsten eine starke Schranke zog, und obwohl Alexander II. persönlich seinen Standpunkt gegenüber Deutschland nicht änderte, vielmehr das Dreikaiserbündnis einging, so zeigte doch schon 1875 die Behauptung des Fürsten Gortschakow, nur durch Nußland sei Deutschland von einem Angriff auf Frankreich abgehalten worden, eine unfreundliche Gcfinnnnng gegen Deutschland, und schließlich riß die pan- slawistische Partei, zu der thatsächlich der russische Thronfolger selbst gehörte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/98>, abgerufen am 01.07.2024.