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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Otto Gildemeisters Lssays

vierten Gesang des Harold, die doch schon für das Höchste gelten, ist er zu
früh gestorben, als ihn mit 36 Jahren das Fieber in Griechenland wegraffte?
Ja, so findet Gildemeister, trotz der UnVollkommenheiten seiner Dramen, trotz
der Ähnlichkeit, die für den oberflächlichen Blick der Don Juan mit dem Childe
Harold hat. Denn Gildemeister zeichnet uns nun mit feinen, aber festen
Strichen das Bild des Epikers Byron, und inwiefern jedes dieser Gedichte
einer eignen Art angehört, das zeigen uns analytische Bemerkungen zu dem
Don Juan, die in dieser Kürze und Schärfe und mit der gleichen Grazie
schwerlich ein zweiter hätte geben können.

Wir können den Essay über Byron nicht mehr so ausführlich behandeln
wie den über Maccinlay, und einen dritten aus der englischen Litteratur: Zwei
Frauengestalten Shakespeares (Desdemona und Lady Macbeth) dürfen wir nur
erwähnen. Unsre Leser werden auch darin sehr viel neue Belehrung in an¬
genehmster Form vorgetragen finden.

Sechs Essays sind der französischen Litteratur gewidmet. Auf einen höchst
unterhaltenden Auszug aus den zwanzigbändigen Memoiren des Herzogs von
Se. Simon, die Gildemeister soviel Vergnügen bereitet haben, daß er das Werk
schon in dem ersten oder zweiten Dutzend der amüsantesten Bücher nennen
würde, folgen Aufsätze über die Beurteilung Napoleons bei Taine, über Arthur
Lewys Buch Naxolvon intime, über Josephine anläßlich der 1893 heraus-
gegebnen Louvonirs für Mxolöon von Chaptal, dem Minister des ersten Konsuls,
über Talleyrands Memoiren und über Nenans Lose Blätter. Wir finden auch
diese Essays höchst interessant. Sie sind mehr als gute Feuilletouartikcl, sie
enthalten zahlreiche Beiträge selbständiger historischer und litterarischer Kritik
und siud alle in der Form vollendet.

Am Anfange des Buches steht ein Nachruf auf den Bremer Bürgermeister
Johann Smidt. keine Biographie, sondern eine historische Würdigung seiner
öffentlichen Thätigkeit ans dem Hintergrunde einer sehr anschaulichen und aus¬
führlichen Parallele, die den Kulturzustand vou 1773, wo Smidt geboren
wurde, mit dem von 1873 vergleicht, wo der Aufsatz zuerst als Rede mit¬
geteilt wurde. Wir erhalten dadurch eine interessante Skizze des hansestädttschen
Handels während der letzten hundert Jahre, zugleich aber ein förmliches Kultur¬
bild einer Stadt, und zwar von dem geistvollsten Schriftsteller, den diese jemals
hervorgebracht hat.




Grenzboten IV :gg?
Otto Gildemeisters Lssays

vierten Gesang des Harold, die doch schon für das Höchste gelten, ist er zu
früh gestorben, als ihn mit 36 Jahren das Fieber in Griechenland wegraffte?
Ja, so findet Gildemeister, trotz der UnVollkommenheiten seiner Dramen, trotz
der Ähnlichkeit, die für den oberflächlichen Blick der Don Juan mit dem Childe
Harold hat. Denn Gildemeister zeichnet uns nun mit feinen, aber festen
Strichen das Bild des Epikers Byron, und inwiefern jedes dieser Gedichte
einer eignen Art angehört, das zeigen uns analytische Bemerkungen zu dem
Don Juan, die in dieser Kürze und Schärfe und mit der gleichen Grazie
schwerlich ein zweiter hätte geben können.

Wir können den Essay über Byron nicht mehr so ausführlich behandeln
wie den über Maccinlay, und einen dritten aus der englischen Litteratur: Zwei
Frauengestalten Shakespeares (Desdemona und Lady Macbeth) dürfen wir nur
erwähnen. Unsre Leser werden auch darin sehr viel neue Belehrung in an¬
genehmster Form vorgetragen finden.

Sechs Essays sind der französischen Litteratur gewidmet. Auf einen höchst
unterhaltenden Auszug aus den zwanzigbändigen Memoiren des Herzogs von
Se. Simon, die Gildemeister soviel Vergnügen bereitet haben, daß er das Werk
schon in dem ersten oder zweiten Dutzend der amüsantesten Bücher nennen
würde, folgen Aufsätze über die Beurteilung Napoleons bei Taine, über Arthur
Lewys Buch Naxolvon intime, über Josephine anläßlich der 1893 heraus-
gegebnen Louvonirs für Mxolöon von Chaptal, dem Minister des ersten Konsuls,
über Talleyrands Memoiren und über Nenans Lose Blätter. Wir finden auch
diese Essays höchst interessant. Sie sind mehr als gute Feuilletouartikcl, sie
enthalten zahlreiche Beiträge selbständiger historischer und litterarischer Kritik
und siud alle in der Form vollendet.

Am Anfange des Buches steht ein Nachruf auf den Bremer Bürgermeister
Johann Smidt. keine Biographie, sondern eine historische Würdigung seiner
öffentlichen Thätigkeit ans dem Hintergrunde einer sehr anschaulichen und aus¬
führlichen Parallele, die den Kulturzustand vou 1773, wo Smidt geboren
wurde, mit dem von 1873 vergleicht, wo der Aufsatz zuerst als Rede mit¬
geteilt wurde. Wir erhalten dadurch eine interessante Skizze des hansestädttschen
Handels während der letzten hundert Jahre, zugleich aber ein förmliches Kultur¬
bild einer Stadt, und zwar von dem geistvollsten Schriftsteller, den diese jemals
hervorgebracht hat.




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[0097] Otto Gildemeisters Lssays vierten Gesang des Harold, die doch schon für das Höchste gelten, ist er zu früh gestorben, als ihn mit 36 Jahren das Fieber in Griechenland wegraffte? Ja, so findet Gildemeister, trotz der UnVollkommenheiten seiner Dramen, trotz der Ähnlichkeit, die für den oberflächlichen Blick der Don Juan mit dem Childe Harold hat. Denn Gildemeister zeichnet uns nun mit feinen, aber festen Strichen das Bild des Epikers Byron, und inwiefern jedes dieser Gedichte einer eignen Art angehört, das zeigen uns analytische Bemerkungen zu dem Don Juan, die in dieser Kürze und Schärfe und mit der gleichen Grazie schwerlich ein zweiter hätte geben können. Wir können den Essay über Byron nicht mehr so ausführlich behandeln wie den über Maccinlay, und einen dritten aus der englischen Litteratur: Zwei Frauengestalten Shakespeares (Desdemona und Lady Macbeth) dürfen wir nur erwähnen. Unsre Leser werden auch darin sehr viel neue Belehrung in an¬ genehmster Form vorgetragen finden. Sechs Essays sind der französischen Litteratur gewidmet. Auf einen höchst unterhaltenden Auszug aus den zwanzigbändigen Memoiren des Herzogs von Se. Simon, die Gildemeister soviel Vergnügen bereitet haben, daß er das Werk schon in dem ersten oder zweiten Dutzend der amüsantesten Bücher nennen würde, folgen Aufsätze über die Beurteilung Napoleons bei Taine, über Arthur Lewys Buch Naxolvon intime, über Josephine anläßlich der 1893 heraus- gegebnen Louvonirs für Mxolöon von Chaptal, dem Minister des ersten Konsuls, über Talleyrands Memoiren und über Nenans Lose Blätter. Wir finden auch diese Essays höchst interessant. Sie sind mehr als gute Feuilletouartikcl, sie enthalten zahlreiche Beiträge selbständiger historischer und litterarischer Kritik und siud alle in der Form vollendet. Am Anfange des Buches steht ein Nachruf auf den Bremer Bürgermeister Johann Smidt. keine Biographie, sondern eine historische Würdigung seiner öffentlichen Thätigkeit ans dem Hintergrunde einer sehr anschaulichen und aus¬ führlichen Parallele, die den Kulturzustand vou 1773, wo Smidt geboren wurde, mit dem von 1873 vergleicht, wo der Aufsatz zuerst als Rede mit¬ geteilt wurde. Wir erhalten dadurch eine interessante Skizze des hansestädttschen Handels während der letzten hundert Jahre, zugleich aber ein förmliches Kultur¬ bild einer Stadt, und zwar von dem geistvollsten Schriftsteller, den diese jemals hervorgebracht hat. Grenzboten IV :gg?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/97>, abgerufen am 03.07.2024.