Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Veto Gildemeisters Lssays

dessen Ursache wir nicht aufgeklärt werden, gegen eine erbärmliche Welt an,
der Schauplatz seines pathetischen Untergangs ist ein fernes Land, die Farben
sind exotisch und glühend. Trotz der glänzenden, ausführlich und bilderreich
schwelgenden Diktion erhalten wir keine Charakterzeichnung, der Giciur. der
Korsar, Lara, Parisina usw. siud alle für uns keine Personen, trotzdem reizen
uns ihre Schicksale, lockt uns schon ihre bloße Erscheinung. Diese erzählenden
Gedichte siud weniger tief als Childe Harold, bei dem großen Leserkreis aber
vorzugsweise beliebt wegen ihrer übersichtlichern Gestalt. Alle diese Dichtungen
nennen wir lyrisch, weil sie die Empfindungen einer Person ausdrücken, freilich
mit Bezeichnungen, die manchmal so drastisch sind, daß man sie in der Vyron
vorangehenden klassizistischen Periode für unpoetisch gehalten haben würde; er
nennt die einzelne, ganz moderne Sache, wo sie eine akademische Verkleidung
zu geben pflegten. Das lernten dann wieder von ihm Viktor Hugo und die
andern französischen Romantiker, bei uns Grün, Lenau, Freiligrath, Herwegh,
Geibel, vor allem aber Heine, über dessen Verhältnis zu Byron hier sehr feine
Bemerkungen zu finden sind. Byron hat bei seiner großen lyrischen Begabung
nie ein Lied gedichtet, das sich mit den bessern Heinischen vergleichen ließe,
aber, so urteilt Gildemeister, seine lyrischen Dichtungen sind persönlich, innerlich
wahrer, während Heines Gefühle gemacht sind, und wo dieser gar den Byronschen
Weltschmerz nachmachen will, da hat er wohl denselben Übermut des Subjekts,
aber nicht dieselbe Großherzigkeit; die tiefe Kluft, die zwischen ihrer sittlichen
Natur liegt, macht, daß man an Heines Ernst nicht glaubt, während man
sogar bei Byrons Spöttereien noch nicht den Glanben an einen edeln Unter¬
grund verliert. Mcieaulay meinte bald nach Byrons Tode in einem Essay
(1831), man werde in kurzer Zeit den Dichter nur noch litterarisch genießen
und sich um das Persönliche nicht mehr kümmern. Gildemeister bestritt den
Satz, als sein eigner Essay zuerst erschien (1859); er wies auf die große Be¬
deutung des Persönlichen bei Byron hin, insofern eben darauf jene Wahrheit
seiner Lyrik beruhe, wodurch er Heine überlegen sei, und er hat Recht behalten,
denn wer sich heute, nach weitern vierzig Jahren, mit Byrons lyrischen Ge¬
dichten beschäftigt, der wird immer noch zu allererst von einem tiefen Anteil
an dem Subjekt ergriffen werden und nach dessen thatsächlichen Verhältnissen
ebenso forschen, wie man dem Leben des Dichters bei seinen Lebzeiten nach¬
ging. Aber Byron hat überhaupt nur zwölf Jahre lang der litterarischen
Öffentlichkeit angehört. Er war zum Lyriker vielleicht nicht geboren -- es
kann so scheinen, wenn man erwägt, was ihm z. B. Heine gegenüber fehlte:
der einfache, volksmüßige liedartige Ton --, aber er war durch seine schweren
innern Geschicke dazu gemacht worden. Darum werden die freilich nicht zahl¬
reichen Kleinodien seiner Lyrik bewundert werden, so lange es Herzen giebt,
die die Poesie zu rühren vermag. War er aber nun noch etwas andres, als
ein Lyriker, hat er eine Entwicklung durchgemacht, noch nach dem dritten und


Veto Gildemeisters Lssays

dessen Ursache wir nicht aufgeklärt werden, gegen eine erbärmliche Welt an,
der Schauplatz seines pathetischen Untergangs ist ein fernes Land, die Farben
sind exotisch und glühend. Trotz der glänzenden, ausführlich und bilderreich
schwelgenden Diktion erhalten wir keine Charakterzeichnung, der Giciur. der
Korsar, Lara, Parisina usw. siud alle für uns keine Personen, trotzdem reizen
uns ihre Schicksale, lockt uns schon ihre bloße Erscheinung. Diese erzählenden
Gedichte siud weniger tief als Childe Harold, bei dem großen Leserkreis aber
vorzugsweise beliebt wegen ihrer übersichtlichern Gestalt. Alle diese Dichtungen
nennen wir lyrisch, weil sie die Empfindungen einer Person ausdrücken, freilich
mit Bezeichnungen, die manchmal so drastisch sind, daß man sie in der Vyron
vorangehenden klassizistischen Periode für unpoetisch gehalten haben würde; er
nennt die einzelne, ganz moderne Sache, wo sie eine akademische Verkleidung
zu geben pflegten. Das lernten dann wieder von ihm Viktor Hugo und die
andern französischen Romantiker, bei uns Grün, Lenau, Freiligrath, Herwegh,
Geibel, vor allem aber Heine, über dessen Verhältnis zu Byron hier sehr feine
Bemerkungen zu finden sind. Byron hat bei seiner großen lyrischen Begabung
nie ein Lied gedichtet, das sich mit den bessern Heinischen vergleichen ließe,
aber, so urteilt Gildemeister, seine lyrischen Dichtungen sind persönlich, innerlich
wahrer, während Heines Gefühle gemacht sind, und wo dieser gar den Byronschen
Weltschmerz nachmachen will, da hat er wohl denselben Übermut des Subjekts,
aber nicht dieselbe Großherzigkeit; die tiefe Kluft, die zwischen ihrer sittlichen
Natur liegt, macht, daß man an Heines Ernst nicht glaubt, während man
sogar bei Byrons Spöttereien noch nicht den Glanben an einen edeln Unter¬
grund verliert. Mcieaulay meinte bald nach Byrons Tode in einem Essay
(1831), man werde in kurzer Zeit den Dichter nur noch litterarisch genießen
und sich um das Persönliche nicht mehr kümmern. Gildemeister bestritt den
Satz, als sein eigner Essay zuerst erschien (1859); er wies auf die große Be¬
deutung des Persönlichen bei Byron hin, insofern eben darauf jene Wahrheit
seiner Lyrik beruhe, wodurch er Heine überlegen sei, und er hat Recht behalten,
denn wer sich heute, nach weitern vierzig Jahren, mit Byrons lyrischen Ge¬
dichten beschäftigt, der wird immer noch zu allererst von einem tiefen Anteil
an dem Subjekt ergriffen werden und nach dessen thatsächlichen Verhältnissen
ebenso forschen, wie man dem Leben des Dichters bei seinen Lebzeiten nach¬
ging. Aber Byron hat überhaupt nur zwölf Jahre lang der litterarischen
Öffentlichkeit angehört. Er war zum Lyriker vielleicht nicht geboren — es
kann so scheinen, wenn man erwägt, was ihm z. B. Heine gegenüber fehlte:
der einfache, volksmüßige liedartige Ton —, aber er war durch seine schweren
innern Geschicke dazu gemacht worden. Darum werden die freilich nicht zahl¬
reichen Kleinodien seiner Lyrik bewundert werden, so lange es Herzen giebt,
die die Poesie zu rühren vermag. War er aber nun noch etwas andres, als
ein Lyriker, hat er eine Entwicklung durchgemacht, noch nach dem dritten und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226328"/>
          <fw type="header" place="top"> Veto Gildemeisters Lssays</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_219" prev="#ID_218" next="#ID_220"> dessen Ursache wir nicht aufgeklärt werden, gegen eine erbärmliche Welt an,<lb/>
der Schauplatz seines pathetischen Untergangs ist ein fernes Land, die Farben<lb/>
sind exotisch und glühend. Trotz der glänzenden, ausführlich und bilderreich<lb/>
schwelgenden Diktion erhalten wir keine Charakterzeichnung, der Giciur. der<lb/>
Korsar, Lara, Parisina usw. siud alle für uns keine Personen, trotzdem reizen<lb/>
uns ihre Schicksale, lockt uns schon ihre bloße Erscheinung. Diese erzählenden<lb/>
Gedichte siud weniger tief als Childe Harold, bei dem großen Leserkreis aber<lb/>
vorzugsweise beliebt wegen ihrer übersichtlichern Gestalt. Alle diese Dichtungen<lb/>
nennen wir lyrisch, weil sie die Empfindungen einer Person ausdrücken, freilich<lb/>
mit Bezeichnungen, die manchmal so drastisch sind, daß man sie in der Vyron<lb/>
vorangehenden klassizistischen Periode für unpoetisch gehalten haben würde; er<lb/>
nennt die einzelne, ganz moderne Sache, wo sie eine akademische Verkleidung<lb/>
zu geben pflegten. Das lernten dann wieder von ihm Viktor Hugo und die<lb/>
andern französischen Romantiker, bei uns Grün, Lenau, Freiligrath, Herwegh,<lb/>
Geibel, vor allem aber Heine, über dessen Verhältnis zu Byron hier sehr feine<lb/>
Bemerkungen zu finden sind. Byron hat bei seiner großen lyrischen Begabung<lb/>
nie ein Lied gedichtet, das sich mit den bessern Heinischen vergleichen ließe,<lb/>
aber, so urteilt Gildemeister, seine lyrischen Dichtungen sind persönlich, innerlich<lb/>
wahrer, während Heines Gefühle gemacht sind, und wo dieser gar den Byronschen<lb/>
Weltschmerz nachmachen will, da hat er wohl denselben Übermut des Subjekts,<lb/>
aber nicht dieselbe Großherzigkeit; die tiefe Kluft, die zwischen ihrer sittlichen<lb/>
Natur liegt, macht, daß man an Heines Ernst nicht glaubt, während man<lb/>
sogar bei Byrons Spöttereien noch nicht den Glanben an einen edeln Unter¬<lb/>
grund verliert. Mcieaulay meinte bald nach Byrons Tode in einem Essay<lb/>
(1831), man werde in kurzer Zeit den Dichter nur noch litterarisch genießen<lb/>
und sich um das Persönliche nicht mehr kümmern. Gildemeister bestritt den<lb/>
Satz, als sein eigner Essay zuerst erschien (1859); er wies auf die große Be¬<lb/>
deutung des Persönlichen bei Byron hin, insofern eben darauf jene Wahrheit<lb/>
seiner Lyrik beruhe, wodurch er Heine überlegen sei, und er hat Recht behalten,<lb/>
denn wer sich heute, nach weitern vierzig Jahren, mit Byrons lyrischen Ge¬<lb/>
dichten beschäftigt, der wird immer noch zu allererst von einem tiefen Anteil<lb/>
an dem Subjekt ergriffen werden und nach dessen thatsächlichen Verhältnissen<lb/>
ebenso forschen, wie man dem Leben des Dichters bei seinen Lebzeiten nach¬<lb/>
ging. Aber Byron hat überhaupt nur zwölf Jahre lang der litterarischen<lb/>
Öffentlichkeit angehört. Er war zum Lyriker vielleicht nicht geboren &#x2014; es<lb/>
kann so scheinen, wenn man erwägt, was ihm z. B. Heine gegenüber fehlte:<lb/>
der einfache, volksmüßige liedartige Ton &#x2014;, aber er war durch seine schweren<lb/>
innern Geschicke dazu gemacht worden. Darum werden die freilich nicht zahl¬<lb/>
reichen Kleinodien seiner Lyrik bewundert werden, so lange es Herzen giebt,<lb/>
die die Poesie zu rühren vermag. War er aber nun noch etwas andres, als<lb/>
ein Lyriker, hat er eine Entwicklung durchgemacht, noch nach dem dritten und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0096] Veto Gildemeisters Lssays dessen Ursache wir nicht aufgeklärt werden, gegen eine erbärmliche Welt an, der Schauplatz seines pathetischen Untergangs ist ein fernes Land, die Farben sind exotisch und glühend. Trotz der glänzenden, ausführlich und bilderreich schwelgenden Diktion erhalten wir keine Charakterzeichnung, der Giciur. der Korsar, Lara, Parisina usw. siud alle für uns keine Personen, trotzdem reizen uns ihre Schicksale, lockt uns schon ihre bloße Erscheinung. Diese erzählenden Gedichte siud weniger tief als Childe Harold, bei dem großen Leserkreis aber vorzugsweise beliebt wegen ihrer übersichtlichern Gestalt. Alle diese Dichtungen nennen wir lyrisch, weil sie die Empfindungen einer Person ausdrücken, freilich mit Bezeichnungen, die manchmal so drastisch sind, daß man sie in der Vyron vorangehenden klassizistischen Periode für unpoetisch gehalten haben würde; er nennt die einzelne, ganz moderne Sache, wo sie eine akademische Verkleidung zu geben pflegten. Das lernten dann wieder von ihm Viktor Hugo und die andern französischen Romantiker, bei uns Grün, Lenau, Freiligrath, Herwegh, Geibel, vor allem aber Heine, über dessen Verhältnis zu Byron hier sehr feine Bemerkungen zu finden sind. Byron hat bei seiner großen lyrischen Begabung nie ein Lied gedichtet, das sich mit den bessern Heinischen vergleichen ließe, aber, so urteilt Gildemeister, seine lyrischen Dichtungen sind persönlich, innerlich wahrer, während Heines Gefühle gemacht sind, und wo dieser gar den Byronschen Weltschmerz nachmachen will, da hat er wohl denselben Übermut des Subjekts, aber nicht dieselbe Großherzigkeit; die tiefe Kluft, die zwischen ihrer sittlichen Natur liegt, macht, daß man an Heines Ernst nicht glaubt, während man sogar bei Byrons Spöttereien noch nicht den Glanben an einen edeln Unter¬ grund verliert. Mcieaulay meinte bald nach Byrons Tode in einem Essay (1831), man werde in kurzer Zeit den Dichter nur noch litterarisch genießen und sich um das Persönliche nicht mehr kümmern. Gildemeister bestritt den Satz, als sein eigner Essay zuerst erschien (1859); er wies auf die große Be¬ deutung des Persönlichen bei Byron hin, insofern eben darauf jene Wahrheit seiner Lyrik beruhe, wodurch er Heine überlegen sei, und er hat Recht behalten, denn wer sich heute, nach weitern vierzig Jahren, mit Byrons lyrischen Ge¬ dichten beschäftigt, der wird immer noch zu allererst von einem tiefen Anteil an dem Subjekt ergriffen werden und nach dessen thatsächlichen Verhältnissen ebenso forschen, wie man dem Leben des Dichters bei seinen Lebzeiten nach¬ ging. Aber Byron hat überhaupt nur zwölf Jahre lang der litterarischen Öffentlichkeit angehört. Er war zum Lyriker vielleicht nicht geboren — es kann so scheinen, wenn man erwägt, was ihm z. B. Heine gegenüber fehlte: der einfache, volksmüßige liedartige Ton —, aber er war durch seine schweren innern Geschicke dazu gemacht worden. Darum werden die freilich nicht zahl¬ reichen Kleinodien seiner Lyrik bewundert werden, so lange es Herzen giebt, die die Poesie zu rühren vermag. War er aber nun noch etwas andres, als ein Lyriker, hat er eine Entwicklung durchgemacht, noch nach dem dritten und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/96
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/96>, abgerufen am 22.07.2024.