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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zwei philosophische Systeme

Ideen, die Hauptpunkte der Naturphilosophie und die "Grundzüge der Philo¬
sophie des Geistes." Wundt schreibt deutscher und gefälliger als Hartmann,
steht ihm aber trotzdem in der Klarheit nach, weil er weniger entschieden ist;
Hartmann weiß immer genau, was er meint, und sagt es unverblümt heraus.
In der Einleitung wird die Berechtigung der Philosophie als einer selbstän¬
digen Wissenschaft nachgewiesen und als ihre Aufgabe angegebett, "die durch
die Einzelwissenschaften vermittelten allgemeinen Erkenntnisse zu einem wider¬
spruchslosen System zu vereinigen." Wundes Versuch, im Schlußab¬
schnitt Religion und Philosophie zu versöhnen und den Gläubigen wie deu
Ungläubigen eine gleich befriedigende Auskunft über die letzten Dinge zu geben,
verrät zwar viel diplomatisches Geschick, wird aber keiner der beiden Parteien
genügen. Es habe sich, meint er, aus seinen Untersuchungen ergeben, "daß
die beiden Ideen des absoluten Weltgrundes und des absoluten Weltzwecks
zwar notwendig adäquat dem sittlichen Ideal gedacht werden müssen, daß sie
aber im übrigen wegen der mit ihnen verbundnen Forderung absoluter Un¬
endlichkeit jedes bestimmten Inhalts entbehren." Mit diesem Ergebnis könne
sich nun zwar der philosophirende Geist begnügen, nicht aber das Gemüt.
Diesem biete die Religion die Gottesidee. Soll diese aber das sittliche Be¬
dürfnis des Menschen befriedigen und dennoch nicht mit der Vernunft in
Widerspruch geraten, so muß, meint er, Gott als unvorstellbar gedacht, als
sittliches Lebensideal aber eine geschichtliche Persönlichkeit hingestellt werden,
die nichts Übermenschliches an sich haben und namentlich nicht Wunder wirken
darf. Fallen aber damit nicht die Weltursache und das sittliche Ideal oder
der Weltzweck vollständig auseinander? Noch unbefriedigender fällt die Kor¬
rektur aus, die er an dem christlichen Unsterblichkeitsglauben anbringt. Von einer
persönlichen Fortdauer nach dem Tode will er, ähnlich wie Hartmann, schon
darum nichts wissen, weil das Verlangen darnach im Hedonismus, im Ver¬
langen nach Glückseligkeit wurzele, und nachdem er den Glauben an die Seelen¬
monade oder die substantielle Einzelseele schon in den erkenntnistheoretischen
Abschnitten bekämpft hat,") weist er hier noch nach, daß die Annahme einer
solchen Monade die persönliche Fortdauer, abgesehen davon, daß man diese
nicht wünschen soll, gar nicht verbürgen und erklären würde. Was bleibt
nun von der Unsterblichkeit übrig? "Auch der Unsterblichkeitsgedanke wird im
selben Sinne wie alle religiösen Anschauungen zunächst nur als eine Vor-



Mich hat er damit nicht überzeugt. Siehe die Rezension seiner Vorlesungen über
Menschen- und Tierseele im 4V. Heft des Jahrgangs 1892. Bei dieser Gelegenheit mag ein
recht praktisches Handbüchlein der altmodischen Seelenlehre, der ich selbst anhänge, empfohlen
werden! Psychologie von Dr. Friedrich Harms, weil. ort. Professor der Philosvhie der
Universität zu Berlin und Mitglied der königl. Akademie der Wissenschaften. Aus dem hand¬
schriftlichen Nachlasse des Verfassers herausgegeben von 1)r. Heinrich Wiese. Leipzig,
Th. Grieben, 13"7.
Zwei philosophische Systeme

Ideen, die Hauptpunkte der Naturphilosophie und die „Grundzüge der Philo¬
sophie des Geistes." Wundt schreibt deutscher und gefälliger als Hartmann,
steht ihm aber trotzdem in der Klarheit nach, weil er weniger entschieden ist;
Hartmann weiß immer genau, was er meint, und sagt es unverblümt heraus.
In der Einleitung wird die Berechtigung der Philosophie als einer selbstän¬
digen Wissenschaft nachgewiesen und als ihre Aufgabe angegebett, „die durch
die Einzelwissenschaften vermittelten allgemeinen Erkenntnisse zu einem wider¬
spruchslosen System zu vereinigen." Wundes Versuch, im Schlußab¬
schnitt Religion und Philosophie zu versöhnen und den Gläubigen wie deu
Ungläubigen eine gleich befriedigende Auskunft über die letzten Dinge zu geben,
verrät zwar viel diplomatisches Geschick, wird aber keiner der beiden Parteien
genügen. Es habe sich, meint er, aus seinen Untersuchungen ergeben, „daß
die beiden Ideen des absoluten Weltgrundes und des absoluten Weltzwecks
zwar notwendig adäquat dem sittlichen Ideal gedacht werden müssen, daß sie
aber im übrigen wegen der mit ihnen verbundnen Forderung absoluter Un¬
endlichkeit jedes bestimmten Inhalts entbehren." Mit diesem Ergebnis könne
sich nun zwar der philosophirende Geist begnügen, nicht aber das Gemüt.
Diesem biete die Religion die Gottesidee. Soll diese aber das sittliche Be¬
dürfnis des Menschen befriedigen und dennoch nicht mit der Vernunft in
Widerspruch geraten, so muß, meint er, Gott als unvorstellbar gedacht, als
sittliches Lebensideal aber eine geschichtliche Persönlichkeit hingestellt werden,
die nichts Übermenschliches an sich haben und namentlich nicht Wunder wirken
darf. Fallen aber damit nicht die Weltursache und das sittliche Ideal oder
der Weltzweck vollständig auseinander? Noch unbefriedigender fällt die Kor¬
rektur aus, die er an dem christlichen Unsterblichkeitsglauben anbringt. Von einer
persönlichen Fortdauer nach dem Tode will er, ähnlich wie Hartmann, schon
darum nichts wissen, weil das Verlangen darnach im Hedonismus, im Ver¬
langen nach Glückseligkeit wurzele, und nachdem er den Glauben an die Seelen¬
monade oder die substantielle Einzelseele schon in den erkenntnistheoretischen
Abschnitten bekämpft hat,") weist er hier noch nach, daß die Annahme einer
solchen Monade die persönliche Fortdauer, abgesehen davon, daß man diese
nicht wünschen soll, gar nicht verbürgen und erklären würde. Was bleibt
nun von der Unsterblichkeit übrig? „Auch der Unsterblichkeitsgedanke wird im
selben Sinne wie alle religiösen Anschauungen zunächst nur als eine Vor-



Mich hat er damit nicht überzeugt. Siehe die Rezension seiner Vorlesungen über
Menschen- und Tierseele im 4V. Heft des Jahrgangs 1892. Bei dieser Gelegenheit mag ein
recht praktisches Handbüchlein der altmodischen Seelenlehre, der ich selbst anhänge, empfohlen
werden! Psychologie von Dr. Friedrich Harms, weil. ort. Professor der Philosvhie der
Universität zu Berlin und Mitglied der königl. Akademie der Wissenschaften. Aus dem hand¬
schriftlichen Nachlasse des Verfassers herausgegeben von 1)r. Heinrich Wiese. Leipzig,
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[0090] Zwei philosophische Systeme Ideen, die Hauptpunkte der Naturphilosophie und die „Grundzüge der Philo¬ sophie des Geistes." Wundt schreibt deutscher und gefälliger als Hartmann, steht ihm aber trotzdem in der Klarheit nach, weil er weniger entschieden ist; Hartmann weiß immer genau, was er meint, und sagt es unverblümt heraus. In der Einleitung wird die Berechtigung der Philosophie als einer selbstän¬ digen Wissenschaft nachgewiesen und als ihre Aufgabe angegebett, „die durch die Einzelwissenschaften vermittelten allgemeinen Erkenntnisse zu einem wider¬ spruchslosen System zu vereinigen." Wundes Versuch, im Schlußab¬ schnitt Religion und Philosophie zu versöhnen und den Gläubigen wie deu Ungläubigen eine gleich befriedigende Auskunft über die letzten Dinge zu geben, verrät zwar viel diplomatisches Geschick, wird aber keiner der beiden Parteien genügen. Es habe sich, meint er, aus seinen Untersuchungen ergeben, „daß die beiden Ideen des absoluten Weltgrundes und des absoluten Weltzwecks zwar notwendig adäquat dem sittlichen Ideal gedacht werden müssen, daß sie aber im übrigen wegen der mit ihnen verbundnen Forderung absoluter Un¬ endlichkeit jedes bestimmten Inhalts entbehren." Mit diesem Ergebnis könne sich nun zwar der philosophirende Geist begnügen, nicht aber das Gemüt. Diesem biete die Religion die Gottesidee. Soll diese aber das sittliche Be¬ dürfnis des Menschen befriedigen und dennoch nicht mit der Vernunft in Widerspruch geraten, so muß, meint er, Gott als unvorstellbar gedacht, als sittliches Lebensideal aber eine geschichtliche Persönlichkeit hingestellt werden, die nichts Übermenschliches an sich haben und namentlich nicht Wunder wirken darf. Fallen aber damit nicht die Weltursache und das sittliche Ideal oder der Weltzweck vollständig auseinander? Noch unbefriedigender fällt die Kor¬ rektur aus, die er an dem christlichen Unsterblichkeitsglauben anbringt. Von einer persönlichen Fortdauer nach dem Tode will er, ähnlich wie Hartmann, schon darum nichts wissen, weil das Verlangen darnach im Hedonismus, im Ver¬ langen nach Glückseligkeit wurzele, und nachdem er den Glauben an die Seelen¬ monade oder die substantielle Einzelseele schon in den erkenntnistheoretischen Abschnitten bekämpft hat,") weist er hier noch nach, daß die Annahme einer solchen Monade die persönliche Fortdauer, abgesehen davon, daß man diese nicht wünschen soll, gar nicht verbürgen und erklären würde. Was bleibt nun von der Unsterblichkeit übrig? „Auch der Unsterblichkeitsgedanke wird im selben Sinne wie alle religiösen Anschauungen zunächst nur als eine Vor- Mich hat er damit nicht überzeugt. Siehe die Rezension seiner Vorlesungen über Menschen- und Tierseele im 4V. Heft des Jahrgangs 1892. Bei dieser Gelegenheit mag ein recht praktisches Handbüchlein der altmodischen Seelenlehre, der ich selbst anhänge, empfohlen werden! Psychologie von Dr. Friedrich Harms, weil. ort. Professor der Philosvhie der Universität zu Berlin und Mitglied der königl. Akademie der Wissenschaften. Aus dem hand¬ schriftlichen Nachlasse des Verfassers herausgegeben von 1)r. Heinrich Wiese. Leipzig, Th. Grieben, 13»7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/90>, abgerufen am 23.07.2024.