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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zwei philosophische Systeme

Mannichfaltigkeit und Schönheit erfreuenden Anschauungen? So läßt Hart¬
mann den ganzen Reichtum des geistigen Lebens zur Logik und diese zur
Mathematik zusammenschrumpfen, um -- noch dazu mit einem recht plumpen
Fehlschluß -- dem Willen, der den Inhalt der Verstandeskategorien bilden
soll, die Makel der "Alogizitüt" anheften zu können. Nun ist aber der Wille
in keinem andern Sinne alogisch als die Birne oder das gemessene Ackerstück,
d. h. er ist es nur, insofern er eben etwas andres ist als der Verstand. Aber
antilogisch ist er nicht; er kann sich auf etwas unvernünftiges richten und zu
unlogischen Handeln treiben, er kann sich aber auch durchaus in den Grenzen
der Logik halten. Wenn ich eine Birne essen, einen Spaziergang machen, des
Abends schlafen, ein schönes Buch lesen oder einen Zeitungsartikel schreiben
will, so thue ich schlechterdings nichts Unlogisches. Ich verstoße gegen kein
Denkgesetz, und ich will mich nichts, was einen Widerspruch enthielte. Ich
will mir eine Befriedigung verschaffen, und dieser Zweck wird erreicht. Hart¬
mann wird sagen: Ja, diese Befriedigung dauert uur einen Augenblick, dann
tritt wieder der Zustand der Unbefriedigtheit ein, der Zweck ist also nicht er¬
reicht worden, und das Wollen ist unvernünftig gewesen. Aber wer wird denn
auch so ein Narr sein, von einer Birne eine hundertjährige Befriedigung zu
erwarten? Wenn ich die Birne gegessen habe, schreibe ich einen Artikel, um
einen politischen Gegner zu ärgern, was mich auch befriedigt -- nicht immer
im gleichen Grade, muß ich gestehen, und manchmal freilich gar nicht, aber
man darf nicht unbescheiden sein; tritt die Befriedigung nnr wenigstens von
Zeit zu Zeit ein, und verliert man nur in den Zwischenzeiten den Humor nicht,
so verwirklicht der Wille zum Leben seinen Zweck und erweist dadurch seine
Vernünftigkeit. Ist nun der Wille der Einzelnen trotz aller Dummheiten, die
er begeht (und die in ihrer Gesamtheit, als Stoff zum Lachen, einen unent¬
behrlichen Bestandteil des Lebensglücks bilden und sich dadurch zuguderletzt
auch noch als Sprößlinge der Urvernnnft legitimiren), im ganzen vernünftig,
so muß es auch der Gesäme- oder Urwille sein.

Und ist denn an diesem Urwillen wirklich weiter nichts erkennbar, als ein
dunkler Drang, eine Intensität oder Spannung ins Blaue, Aschgraue oder ins
pechschwarze Nichts hinein? Giebt es denn weder Schönheit, noch Liebe, noch
Gerechtigkeit in der Welt? Warum hat denn Hartmann nicht auch diese drei
"Kategorien" untersucht und bis zu ihrem "Prinzip" verfolgt? Er würde
sie dann auch in Gott gefunden haben. Denn wie es in der Welt keine
Intelligenz geben könnte, wenn sie nicht vor Erschaffung der Welt in Gott
dagewesen wäre, so könnte es auch weder Schönheit, noch Liebe, noch Ge¬
rechtigkeit geben, wenn diese guten Geister des Menschengeschlechts nicht in der
Urheimat alles Seienden ihre ewige Wohnstätte hätten. Der UrWille, der
Wille des Absoluten, ist also kein blinder, Sinn- und zweckloser Drang und
Zwang, sondern der Drang, die eigne unendliche Fülle der Glückseligkeit andern


Zwei philosophische Systeme

Mannichfaltigkeit und Schönheit erfreuenden Anschauungen? So läßt Hart¬
mann den ganzen Reichtum des geistigen Lebens zur Logik und diese zur
Mathematik zusammenschrumpfen, um — noch dazu mit einem recht plumpen
Fehlschluß — dem Willen, der den Inhalt der Verstandeskategorien bilden
soll, die Makel der „Alogizitüt" anheften zu können. Nun ist aber der Wille
in keinem andern Sinne alogisch als die Birne oder das gemessene Ackerstück,
d. h. er ist es nur, insofern er eben etwas andres ist als der Verstand. Aber
antilogisch ist er nicht; er kann sich auf etwas unvernünftiges richten und zu
unlogischen Handeln treiben, er kann sich aber auch durchaus in den Grenzen
der Logik halten. Wenn ich eine Birne essen, einen Spaziergang machen, des
Abends schlafen, ein schönes Buch lesen oder einen Zeitungsartikel schreiben
will, so thue ich schlechterdings nichts Unlogisches. Ich verstoße gegen kein
Denkgesetz, und ich will mich nichts, was einen Widerspruch enthielte. Ich
will mir eine Befriedigung verschaffen, und dieser Zweck wird erreicht. Hart¬
mann wird sagen: Ja, diese Befriedigung dauert uur einen Augenblick, dann
tritt wieder der Zustand der Unbefriedigtheit ein, der Zweck ist also nicht er¬
reicht worden, und das Wollen ist unvernünftig gewesen. Aber wer wird denn
auch so ein Narr sein, von einer Birne eine hundertjährige Befriedigung zu
erwarten? Wenn ich die Birne gegessen habe, schreibe ich einen Artikel, um
einen politischen Gegner zu ärgern, was mich auch befriedigt — nicht immer
im gleichen Grade, muß ich gestehen, und manchmal freilich gar nicht, aber
man darf nicht unbescheiden sein; tritt die Befriedigung nnr wenigstens von
Zeit zu Zeit ein, und verliert man nur in den Zwischenzeiten den Humor nicht,
so verwirklicht der Wille zum Leben seinen Zweck und erweist dadurch seine
Vernünftigkeit. Ist nun der Wille der Einzelnen trotz aller Dummheiten, die
er begeht (und die in ihrer Gesamtheit, als Stoff zum Lachen, einen unent¬
behrlichen Bestandteil des Lebensglücks bilden und sich dadurch zuguderletzt
auch noch als Sprößlinge der Urvernnnft legitimiren), im ganzen vernünftig,
so muß es auch der Gesäme- oder Urwille sein.

Und ist denn an diesem Urwillen wirklich weiter nichts erkennbar, als ein
dunkler Drang, eine Intensität oder Spannung ins Blaue, Aschgraue oder ins
pechschwarze Nichts hinein? Giebt es denn weder Schönheit, noch Liebe, noch
Gerechtigkeit in der Welt? Warum hat denn Hartmann nicht auch diese drei
„Kategorien" untersucht und bis zu ihrem „Prinzip" verfolgt? Er würde
sie dann auch in Gott gefunden haben. Denn wie es in der Welt keine
Intelligenz geben könnte, wenn sie nicht vor Erschaffung der Welt in Gott
dagewesen wäre, so könnte es auch weder Schönheit, noch Liebe, noch Ge¬
rechtigkeit geben, wenn diese guten Geister des Menschengeschlechts nicht in der
Urheimat alles Seienden ihre ewige Wohnstätte hätten. Der UrWille, der
Wille des Absoluten, ist also kein blinder, Sinn- und zweckloser Drang und
Zwang, sondern der Drang, die eigne unendliche Fülle der Glückseligkeit andern


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[0082] Zwei philosophische Systeme Mannichfaltigkeit und Schönheit erfreuenden Anschauungen? So läßt Hart¬ mann den ganzen Reichtum des geistigen Lebens zur Logik und diese zur Mathematik zusammenschrumpfen, um — noch dazu mit einem recht plumpen Fehlschluß — dem Willen, der den Inhalt der Verstandeskategorien bilden soll, die Makel der „Alogizitüt" anheften zu können. Nun ist aber der Wille in keinem andern Sinne alogisch als die Birne oder das gemessene Ackerstück, d. h. er ist es nur, insofern er eben etwas andres ist als der Verstand. Aber antilogisch ist er nicht; er kann sich auf etwas unvernünftiges richten und zu unlogischen Handeln treiben, er kann sich aber auch durchaus in den Grenzen der Logik halten. Wenn ich eine Birne essen, einen Spaziergang machen, des Abends schlafen, ein schönes Buch lesen oder einen Zeitungsartikel schreiben will, so thue ich schlechterdings nichts Unlogisches. Ich verstoße gegen kein Denkgesetz, und ich will mich nichts, was einen Widerspruch enthielte. Ich will mir eine Befriedigung verschaffen, und dieser Zweck wird erreicht. Hart¬ mann wird sagen: Ja, diese Befriedigung dauert uur einen Augenblick, dann tritt wieder der Zustand der Unbefriedigtheit ein, der Zweck ist also nicht er¬ reicht worden, und das Wollen ist unvernünftig gewesen. Aber wer wird denn auch so ein Narr sein, von einer Birne eine hundertjährige Befriedigung zu erwarten? Wenn ich die Birne gegessen habe, schreibe ich einen Artikel, um einen politischen Gegner zu ärgern, was mich auch befriedigt — nicht immer im gleichen Grade, muß ich gestehen, und manchmal freilich gar nicht, aber man darf nicht unbescheiden sein; tritt die Befriedigung nnr wenigstens von Zeit zu Zeit ein, und verliert man nur in den Zwischenzeiten den Humor nicht, so verwirklicht der Wille zum Leben seinen Zweck und erweist dadurch seine Vernünftigkeit. Ist nun der Wille der Einzelnen trotz aller Dummheiten, die er begeht (und die in ihrer Gesamtheit, als Stoff zum Lachen, einen unent¬ behrlichen Bestandteil des Lebensglücks bilden und sich dadurch zuguderletzt auch noch als Sprößlinge der Urvernnnft legitimiren), im ganzen vernünftig, so muß es auch der Gesäme- oder Urwille sein. Und ist denn an diesem Urwillen wirklich weiter nichts erkennbar, als ein dunkler Drang, eine Intensität oder Spannung ins Blaue, Aschgraue oder ins pechschwarze Nichts hinein? Giebt es denn weder Schönheit, noch Liebe, noch Gerechtigkeit in der Welt? Warum hat denn Hartmann nicht auch diese drei „Kategorien" untersucht und bis zu ihrem „Prinzip" verfolgt? Er würde sie dann auch in Gott gefunden haben. Denn wie es in der Welt keine Intelligenz geben könnte, wenn sie nicht vor Erschaffung der Welt in Gott dagewesen wäre, so könnte es auch weder Schönheit, noch Liebe, noch Ge¬ rechtigkeit geben, wenn diese guten Geister des Menschengeschlechts nicht in der Urheimat alles Seienden ihre ewige Wohnstätte hätten. Der UrWille, der Wille des Absoluten, ist also kein blinder, Sinn- und zweckloser Drang und Zwang, sondern der Drang, die eigne unendliche Fülle der Glückseligkeit andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/82>, abgerufen am 23.07.2024.