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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zwei philosophische Systeme

sich als Autilogisches bekundet. Dies thut nun der Wille oder das Jnten-
sitätsprinzip, indem er vom nichtwollenden Wollenkönnen oder vom Nicht¬
wollen zum Wollenwollen übergeht. Nur wenn dieser Schritt einen Wider¬
spruch einschließt, findet das Logische an ihm Anlaß, sich zu bethätigen, sonst
nicht." Natürlich billige ich nur den negativen Teil dieser Ausführung,
d. h. daß das Logische aus sich selber keine Welt herausspinnen kann. Im
übrigen aber erlaube ich mir zunächst einen Widerspruch hervorzuheben.
Einmal sollte das Logische dem Wollen als einer leeren Form in der Idee
einen Inhalt darbieten, und hier erscheint das Logische als eine leere Form,
die sich mit dem Inhalt von Gefühls- und Begehrungsspannungen erfüllt;
wie immer auch dieser Widerspruch gelöst werdeu mag, jedenfalls ist der
Gegensatz von Inhalt und Form nicht so wertlos für die Philosophie, wie es
Hartmann in den früher angeführten Sätzen darstellt.

Dann aber klafft gerade hier die furchtbare Lücke, die Hartmann in der
Bestimmung des jenseitigen Weltgrnndes gelassen hat, recht ausfällig. Sollte
da drüben wirklich nichts zu entdecken sein, als das Logische und das Alogische
oder Antilogische, d. h. als die leere Form der Denkgesetze und ein unver¬
nünftiger Willcnsdrcmg? Ist das denn so ausgemacht, daß das Logische nur
auf sein Gegenteil angewandt werden kann? Zählen kann man nur Dinge,
z.V. Birnen. Zähle ich richtig, so verfahre ich logisch, zähle ich falsch, so
verfahre ich unlogisch, aber das Unlogische find nicht die Birnen, sondern mein
auf sie angewandtes Verfahren. Will ich zwanzig Birnen unter zehn Kinder
verteilen und jedem Kinde drei geben, so verfahre ich unlogisch, aber die
Birnen sind nicht unlogisch; alogische Dinge könnte man sie freilich nennen,
da eben Dinge weder logische Kategorien noch Behauptungen oder Lehrsätze
oder Schlusse, sondern Dinge sind, aber dann bedeutet das Wort alogisch uicht
soviel wie antilogisch, nicht einen Widerspruch gegen die Denkgesetze, sondern
es bezeichnet nur eben die Thatsache, daß Dinge und Denkoperationen zwei
verschiednen Gebieten des Wirklichen angehören. Um etwas Schönes, z. B. das
Bild eines schönen Menschenleibes darzustellen, braucht mau Materialien:
Leinwand und Farben oder einen Steinblock. Wenn min auch das Ästhetische
nicht im Material, sondern in der Form liegt, so ist doch der Felsblock weder
unästhetisch noch antiästhetisch, sondern er steht an sich zum Ästhetischen in
gcir keiner Beziehung. Und ist denn der Widerspruch wirklich das einzige,
woran sich die Logik üben kann? Herrscht sie nicht auch im Gebiet der Ur"
fachen und Wirkungen, der Zwecke und Mittel? Enthält denn das Bewußtsein
weiter nichts als Mathematik (bei der, wie gesagt, der Widerspruch, falls einer
vorkommt, nicht z. B. in den Bodenflächen liegt, die gemessen werden, sondern
in dem Verfahren des Messenden), enthält es nicht auch eine unendliche Fülle
vernünftiger Zusammenhänge des Geschehens und Wirkens? Und ist denn uicht
außer dem Logischen noch andres vorhanden? Die ganze Welt der durch


Grenzboten IV 1897 K)
Zwei philosophische Systeme

sich als Autilogisches bekundet. Dies thut nun der Wille oder das Jnten-
sitätsprinzip, indem er vom nichtwollenden Wollenkönnen oder vom Nicht¬
wollen zum Wollenwollen übergeht. Nur wenn dieser Schritt einen Wider¬
spruch einschließt, findet das Logische an ihm Anlaß, sich zu bethätigen, sonst
nicht." Natürlich billige ich nur den negativen Teil dieser Ausführung,
d. h. daß das Logische aus sich selber keine Welt herausspinnen kann. Im
übrigen aber erlaube ich mir zunächst einen Widerspruch hervorzuheben.
Einmal sollte das Logische dem Wollen als einer leeren Form in der Idee
einen Inhalt darbieten, und hier erscheint das Logische als eine leere Form,
die sich mit dem Inhalt von Gefühls- und Begehrungsspannungen erfüllt;
wie immer auch dieser Widerspruch gelöst werdeu mag, jedenfalls ist der
Gegensatz von Inhalt und Form nicht so wertlos für die Philosophie, wie es
Hartmann in den früher angeführten Sätzen darstellt.

Dann aber klafft gerade hier die furchtbare Lücke, die Hartmann in der
Bestimmung des jenseitigen Weltgrnndes gelassen hat, recht ausfällig. Sollte
da drüben wirklich nichts zu entdecken sein, als das Logische und das Alogische
oder Antilogische, d. h. als die leere Form der Denkgesetze und ein unver¬
nünftiger Willcnsdrcmg? Ist das denn so ausgemacht, daß das Logische nur
auf sein Gegenteil angewandt werden kann? Zählen kann man nur Dinge,
z.V. Birnen. Zähle ich richtig, so verfahre ich logisch, zähle ich falsch, so
verfahre ich unlogisch, aber das Unlogische find nicht die Birnen, sondern mein
auf sie angewandtes Verfahren. Will ich zwanzig Birnen unter zehn Kinder
verteilen und jedem Kinde drei geben, so verfahre ich unlogisch, aber die
Birnen sind nicht unlogisch; alogische Dinge könnte man sie freilich nennen,
da eben Dinge weder logische Kategorien noch Behauptungen oder Lehrsätze
oder Schlusse, sondern Dinge sind, aber dann bedeutet das Wort alogisch uicht
soviel wie antilogisch, nicht einen Widerspruch gegen die Denkgesetze, sondern
es bezeichnet nur eben die Thatsache, daß Dinge und Denkoperationen zwei
verschiednen Gebieten des Wirklichen angehören. Um etwas Schönes, z. B. das
Bild eines schönen Menschenleibes darzustellen, braucht mau Materialien:
Leinwand und Farben oder einen Steinblock. Wenn min auch das Ästhetische
nicht im Material, sondern in der Form liegt, so ist doch der Felsblock weder
unästhetisch noch antiästhetisch, sondern er steht an sich zum Ästhetischen in
gcir keiner Beziehung. Und ist denn der Widerspruch wirklich das einzige,
woran sich die Logik üben kann? Herrscht sie nicht auch im Gebiet der Ur»
fachen und Wirkungen, der Zwecke und Mittel? Enthält denn das Bewußtsein
weiter nichts als Mathematik (bei der, wie gesagt, der Widerspruch, falls einer
vorkommt, nicht z. B. in den Bodenflächen liegt, die gemessen werden, sondern
in dem Verfahren des Messenden), enthält es nicht auch eine unendliche Fülle
vernünftiger Zusammenhänge des Geschehens und Wirkens? Und ist denn uicht
außer dem Logischen noch andres vorhanden? Die ganze Welt der durch


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[0081] Zwei philosophische Systeme sich als Autilogisches bekundet. Dies thut nun der Wille oder das Jnten- sitätsprinzip, indem er vom nichtwollenden Wollenkönnen oder vom Nicht¬ wollen zum Wollenwollen übergeht. Nur wenn dieser Schritt einen Wider¬ spruch einschließt, findet das Logische an ihm Anlaß, sich zu bethätigen, sonst nicht." Natürlich billige ich nur den negativen Teil dieser Ausführung, d. h. daß das Logische aus sich selber keine Welt herausspinnen kann. Im übrigen aber erlaube ich mir zunächst einen Widerspruch hervorzuheben. Einmal sollte das Logische dem Wollen als einer leeren Form in der Idee einen Inhalt darbieten, und hier erscheint das Logische als eine leere Form, die sich mit dem Inhalt von Gefühls- und Begehrungsspannungen erfüllt; wie immer auch dieser Widerspruch gelöst werdeu mag, jedenfalls ist der Gegensatz von Inhalt und Form nicht so wertlos für die Philosophie, wie es Hartmann in den früher angeführten Sätzen darstellt. Dann aber klafft gerade hier die furchtbare Lücke, die Hartmann in der Bestimmung des jenseitigen Weltgrnndes gelassen hat, recht ausfällig. Sollte da drüben wirklich nichts zu entdecken sein, als das Logische und das Alogische oder Antilogische, d. h. als die leere Form der Denkgesetze und ein unver¬ nünftiger Willcnsdrcmg? Ist das denn so ausgemacht, daß das Logische nur auf sein Gegenteil angewandt werden kann? Zählen kann man nur Dinge, z.V. Birnen. Zähle ich richtig, so verfahre ich logisch, zähle ich falsch, so verfahre ich unlogisch, aber das Unlogische find nicht die Birnen, sondern mein auf sie angewandtes Verfahren. Will ich zwanzig Birnen unter zehn Kinder verteilen und jedem Kinde drei geben, so verfahre ich unlogisch, aber die Birnen sind nicht unlogisch; alogische Dinge könnte man sie freilich nennen, da eben Dinge weder logische Kategorien noch Behauptungen oder Lehrsätze oder Schlusse, sondern Dinge sind, aber dann bedeutet das Wort alogisch uicht soviel wie antilogisch, nicht einen Widerspruch gegen die Denkgesetze, sondern es bezeichnet nur eben die Thatsache, daß Dinge und Denkoperationen zwei verschiednen Gebieten des Wirklichen angehören. Um etwas Schönes, z. B. das Bild eines schönen Menschenleibes darzustellen, braucht mau Materialien: Leinwand und Farben oder einen Steinblock. Wenn min auch das Ästhetische nicht im Material, sondern in der Form liegt, so ist doch der Felsblock weder unästhetisch noch antiästhetisch, sondern er steht an sich zum Ästhetischen in gcir keiner Beziehung. Und ist denn der Widerspruch wirklich das einzige, woran sich die Logik üben kann? Herrscht sie nicht auch im Gebiet der Ur» fachen und Wirkungen, der Zwecke und Mittel? Enthält denn das Bewußtsein weiter nichts als Mathematik (bei der, wie gesagt, der Widerspruch, falls einer vorkommt, nicht z. B. in den Bodenflächen liegt, die gemessen werden, sondern in dem Verfahren des Messenden), enthält es nicht auch eine unendliche Fülle vernünftiger Zusammenhänge des Geschehens und Wirkens? Und ist denn uicht außer dem Logischen noch andres vorhanden? Die ganze Welt der durch Grenzboten IV 1897 K)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/81>, abgerufen am 22.07.2024.