Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Volksbühne auf dem Lande

nicht. Erst wenn die Wirklichkeit einmal in lebendigen Bildern, in Fleisch und
Blut vor sie hingestellt wird, erhalten sie einen bleibenden Eindruck.

Aber kann denn das wirklich Sache des Geistlichen sein? Nun, in den
Angen der Gemeindeglieder hat mir diese Arbeit nicht geschadet; ich habe es
lebhaft gefühlt, man war mir dafür dankbar, daß ich die jungen Leute zu
geistiger Beschäftigung nötigte und ihre Gedanken von Schlechtem ablenkte.
Durch das häufige ganz vertraute Zusammensein mit den Burschen gewann
ich auch ihre Herzen, wie ich sie sonst nie gewonnen Hütte; ich hatte Gelegen¬
heit, mir alles vom Herzen hernnterzureden, ich konnte Winke und Warnungen
geben, Rat und Beistand gewähren. Vielleicht finden es andre schöner und
heilsamer, wenn den Geistlichen ein heiliger Dunstkreis umgiebt, sodaß sich ihm
niemand zu nahen wagt, daß in seiner Gegenwart jedes Wort erstirbt und
nur der eine Wunsch da ist: Wäre er nur erst wieder draußen! Ich will auch
gewiß niemand zumuten, es mir nachzumachen, es gehört Lust und Liebe dazu.
Aber ich glaube doch, daß eine Volksbühne auf dem Lande viel Gutes stiften
kann. Wie eigentümlich ist es doch: auf den Ghmnasien muß der Schüler
seine Bildung, seine ganze Gedankenwelt vorzugsweise an unsern Klassikern,
besonders am Drama bereichern. Man setzt also doch voraus, daß das Schau¬
spiel ganz besonders geeignet sei, den Menschen zu erhebe" und sein geistiges
Leben zu fördern. Und nachher -- welcher Gegensatz! Schweigend sieht man
zu, wie zweifelhafte Lustspiele überall die Phantasie vergiften; man duldet, daß
Tingeltangel und noch Schlimmeres auch die Landgemeinden überschwemmen.
Aber daß durch Schau- und Festspiele sittliche Ideen verbreitet werven, dazu
rührt sich kaum eine Hand. Das wäre nichts fürs Land? Warum denn nicht?
Sind etwa zu viel Schwierigkeiten da? Die Hauptschwierigkeit besteht darin,
daß es an geeigneten Stücken fehlt und es sehr schwer ist, Material zu finden,
das sich verwerten ließe. Hie und da haben sich Lehrer die Mühe gemacht,
den Kindern Weihnachtsspiele u. dergl. mit Deklamationen und Gesang ein¬
zuüben. Gar mancher Lehrer wird anch gern hilfreiche Hand bieten, daß öfter
ein gutes Volksstück ausgeführt wird. Aber es müßten vor allem Männer
dasein, die solche Stücke schreiben, die sich für Landgemeinden eignen.

Alle andern Schwierigkeiten lassen sich überwinden. Spieler sind in jeder
Gemeinde genug, und je öfter die Volksbühne in Thätigkeit tritt, desto leistungs¬
fähiger werden sie. Ich habe schließlich stets für zwanzig Personen Rollen
schaffen müssen, denn jever wollte mitspielen, und wenn es anch nur ein paar
Worte waren, die er zu sprechen hatte. Oft merkte ich, wenn ich mit Aus¬
arbeiten fertig war, noch bei so manchem das wehmütige Verlangen, auch an¬
zuthun, sodaß ich noch ein kleines Vor- oder Nachspiel hinzufügen mußte.

Die Spieler sind zunächst rohe, unbehauene Blöcke; Klötze von einer
Schwerfälligkeit, daß man es für unmöglich hält, etwas mit ihnen anzufangen.
Aber das "Komödiespielen" liegt in der menschlichen Natur, und sie finden


Volksbühne auf dem Lande

nicht. Erst wenn die Wirklichkeit einmal in lebendigen Bildern, in Fleisch und
Blut vor sie hingestellt wird, erhalten sie einen bleibenden Eindruck.

Aber kann denn das wirklich Sache des Geistlichen sein? Nun, in den
Angen der Gemeindeglieder hat mir diese Arbeit nicht geschadet; ich habe es
lebhaft gefühlt, man war mir dafür dankbar, daß ich die jungen Leute zu
geistiger Beschäftigung nötigte und ihre Gedanken von Schlechtem ablenkte.
Durch das häufige ganz vertraute Zusammensein mit den Burschen gewann
ich auch ihre Herzen, wie ich sie sonst nie gewonnen Hütte; ich hatte Gelegen¬
heit, mir alles vom Herzen hernnterzureden, ich konnte Winke und Warnungen
geben, Rat und Beistand gewähren. Vielleicht finden es andre schöner und
heilsamer, wenn den Geistlichen ein heiliger Dunstkreis umgiebt, sodaß sich ihm
niemand zu nahen wagt, daß in seiner Gegenwart jedes Wort erstirbt und
nur der eine Wunsch da ist: Wäre er nur erst wieder draußen! Ich will auch
gewiß niemand zumuten, es mir nachzumachen, es gehört Lust und Liebe dazu.
Aber ich glaube doch, daß eine Volksbühne auf dem Lande viel Gutes stiften
kann. Wie eigentümlich ist es doch: auf den Ghmnasien muß der Schüler
seine Bildung, seine ganze Gedankenwelt vorzugsweise an unsern Klassikern,
besonders am Drama bereichern. Man setzt also doch voraus, daß das Schau¬
spiel ganz besonders geeignet sei, den Menschen zu erhebe» und sein geistiges
Leben zu fördern. Und nachher — welcher Gegensatz! Schweigend sieht man
zu, wie zweifelhafte Lustspiele überall die Phantasie vergiften; man duldet, daß
Tingeltangel und noch Schlimmeres auch die Landgemeinden überschwemmen.
Aber daß durch Schau- und Festspiele sittliche Ideen verbreitet werven, dazu
rührt sich kaum eine Hand. Das wäre nichts fürs Land? Warum denn nicht?
Sind etwa zu viel Schwierigkeiten da? Die Hauptschwierigkeit besteht darin,
daß es an geeigneten Stücken fehlt und es sehr schwer ist, Material zu finden,
das sich verwerten ließe. Hie und da haben sich Lehrer die Mühe gemacht,
den Kindern Weihnachtsspiele u. dergl. mit Deklamationen und Gesang ein¬
zuüben. Gar mancher Lehrer wird anch gern hilfreiche Hand bieten, daß öfter
ein gutes Volksstück ausgeführt wird. Aber es müßten vor allem Männer
dasein, die solche Stücke schreiben, die sich für Landgemeinden eignen.

Alle andern Schwierigkeiten lassen sich überwinden. Spieler sind in jeder
Gemeinde genug, und je öfter die Volksbühne in Thätigkeit tritt, desto leistungs¬
fähiger werden sie. Ich habe schließlich stets für zwanzig Personen Rollen
schaffen müssen, denn jever wollte mitspielen, und wenn es anch nur ein paar
Worte waren, die er zu sprechen hatte. Oft merkte ich, wenn ich mit Aus¬
arbeiten fertig war, noch bei so manchem das wehmütige Verlangen, auch an¬
zuthun, sodaß ich noch ein kleines Vor- oder Nachspiel hinzufügen mußte.

Die Spieler sind zunächst rohe, unbehauene Blöcke; Klötze von einer
Schwerfälligkeit, daß man es für unmöglich hält, etwas mit ihnen anzufangen.
Aber das „Komödiespielen" liegt in der menschlichen Natur, und sie finden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0644" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226874"/>
          <fw type="header" place="top"> Volksbühne auf dem Lande</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1627" prev="#ID_1626"> nicht. Erst wenn die Wirklichkeit einmal in lebendigen Bildern, in Fleisch und<lb/>
Blut vor sie hingestellt wird, erhalten sie einen bleibenden Eindruck.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1628"> Aber kann denn das wirklich Sache des Geistlichen sein? Nun, in den<lb/>
Angen der Gemeindeglieder hat mir diese Arbeit nicht geschadet; ich habe es<lb/>
lebhaft gefühlt, man war mir dafür dankbar, daß ich die jungen Leute zu<lb/>
geistiger Beschäftigung nötigte und ihre Gedanken von Schlechtem ablenkte.<lb/>
Durch das häufige ganz vertraute Zusammensein mit den Burschen gewann<lb/>
ich auch ihre Herzen, wie ich sie sonst nie gewonnen Hütte; ich hatte Gelegen¬<lb/>
heit, mir alles vom Herzen hernnterzureden, ich konnte Winke und Warnungen<lb/>
geben, Rat und Beistand gewähren. Vielleicht finden es andre schöner und<lb/>
heilsamer, wenn den Geistlichen ein heiliger Dunstkreis umgiebt, sodaß sich ihm<lb/>
niemand zu nahen wagt, daß in seiner Gegenwart jedes Wort erstirbt und<lb/>
nur der eine Wunsch da ist: Wäre er nur erst wieder draußen! Ich will auch<lb/>
gewiß niemand zumuten, es mir nachzumachen, es gehört Lust und Liebe dazu.<lb/>
Aber ich glaube doch, daß eine Volksbühne auf dem Lande viel Gutes stiften<lb/>
kann. Wie eigentümlich ist es doch: auf den Ghmnasien muß der Schüler<lb/>
seine Bildung, seine ganze Gedankenwelt vorzugsweise an unsern Klassikern,<lb/>
besonders am Drama bereichern. Man setzt also doch voraus, daß das Schau¬<lb/>
spiel ganz besonders geeignet sei, den Menschen zu erhebe» und sein geistiges<lb/>
Leben zu fördern. Und nachher &#x2014; welcher Gegensatz! Schweigend sieht man<lb/>
zu, wie zweifelhafte Lustspiele überall die Phantasie vergiften; man duldet, daß<lb/>
Tingeltangel und noch Schlimmeres auch die Landgemeinden überschwemmen.<lb/>
Aber daß durch Schau- und Festspiele sittliche Ideen verbreitet werven, dazu<lb/>
rührt sich kaum eine Hand. Das wäre nichts fürs Land? Warum denn nicht?<lb/>
Sind etwa zu viel Schwierigkeiten da? Die Hauptschwierigkeit besteht darin,<lb/>
daß es an geeigneten Stücken fehlt und es sehr schwer ist, Material zu finden,<lb/>
das sich verwerten ließe. Hie und da haben sich Lehrer die Mühe gemacht,<lb/>
den Kindern Weihnachtsspiele u. dergl. mit Deklamationen und Gesang ein¬<lb/>
zuüben. Gar mancher Lehrer wird anch gern hilfreiche Hand bieten, daß öfter<lb/>
ein gutes Volksstück ausgeführt wird. Aber es müßten vor allem Männer<lb/>
dasein, die solche Stücke schreiben, die sich für Landgemeinden eignen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1629"> Alle andern Schwierigkeiten lassen sich überwinden. Spieler sind in jeder<lb/>
Gemeinde genug, und je öfter die Volksbühne in Thätigkeit tritt, desto leistungs¬<lb/>
fähiger werden sie. Ich habe schließlich stets für zwanzig Personen Rollen<lb/>
schaffen müssen, denn jever wollte mitspielen, und wenn es anch nur ein paar<lb/>
Worte waren, die er zu sprechen hatte. Oft merkte ich, wenn ich mit Aus¬<lb/>
arbeiten fertig war, noch bei so manchem das wehmütige Verlangen, auch an¬<lb/>
zuthun, sodaß ich noch ein kleines Vor- oder Nachspiel hinzufügen mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1630" next="#ID_1631"> Die Spieler sind zunächst rohe, unbehauene Blöcke; Klötze von einer<lb/>
Schwerfälligkeit, daß man es für unmöglich hält, etwas mit ihnen anzufangen.<lb/>
Aber das &#x201E;Komödiespielen" liegt in der menschlichen Natur, und sie finden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0644] Volksbühne auf dem Lande nicht. Erst wenn die Wirklichkeit einmal in lebendigen Bildern, in Fleisch und Blut vor sie hingestellt wird, erhalten sie einen bleibenden Eindruck. Aber kann denn das wirklich Sache des Geistlichen sein? Nun, in den Angen der Gemeindeglieder hat mir diese Arbeit nicht geschadet; ich habe es lebhaft gefühlt, man war mir dafür dankbar, daß ich die jungen Leute zu geistiger Beschäftigung nötigte und ihre Gedanken von Schlechtem ablenkte. Durch das häufige ganz vertraute Zusammensein mit den Burschen gewann ich auch ihre Herzen, wie ich sie sonst nie gewonnen Hütte; ich hatte Gelegen¬ heit, mir alles vom Herzen hernnterzureden, ich konnte Winke und Warnungen geben, Rat und Beistand gewähren. Vielleicht finden es andre schöner und heilsamer, wenn den Geistlichen ein heiliger Dunstkreis umgiebt, sodaß sich ihm niemand zu nahen wagt, daß in seiner Gegenwart jedes Wort erstirbt und nur der eine Wunsch da ist: Wäre er nur erst wieder draußen! Ich will auch gewiß niemand zumuten, es mir nachzumachen, es gehört Lust und Liebe dazu. Aber ich glaube doch, daß eine Volksbühne auf dem Lande viel Gutes stiften kann. Wie eigentümlich ist es doch: auf den Ghmnasien muß der Schüler seine Bildung, seine ganze Gedankenwelt vorzugsweise an unsern Klassikern, besonders am Drama bereichern. Man setzt also doch voraus, daß das Schau¬ spiel ganz besonders geeignet sei, den Menschen zu erhebe» und sein geistiges Leben zu fördern. Und nachher — welcher Gegensatz! Schweigend sieht man zu, wie zweifelhafte Lustspiele überall die Phantasie vergiften; man duldet, daß Tingeltangel und noch Schlimmeres auch die Landgemeinden überschwemmen. Aber daß durch Schau- und Festspiele sittliche Ideen verbreitet werven, dazu rührt sich kaum eine Hand. Das wäre nichts fürs Land? Warum denn nicht? Sind etwa zu viel Schwierigkeiten da? Die Hauptschwierigkeit besteht darin, daß es an geeigneten Stücken fehlt und es sehr schwer ist, Material zu finden, das sich verwerten ließe. Hie und da haben sich Lehrer die Mühe gemacht, den Kindern Weihnachtsspiele u. dergl. mit Deklamationen und Gesang ein¬ zuüben. Gar mancher Lehrer wird anch gern hilfreiche Hand bieten, daß öfter ein gutes Volksstück ausgeführt wird. Aber es müßten vor allem Männer dasein, die solche Stücke schreiben, die sich für Landgemeinden eignen. Alle andern Schwierigkeiten lassen sich überwinden. Spieler sind in jeder Gemeinde genug, und je öfter die Volksbühne in Thätigkeit tritt, desto leistungs¬ fähiger werden sie. Ich habe schließlich stets für zwanzig Personen Rollen schaffen müssen, denn jever wollte mitspielen, und wenn es anch nur ein paar Worte waren, die er zu sprechen hatte. Oft merkte ich, wenn ich mit Aus¬ arbeiten fertig war, noch bei so manchem das wehmütige Verlangen, auch an¬ zuthun, sodaß ich noch ein kleines Vor- oder Nachspiel hinzufügen mußte. Die Spieler sind zunächst rohe, unbehauene Blöcke; Klötze von einer Schwerfälligkeit, daß man es für unmöglich hält, etwas mit ihnen anzufangen. Aber das „Komödiespielen" liegt in der menschlichen Natur, und sie finden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/644
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/644>, abgerufen am 26.06.2024.