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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Volksbühne auf dem Lande

Gefallen hätten, und die zugleich allgemeinen Nutzen stiften könnte. Da nahte
Kaisers Geburtstag, und ich beschloß, einen Familienabend zu veranstalten,
wobei mir die Burschen helfen sollten. Damit hatte ich gefunden, was ich
suchte. Die kleinen Deklamationen, die Dialoge und Festspielchen, die sie diesmal
und später bei andern Gelegenheiten vortragen durften, bereiteten ihnen und der
Gemeinde großes Vergnügen; und was mir sehr wichtig war: schon wochen¬
lang vorher waren ihre Gedanken ganz darauf gerichtet und ebenso noch wochen¬
lang nachher. Sie hatten doch einmal einen andern Gesprächsstoff, ein andres
Interesse. Es ehrte sie auch, vor der Gemeinde aufgetreten zu sein; und hatten
sie vorher einigen Spott erduldet, daß sie "zum Pastor gingen," so wurden
sie nun stolz darauf und sehnten sich darnach, auch größeres zu leisten.

Die Gelegenheit sollte nicht ausbleiben. Das Jahr 1894 brachte die
Gustav-Adolf-Gedenkfeier, und wir beschlossen, auch für unsre Gemeinde eine
zu veranstalten. Festspiele, große und kleine, entstanden damals in Menge;
aber für unsre Verhältnisse paßten sie alle nicht. Wie sollte ein Vanernbursche
oder ein Schmiedegeselle den großen Glaubenshelden darstellen? Man kann
von Leuten, deren ganzes Empfinden so völlig naturwüchsig ist, nicht erwarten,
daß sie sich in würdiger Weise in eine große Leidenschaft hineinversetzen.
Gustav Adolf selbst auf die Bühne zu bringen, war unmöglich. Aber gab es
keinen Ausweg? Doch, ich fand ihn. Was die Leute wiedergeben konnten,
war ihr eignes Fühlen, sie konnten sich auch recht wohl hineinversetzen in die
Stimmung, die im dreißigjährigen Kriege etwa ihre Urgroßväter beseelt hatte.
Darum machte ich mich an die Arbeit und schilderte in einem Festspiele die
Zustände, die in unsrer Gemeinde zu jener Zeit geherrscht, und flocht die
Wirkung hinein, die der Siegeslauf und der Tod des Schwedenköuigs aus¬
geübt haben mochten.

Das Interesse um dieser Aufführung war in der Gemeinde außerordentlich
groß, fühlten sie sich doch lebhaft hineinversetzt in die Drangsale jeuer Zeit;
zerfallne Burgen, verbrannte Dörfer entstanden vor ihren Angen und belebten
sich wieder. Was aber auf der Bühne dargestellt wurde, konnten sie alle im
Geiste miterleben, denn nicht eine fremde Welt redete zu ihnen, sondern die
eigne Heimat, die Geschichte der Gemeinde. Es war kein großes Kunstwerk,
das dargestellt wurde, und es waren nichts weniger als Künstler, die dabei
anstreiten, und doch bin ich noch heute der Überzeugung: die Bedeutung Gustav
Adolfs ist den Leuten klarer geworden, und seine Person ist ihnen näher ge¬
treten, als wenn ich sie in eine großartige Theatervorstellung geführt hätte.

In ähnlicher Weise gab ich ihnen später die Einführung der Reformation,
das erwachende Glaubensleben der Gemeinde selbst, dann führte ich sie in die
Gründung einer benachbarten Hugeuottcngemeinde und in die Drangsale der
Verfolgung hinein u. a. Wir erzählen unser" Gemeinden so viel von der
Reformation, aber sich recht hineinversetzen in jene Zeit, das können sie doch


Grenzboten IV 1897 80
Volksbühne auf dem Lande

Gefallen hätten, und die zugleich allgemeinen Nutzen stiften könnte. Da nahte
Kaisers Geburtstag, und ich beschloß, einen Familienabend zu veranstalten,
wobei mir die Burschen helfen sollten. Damit hatte ich gefunden, was ich
suchte. Die kleinen Deklamationen, die Dialoge und Festspielchen, die sie diesmal
und später bei andern Gelegenheiten vortragen durften, bereiteten ihnen und der
Gemeinde großes Vergnügen; und was mir sehr wichtig war: schon wochen¬
lang vorher waren ihre Gedanken ganz darauf gerichtet und ebenso noch wochen¬
lang nachher. Sie hatten doch einmal einen andern Gesprächsstoff, ein andres
Interesse. Es ehrte sie auch, vor der Gemeinde aufgetreten zu sein; und hatten
sie vorher einigen Spott erduldet, daß sie „zum Pastor gingen," so wurden
sie nun stolz darauf und sehnten sich darnach, auch größeres zu leisten.

Die Gelegenheit sollte nicht ausbleiben. Das Jahr 1894 brachte die
Gustav-Adolf-Gedenkfeier, und wir beschlossen, auch für unsre Gemeinde eine
zu veranstalten. Festspiele, große und kleine, entstanden damals in Menge;
aber für unsre Verhältnisse paßten sie alle nicht. Wie sollte ein Vanernbursche
oder ein Schmiedegeselle den großen Glaubenshelden darstellen? Man kann
von Leuten, deren ganzes Empfinden so völlig naturwüchsig ist, nicht erwarten,
daß sie sich in würdiger Weise in eine große Leidenschaft hineinversetzen.
Gustav Adolf selbst auf die Bühne zu bringen, war unmöglich. Aber gab es
keinen Ausweg? Doch, ich fand ihn. Was die Leute wiedergeben konnten,
war ihr eignes Fühlen, sie konnten sich auch recht wohl hineinversetzen in die
Stimmung, die im dreißigjährigen Kriege etwa ihre Urgroßväter beseelt hatte.
Darum machte ich mich an die Arbeit und schilderte in einem Festspiele die
Zustände, die in unsrer Gemeinde zu jener Zeit geherrscht, und flocht die
Wirkung hinein, die der Siegeslauf und der Tod des Schwedenköuigs aus¬
geübt haben mochten.

Das Interesse um dieser Aufführung war in der Gemeinde außerordentlich
groß, fühlten sie sich doch lebhaft hineinversetzt in die Drangsale jeuer Zeit;
zerfallne Burgen, verbrannte Dörfer entstanden vor ihren Angen und belebten
sich wieder. Was aber auf der Bühne dargestellt wurde, konnten sie alle im
Geiste miterleben, denn nicht eine fremde Welt redete zu ihnen, sondern die
eigne Heimat, die Geschichte der Gemeinde. Es war kein großes Kunstwerk,
das dargestellt wurde, und es waren nichts weniger als Künstler, die dabei
anstreiten, und doch bin ich noch heute der Überzeugung: die Bedeutung Gustav
Adolfs ist den Leuten klarer geworden, und seine Person ist ihnen näher ge¬
treten, als wenn ich sie in eine großartige Theatervorstellung geführt hätte.

In ähnlicher Weise gab ich ihnen später die Einführung der Reformation,
das erwachende Glaubensleben der Gemeinde selbst, dann führte ich sie in die
Gründung einer benachbarten Hugeuottcngemeinde und in die Drangsale der
Verfolgung hinein u. a. Wir erzählen unser» Gemeinden so viel von der
Reformation, aber sich recht hineinversetzen in jene Zeit, das können sie doch


Grenzboten IV 1897 80
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[0643] Volksbühne auf dem Lande Gefallen hätten, und die zugleich allgemeinen Nutzen stiften könnte. Da nahte Kaisers Geburtstag, und ich beschloß, einen Familienabend zu veranstalten, wobei mir die Burschen helfen sollten. Damit hatte ich gefunden, was ich suchte. Die kleinen Deklamationen, die Dialoge und Festspielchen, die sie diesmal und später bei andern Gelegenheiten vortragen durften, bereiteten ihnen und der Gemeinde großes Vergnügen; und was mir sehr wichtig war: schon wochen¬ lang vorher waren ihre Gedanken ganz darauf gerichtet und ebenso noch wochen¬ lang nachher. Sie hatten doch einmal einen andern Gesprächsstoff, ein andres Interesse. Es ehrte sie auch, vor der Gemeinde aufgetreten zu sein; und hatten sie vorher einigen Spott erduldet, daß sie „zum Pastor gingen," so wurden sie nun stolz darauf und sehnten sich darnach, auch größeres zu leisten. Die Gelegenheit sollte nicht ausbleiben. Das Jahr 1894 brachte die Gustav-Adolf-Gedenkfeier, und wir beschlossen, auch für unsre Gemeinde eine zu veranstalten. Festspiele, große und kleine, entstanden damals in Menge; aber für unsre Verhältnisse paßten sie alle nicht. Wie sollte ein Vanernbursche oder ein Schmiedegeselle den großen Glaubenshelden darstellen? Man kann von Leuten, deren ganzes Empfinden so völlig naturwüchsig ist, nicht erwarten, daß sie sich in würdiger Weise in eine große Leidenschaft hineinversetzen. Gustav Adolf selbst auf die Bühne zu bringen, war unmöglich. Aber gab es keinen Ausweg? Doch, ich fand ihn. Was die Leute wiedergeben konnten, war ihr eignes Fühlen, sie konnten sich auch recht wohl hineinversetzen in die Stimmung, die im dreißigjährigen Kriege etwa ihre Urgroßväter beseelt hatte. Darum machte ich mich an die Arbeit und schilderte in einem Festspiele die Zustände, die in unsrer Gemeinde zu jener Zeit geherrscht, und flocht die Wirkung hinein, die der Siegeslauf und der Tod des Schwedenköuigs aus¬ geübt haben mochten. Das Interesse um dieser Aufführung war in der Gemeinde außerordentlich groß, fühlten sie sich doch lebhaft hineinversetzt in die Drangsale jeuer Zeit; zerfallne Burgen, verbrannte Dörfer entstanden vor ihren Angen und belebten sich wieder. Was aber auf der Bühne dargestellt wurde, konnten sie alle im Geiste miterleben, denn nicht eine fremde Welt redete zu ihnen, sondern die eigne Heimat, die Geschichte der Gemeinde. Es war kein großes Kunstwerk, das dargestellt wurde, und es waren nichts weniger als Künstler, die dabei anstreiten, und doch bin ich noch heute der Überzeugung: die Bedeutung Gustav Adolfs ist den Leuten klarer geworden, und seine Person ist ihnen näher ge¬ treten, als wenn ich sie in eine großartige Theatervorstellung geführt hätte. In ähnlicher Weise gab ich ihnen später die Einführung der Reformation, das erwachende Glaubensleben der Gemeinde selbst, dann führte ich sie in die Gründung einer benachbarten Hugeuottcngemeinde und in die Drangsale der Verfolgung hinein u. a. Wir erzählen unser» Gemeinden so viel von der Reformation, aber sich recht hineinversetzen in jene Zeit, das können sie doch Grenzboten IV 1897 80

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/643>, abgerufen am 26.06.2024.