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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Volksbühne auf dem Lande

sich oft überraschend schnell in ihre Aufgabe; es müssen nur auch Rollen sein,
die für sie passen, und die ihrer Denkweise nahe liegen. Selbstverständlich
darf man nicht zu hohe Erwartungen hegen. Übrigens trug ein Posauuenchor,
der unter den Mitgliedern gegründet wurde, durch Begleitung der Lieder uno
Einzelvorträge prächtig zum Gelingen des Ganzen bei.

Aber woher eine Bühne bekommen? War unsre Einrichtung überhaupt
eine Bühne zu nennen? Es kommt ja nicht selten vor, daß ein Gesang- oder
auch Kriegerverein im Dorf eine Bühne hat, in meiner Gemeinde war das
nicht der Fall. Da wir auch keine Geldmittel hatten, mußten wir uns ander¬
weit helfen. Solange wir uns mit kleinen Aufführungen begnügten, that uns
ein altes Scheunenthvr, das über Böcke gelegt wurde, gute Dienste. Vorhang,
Kulissen usw. gab es nicht. Die Spieler traten aus der Thür eines an¬
stoßenden Zimmers vor die Zuschauer auf das Scheuneuthor, dessen Verfertiger
sich wohl nicht hat träumen lassen, zu welchem Kulturträger diese Bretter einmal
werden sollten. Ebenso primitiv waren die Kostüme, aber die Begeisterung
hob alle über die mangelhaften Einrichtungen hinweg. Als es sich aber um
die Aufführung des "Schwedeukönigs" handelte, sah ich mich doch nach einer
bessern Gelegenheit um. Dn entdeckte ich im Saale eines andern Wirtshauses
eine Musikantenbühne, die mir gewaltig imponirte. Sie bildete einen Anbau
des Saales, und dahinter lag ein zur Garderobe sehr geeignetes Zimmer.
Freilich, viel Raum war nicht da, die Bühne war etwa anderthalb Meter breit
und kaum drei Meter lang, vorn war eine Brüstung, die die Spieler bis über
die Kniee verdeckte, und die handelnden Personen hatten alle Ursache, in der
Handhabung von Mordwaffen vorsichtig zu sein. Ich hatte einmal die Un¬
vorsichtigkeit begangen, einen jungen Schmied von ansehnlicher Körperlänge
auf einen Thron <es war ein Lehnstuhl) zu setzen; im Zorn mußte er heftig
aufspringen, o weh! wie da der Kopf an die Decke krachte! Unangenehm war
auch, daß nur ein Aufgang da war und also alle Spieler auf derselben Seite
auf- und abtreten mußten. Darauf mußte natürlich bei der Abfassung des
Stückes Rücksicht genommen werden. Trotzdem brachten wir es fertig, im
Vorspiel zum Schwedenkönig sogar die "weiße Frau," die in der Gegend
spukte, erscheinen zu lassen. Wir nahmen ein Brett aus dem Fußboden, in
die Öffnung wurde eine kleine Treppe gestellt, und wie ein echter Spuk tauchte
plötzlich die "weiße Frau" aus der Versenkung. Die Erscheinung wirkte aus
das empfängliche Publikum großartig. Aber auch den Vorhang darf ich nicht
vergessen. Anfangs war keiner da, nnn aber brauchten wir doch einen. Als
Notbehelf wurde ein großes weißes Laken an einer Stange befestigt, und diese
um zwei starken Haken aufgehängt. Auf das Klingelzeichen nahm der eigens
dazu angestellte längste Mann den Vorhang ab und enthüllte die Bühne.
Aber das gefiel uns nicht. Bei einem Besuche in der Gemeinde blieb mein
Ange an den großen Gardinen hängen, die die in der Wohnstube stehenden


Volksbühne auf dem Lande

sich oft überraschend schnell in ihre Aufgabe; es müssen nur auch Rollen sein,
die für sie passen, und die ihrer Denkweise nahe liegen. Selbstverständlich
darf man nicht zu hohe Erwartungen hegen. Übrigens trug ein Posauuenchor,
der unter den Mitgliedern gegründet wurde, durch Begleitung der Lieder uno
Einzelvorträge prächtig zum Gelingen des Ganzen bei.

Aber woher eine Bühne bekommen? War unsre Einrichtung überhaupt
eine Bühne zu nennen? Es kommt ja nicht selten vor, daß ein Gesang- oder
auch Kriegerverein im Dorf eine Bühne hat, in meiner Gemeinde war das
nicht der Fall. Da wir auch keine Geldmittel hatten, mußten wir uns ander¬
weit helfen. Solange wir uns mit kleinen Aufführungen begnügten, that uns
ein altes Scheunenthvr, das über Böcke gelegt wurde, gute Dienste. Vorhang,
Kulissen usw. gab es nicht. Die Spieler traten aus der Thür eines an¬
stoßenden Zimmers vor die Zuschauer auf das Scheuneuthor, dessen Verfertiger
sich wohl nicht hat träumen lassen, zu welchem Kulturträger diese Bretter einmal
werden sollten. Ebenso primitiv waren die Kostüme, aber die Begeisterung
hob alle über die mangelhaften Einrichtungen hinweg. Als es sich aber um
die Aufführung des „Schwedeukönigs" handelte, sah ich mich doch nach einer
bessern Gelegenheit um. Dn entdeckte ich im Saale eines andern Wirtshauses
eine Musikantenbühne, die mir gewaltig imponirte. Sie bildete einen Anbau
des Saales, und dahinter lag ein zur Garderobe sehr geeignetes Zimmer.
Freilich, viel Raum war nicht da, die Bühne war etwa anderthalb Meter breit
und kaum drei Meter lang, vorn war eine Brüstung, die die Spieler bis über
die Kniee verdeckte, und die handelnden Personen hatten alle Ursache, in der
Handhabung von Mordwaffen vorsichtig zu sein. Ich hatte einmal die Un¬
vorsichtigkeit begangen, einen jungen Schmied von ansehnlicher Körperlänge
auf einen Thron <es war ein Lehnstuhl) zu setzen; im Zorn mußte er heftig
aufspringen, o weh! wie da der Kopf an die Decke krachte! Unangenehm war
auch, daß nur ein Aufgang da war und also alle Spieler auf derselben Seite
auf- und abtreten mußten. Darauf mußte natürlich bei der Abfassung des
Stückes Rücksicht genommen werden. Trotzdem brachten wir es fertig, im
Vorspiel zum Schwedenkönig sogar die „weiße Frau," die in der Gegend
spukte, erscheinen zu lassen. Wir nahmen ein Brett aus dem Fußboden, in
die Öffnung wurde eine kleine Treppe gestellt, und wie ein echter Spuk tauchte
plötzlich die „weiße Frau" aus der Versenkung. Die Erscheinung wirkte aus
das empfängliche Publikum großartig. Aber auch den Vorhang darf ich nicht
vergessen. Anfangs war keiner da, nnn aber brauchten wir doch einen. Als
Notbehelf wurde ein großes weißes Laken an einer Stange befestigt, und diese
um zwei starken Haken aufgehängt. Auf das Klingelzeichen nahm der eigens
dazu angestellte längste Mann den Vorhang ab und enthüllte die Bühne.
Aber das gefiel uns nicht. Bei einem Besuche in der Gemeinde blieb mein
Ange an den großen Gardinen hängen, die die in der Wohnstube stehenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/645>, abgerufen am 26.06.2024.