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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Volksbühne auf dein Lande

Will? Was haben denn auf dem Lande die jungen Leute, woran sie sich
begeistern und in herzerfreuender Weise ihre Kraft bethätigen könnten? Nichts,
gar nichts; eS bleibt bloß das Altgewohnte: Tanz, Wirtshaus, .Karten, Spinn-
stube. Daß damit keine Veredlung des Denkens und Wollens gewonnen
werden kann, liegt auf der Hand. Aber es kann auch nichts Verkehrteres
geben, als der Jugend diese Belustigungen verbieten oder ihr die Teilnahme
daran als Sünde anrechnen zu wollen. Was sollen denn auch die jungen
Leute anfangen, namentlich im Winter, wo die Beschäftigung zum großen
Teile ruht? Womit solle" sie sich unterhalten?

Wer die Jugend gewinnen will, darf ihr nicht das Recht auf Freude
nehmen wollen; sonst ist das Vertrauen sofort verschwunden. Die Jugend
muß vor allem das Gefühl gewinnen, daß man es ihr gönnt, wenn sie fröhlich
ist; dann versteht sie es auch recht wohl, daß man Ekel und Widerwillen
gegen alle Ausschreitungen hat und dagegen ankämpfen muß; sie läßt sich dann
auch strafen. Aber damit wird noch nichts gebessert, es bleibt alles beim
alten, wenn es nicht gelingt, sie mit andern Gedanken zu füllen. Ihre ganze
Denkweise muß allmählich umgestaltet werden, daß sie Interesse sür höhere
Gegenstände gewinnt, bis durch langsame Erziehungsarbeit ein neues Geschlecht
heranwächst. Fortbildungsschulen können dazu viel nutzen, wenn sie in dem
rechten Geiste geleitet werden. Ganz besonders aber ist es die Aufgabe des
Geistlichen, hier mitzuhelfen und die träge Masse in Bewegung zu bringen.
Was soll nun geschehen, damit die Jngend geistig lebendig werde?

Ich habe zunächst keinen Verein gegründet, sondern die lonfirmirten
Burschen eingeladen, mit mir regelmäßig am Sonntag nachmittag oder abend
gemütlich zusammenzukommen, und zwar in einem besondern Zimmer des
einen Wirtshauses. Gefährlich, nicht wahr? die Jugend ins Wirtshaus zu
locken! Aber ich sagte mir mit Recht, sein Glas Bier trinkt doch jeder am
Sonntag, und wenn sie der eigentlichen Wirtshausatmosphäre ferngehalten
werden, umso besser! Außerdem aber lag nun für die Unbemittelten die Mög¬
lichkeit vor, mit ihren Kameraden zusammenzubleiben, ohne der Nötigung aus¬
gesetzt zu sein, Geld auszugeben. Mit Erzähle", Vorlesen, Vorträgen, Spielen,
Unterhaltung. Gesang flössen die Stunden dahin. Ich legte ein paar illustrirte
Zeitungen aus, die stets gern betrachtet wurden. Namentlich aber suchte ich
den einzelnen näherzutreten und ihr Vertrauen zu gewinnen. Für die, die
Lust hatten, weiterzuarbeiten, richtete ich noch einen zweite" Abend in der
Woche ein, bis eine Fortbildungsschule mir diesen Teil der Arbeit abnehmen
könnte.

Wo bleibt aber die Volksbühne? Sie kommt schon: diese zwanglosen,
durchaus freiwilligen Zusammenkünfte führten mich eben zu meiner Volksbühne.
Sehr viele Jüngliugsvereiuc sterben bekanntlich an der langen Weile. Deshalb
bemühte ich mich, eine Beschäftigung herauszufinden, an der die jungen Leute


Volksbühne auf dein Lande

Will? Was haben denn auf dem Lande die jungen Leute, woran sie sich
begeistern und in herzerfreuender Weise ihre Kraft bethätigen könnten? Nichts,
gar nichts; eS bleibt bloß das Altgewohnte: Tanz, Wirtshaus, .Karten, Spinn-
stube. Daß damit keine Veredlung des Denkens und Wollens gewonnen
werden kann, liegt auf der Hand. Aber es kann auch nichts Verkehrteres
geben, als der Jugend diese Belustigungen verbieten oder ihr die Teilnahme
daran als Sünde anrechnen zu wollen. Was sollen denn auch die jungen
Leute anfangen, namentlich im Winter, wo die Beschäftigung zum großen
Teile ruht? Womit solle» sie sich unterhalten?

Wer die Jugend gewinnen will, darf ihr nicht das Recht auf Freude
nehmen wollen; sonst ist das Vertrauen sofort verschwunden. Die Jugend
muß vor allem das Gefühl gewinnen, daß man es ihr gönnt, wenn sie fröhlich
ist; dann versteht sie es auch recht wohl, daß man Ekel und Widerwillen
gegen alle Ausschreitungen hat und dagegen ankämpfen muß; sie läßt sich dann
auch strafen. Aber damit wird noch nichts gebessert, es bleibt alles beim
alten, wenn es nicht gelingt, sie mit andern Gedanken zu füllen. Ihre ganze
Denkweise muß allmählich umgestaltet werden, daß sie Interesse sür höhere
Gegenstände gewinnt, bis durch langsame Erziehungsarbeit ein neues Geschlecht
heranwächst. Fortbildungsschulen können dazu viel nutzen, wenn sie in dem
rechten Geiste geleitet werden. Ganz besonders aber ist es die Aufgabe des
Geistlichen, hier mitzuhelfen und die träge Masse in Bewegung zu bringen.
Was soll nun geschehen, damit die Jngend geistig lebendig werde?

Ich habe zunächst keinen Verein gegründet, sondern die lonfirmirten
Burschen eingeladen, mit mir regelmäßig am Sonntag nachmittag oder abend
gemütlich zusammenzukommen, und zwar in einem besondern Zimmer des
einen Wirtshauses. Gefährlich, nicht wahr? die Jugend ins Wirtshaus zu
locken! Aber ich sagte mir mit Recht, sein Glas Bier trinkt doch jeder am
Sonntag, und wenn sie der eigentlichen Wirtshausatmosphäre ferngehalten
werden, umso besser! Außerdem aber lag nun für die Unbemittelten die Mög¬
lichkeit vor, mit ihren Kameraden zusammenzubleiben, ohne der Nötigung aus¬
gesetzt zu sein, Geld auszugeben. Mit Erzähle», Vorlesen, Vorträgen, Spielen,
Unterhaltung. Gesang flössen die Stunden dahin. Ich legte ein paar illustrirte
Zeitungen aus, die stets gern betrachtet wurden. Namentlich aber suchte ich
den einzelnen näherzutreten und ihr Vertrauen zu gewinnen. Für die, die
Lust hatten, weiterzuarbeiten, richtete ich noch einen zweite» Abend in der
Woche ein, bis eine Fortbildungsschule mir diesen Teil der Arbeit abnehmen
könnte.

Wo bleibt aber die Volksbühne? Sie kommt schon: diese zwanglosen,
durchaus freiwilligen Zusammenkünfte führten mich eben zu meiner Volksbühne.
Sehr viele Jüngliugsvereiuc sterben bekanntlich an der langen Weile. Deshalb
bemühte ich mich, eine Beschäftigung herauszufinden, an der die jungen Leute


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[0642] Volksbühne auf dein Lande Will? Was haben denn auf dem Lande die jungen Leute, woran sie sich begeistern und in herzerfreuender Weise ihre Kraft bethätigen könnten? Nichts, gar nichts; eS bleibt bloß das Altgewohnte: Tanz, Wirtshaus, .Karten, Spinn- stube. Daß damit keine Veredlung des Denkens und Wollens gewonnen werden kann, liegt auf der Hand. Aber es kann auch nichts Verkehrteres geben, als der Jugend diese Belustigungen verbieten oder ihr die Teilnahme daran als Sünde anrechnen zu wollen. Was sollen denn auch die jungen Leute anfangen, namentlich im Winter, wo die Beschäftigung zum großen Teile ruht? Womit solle» sie sich unterhalten? Wer die Jugend gewinnen will, darf ihr nicht das Recht auf Freude nehmen wollen; sonst ist das Vertrauen sofort verschwunden. Die Jugend muß vor allem das Gefühl gewinnen, daß man es ihr gönnt, wenn sie fröhlich ist; dann versteht sie es auch recht wohl, daß man Ekel und Widerwillen gegen alle Ausschreitungen hat und dagegen ankämpfen muß; sie läßt sich dann auch strafen. Aber damit wird noch nichts gebessert, es bleibt alles beim alten, wenn es nicht gelingt, sie mit andern Gedanken zu füllen. Ihre ganze Denkweise muß allmählich umgestaltet werden, daß sie Interesse sür höhere Gegenstände gewinnt, bis durch langsame Erziehungsarbeit ein neues Geschlecht heranwächst. Fortbildungsschulen können dazu viel nutzen, wenn sie in dem rechten Geiste geleitet werden. Ganz besonders aber ist es die Aufgabe des Geistlichen, hier mitzuhelfen und die träge Masse in Bewegung zu bringen. Was soll nun geschehen, damit die Jngend geistig lebendig werde? Ich habe zunächst keinen Verein gegründet, sondern die lonfirmirten Burschen eingeladen, mit mir regelmäßig am Sonntag nachmittag oder abend gemütlich zusammenzukommen, und zwar in einem besondern Zimmer des einen Wirtshauses. Gefährlich, nicht wahr? die Jugend ins Wirtshaus zu locken! Aber ich sagte mir mit Recht, sein Glas Bier trinkt doch jeder am Sonntag, und wenn sie der eigentlichen Wirtshausatmosphäre ferngehalten werden, umso besser! Außerdem aber lag nun für die Unbemittelten die Mög¬ lichkeit vor, mit ihren Kameraden zusammenzubleiben, ohne der Nötigung aus¬ gesetzt zu sein, Geld auszugeben. Mit Erzähle», Vorlesen, Vorträgen, Spielen, Unterhaltung. Gesang flössen die Stunden dahin. Ich legte ein paar illustrirte Zeitungen aus, die stets gern betrachtet wurden. Namentlich aber suchte ich den einzelnen näherzutreten und ihr Vertrauen zu gewinnen. Für die, die Lust hatten, weiterzuarbeiten, richtete ich noch einen zweite» Abend in der Woche ein, bis eine Fortbildungsschule mir diesen Teil der Arbeit abnehmen könnte. Wo bleibt aber die Volksbühne? Sie kommt schon: diese zwanglosen, durchaus freiwilligen Zusammenkünfte führten mich eben zu meiner Volksbühne. Sehr viele Jüngliugsvereiuc sterben bekanntlich an der langen Weile. Deshalb bemühte ich mich, eine Beschäftigung herauszufinden, an der die jungen Leute

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/642>, abgerufen am 26.06.2024.