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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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gefaßt, nähert sich der Beruf des Publizisten wiederum dem priesterlichen, von
dem ich ausgegangen und nach Ansicht meiner frühern Amtsbruder abgefallen
bin. Der vermeintliche Abfall ist aber nur eine Rückkehr zur ursprünglichen
Idee des Priestertums, wonach dieses nicht von einem Standesinteresse erfüllt,
sondern, mit dem Propheten- und Apostelamt verschmolzen, nur der Verbreitung
jener notwendigen Wahrheiten gewidmet sein soll, die die Menschen unter
einander und mit dem die Weltgeschichte leitenden Geiste zu einer lebensvollen
Einheit verbinden.




Volksbühne auf dem Lande

me wichtige Frage ist für jeden Geistlichen die, wie er Einfluß
auf die Jugend gewinnen kaun. Mit der Konfirmation entgleiten
die jungen Leute oft jeder Zucht, sie geraten in ein wildes
Treiben voll Sinnenlust und Ausschweifung und werden em¬
pfänglich für jede Art der Verführung. In frühern Zeiten
konnte man ja schließlich ruhig warten, bis sie von selbst zur Vernunft kamen,
denn der Gemeindegeist war stark genng, sie wieder zur Ordnung zu bringen.
In unsrer Zeit aber, die jegliche Autorität ins Wanken gebracht hat und so
unermüdlich im Niederreißen ist, ist ruhiges Zusehen und Abwarten nicht mehr
am Platze. Es sind denn auch schon die allerverschiedensten Versuche gemacht
worden, in der Jugend einen andern Geist zu pflegen. Aber wenn jemand
alle die fehlgcschlagnen Versuche zusammenstellen könnte, es gäbe ein trauriges
Bild. Als Neustes sind die christlichen Bestrebungsvereine") auf dem Plan,
aber nur wenig Geistliche und noch weniger Gemeinden können sich dafür
erwärmen. So hoch man auch die Energie, die in diesen Vereinen zu Tage
tritt, anerkennen muß, so ist doch sür die große Masse davon kein Erfolg
zu hoffen.

Die Jugend hat kein Verständnis für solche Bestrebungen. Die Jugend
muß Jugend bleiben, voll Frohmut und Lebenslust. In ihr stürmt und drängt,
gährt und treibt es. Wollen wir das Feuer schelten, daß es brennt? Was
kann die Jugend dafür, wenn sie nicht geleitet wird und darum in falsche
Bahnen gerät? oder wenn sie auf Wege gewiesen wird, die sie nicht gehen



Vereine amerikanischen Ursprungs, die "erweckte" oder "bekehrte" Jünglinge sammeln
wollen.

gefaßt, nähert sich der Beruf des Publizisten wiederum dem priesterlichen, von
dem ich ausgegangen und nach Ansicht meiner frühern Amtsbruder abgefallen
bin. Der vermeintliche Abfall ist aber nur eine Rückkehr zur ursprünglichen
Idee des Priestertums, wonach dieses nicht von einem Standesinteresse erfüllt,
sondern, mit dem Propheten- und Apostelamt verschmolzen, nur der Verbreitung
jener notwendigen Wahrheiten gewidmet sein soll, die die Menschen unter
einander und mit dem die Weltgeschichte leitenden Geiste zu einer lebensvollen
Einheit verbinden.




Volksbühne auf dem Lande

me wichtige Frage ist für jeden Geistlichen die, wie er Einfluß
auf die Jugend gewinnen kaun. Mit der Konfirmation entgleiten
die jungen Leute oft jeder Zucht, sie geraten in ein wildes
Treiben voll Sinnenlust und Ausschweifung und werden em¬
pfänglich für jede Art der Verführung. In frühern Zeiten
konnte man ja schließlich ruhig warten, bis sie von selbst zur Vernunft kamen,
denn der Gemeindegeist war stark genng, sie wieder zur Ordnung zu bringen.
In unsrer Zeit aber, die jegliche Autorität ins Wanken gebracht hat und so
unermüdlich im Niederreißen ist, ist ruhiges Zusehen und Abwarten nicht mehr
am Platze. Es sind denn auch schon die allerverschiedensten Versuche gemacht
worden, in der Jugend einen andern Geist zu pflegen. Aber wenn jemand
alle die fehlgcschlagnen Versuche zusammenstellen könnte, es gäbe ein trauriges
Bild. Als Neustes sind die christlichen Bestrebungsvereine") auf dem Plan,
aber nur wenig Geistliche und noch weniger Gemeinden können sich dafür
erwärmen. So hoch man auch die Energie, die in diesen Vereinen zu Tage
tritt, anerkennen muß, so ist doch sür die große Masse davon kein Erfolg
zu hoffen.

Die Jugend hat kein Verständnis für solche Bestrebungen. Die Jugend
muß Jugend bleiben, voll Frohmut und Lebenslust. In ihr stürmt und drängt,
gährt und treibt es. Wollen wir das Feuer schelten, daß es brennt? Was
kann die Jugend dafür, wenn sie nicht geleitet wird und darum in falsche
Bahnen gerät? oder wenn sie auf Wege gewiesen wird, die sie nicht gehen



Vereine amerikanischen Ursprungs, die „erweckte" oder „bekehrte" Jünglinge sammeln
wollen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/641>, abgerufen am 26.06.2024.