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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Endlich den Beruf gefunden

Ladenklingel störte ihn im traulichen Flitterwochen-tods-a-tods. Was in der
Gegend epidemisch war, das war allein die Gesundheit. Die einzige Einnahme,
erzählte er mir, habe ich Sonntags früh, da holen sich die Ocbsenjnngen jeder
für einen Sechser Pomade. Was hatte der Ärmste zur Verbesserung seiner
Lage thun sollen, da Brunnenvergiftung doch nicht ratsam war? Also da sind
wir von der Feder besser dran: jeden Tag können wir durch Lesen und
Schreiben unsern Beruf ausüben. In einem Stück freilich wird unsre Freiheit
vielleicht mit der Zeit beschnitten werden. Da alles zünftelt, werden sich wohl
zuletzt anch die ältern und angesehenern Zeitungsschreiber als Zunft organisiren,
und zunächst wird das Hausirer mit Manuskripten als unlauterer Wettbewerb
verboten, dann aber vielleicht den nichtzünftigen das Schreiben oder wenigstens
das Druckenlassen gar nicht mehr gestattet werden. Als letzten wahrlich nicht
geringen Vorzug führe ich an, daß man Herr seiner Zeit ist, sich seine Tages¬
ordnung selbst machen und durch den angemessenen Wechsel vou Arbeit und
Ruhe Gesundheitsschädigungeu abwehren kann.

Der einzige Nachteil einer solchen Stellung oder Stellungslvsigkeit besteht
darin, daß man nicht heiraten kann. Wenn die Unsicherheit auch nicht so
groß ist, daß sie die eigne Existenz gefährdete, so ist sie doch noch groß genug,
um das Wagnis der Familiengründung zu verbieten. Und selbst wenn einem
Publizisten sein Einkommen vollkommen gesichert wäre, so würde es doch, falls
er weder Romane noch Operettentexte dichten kann, zu klein sein, um die
Grundlage für eine standesgemäße Familienexistenz abzugeben. In der Zeit
der Vorbereitung auf die Steuerreform wurde der Unterschied zwischen fundirtem
und unfundirtem Einkommen sehr gründlich erörtert und dabei oft hervor¬
gehoben, daß ein Arzt oder Publizist, um nicht allein standesgemäß zu leben,
sondern auch Söhne erziehen, Töchter ausstatten, sich eine Altersrente und
der Witwe den Unterhalt nach seinem Tode sichern zu können, etwa viertausend
Thäler jährlich verdienen müsse. Wer das Pnblizistengcwerbe kennt, der wird
wissen, daß dabei auch in ausnahmsweise günstigen Jahren noch nicht die
Hälfte verdient werden kann. Ich sage daS nicht etwa, um Unzufriedenheit
zu bekunden. Im Gegenteil, ich habe mich schon oft gefragt, ob der gesell¬
schaftliche Wert meiner Leistungen das Einkommen wert sei, das ich beziehe.
Ich Pflege mich über solche Skrupel mit dem Gedanken an das Tabaksgeschäft
hinwegzusetzen. Ich kalkulire: ein mittlerer Cigarrcnkrümcr verdient wahr¬
scheinlich ebenso viel wie ich oder noch etwas mehr. Er liefert so wie ich ein
nicht unbedingt notwendiges Genußmittel. Daß seine Arbeit vielleicht weder
so anhaltend noch so anstrengend ist wie die meine, kommt nicht in Betracht,
da sich die Bezahlung nicht darnach richtet, sondern allein nach der durch den
gesellschaftlichen Zusammenhang erzeugten Nachfrage, und wird außerdem durch
den Umstand aufgewogen, daß meine Arbeit angenehmer ist als seine. Auch
braucht nicht untersucht zu werden, ob der Tabak oder die Zeitschrift das


Endlich den Beruf gefunden

Ladenklingel störte ihn im traulichen Flitterwochen-tods-a-tods. Was in der
Gegend epidemisch war, das war allein die Gesundheit. Die einzige Einnahme,
erzählte er mir, habe ich Sonntags früh, da holen sich die Ocbsenjnngen jeder
für einen Sechser Pomade. Was hatte der Ärmste zur Verbesserung seiner
Lage thun sollen, da Brunnenvergiftung doch nicht ratsam war? Also da sind
wir von der Feder besser dran: jeden Tag können wir durch Lesen und
Schreiben unsern Beruf ausüben. In einem Stück freilich wird unsre Freiheit
vielleicht mit der Zeit beschnitten werden. Da alles zünftelt, werden sich wohl
zuletzt anch die ältern und angesehenern Zeitungsschreiber als Zunft organisiren,
und zunächst wird das Hausirer mit Manuskripten als unlauterer Wettbewerb
verboten, dann aber vielleicht den nichtzünftigen das Schreiben oder wenigstens
das Druckenlassen gar nicht mehr gestattet werden. Als letzten wahrlich nicht
geringen Vorzug führe ich an, daß man Herr seiner Zeit ist, sich seine Tages¬
ordnung selbst machen und durch den angemessenen Wechsel vou Arbeit und
Ruhe Gesundheitsschädigungeu abwehren kann.

Der einzige Nachteil einer solchen Stellung oder Stellungslvsigkeit besteht
darin, daß man nicht heiraten kann. Wenn die Unsicherheit auch nicht so
groß ist, daß sie die eigne Existenz gefährdete, so ist sie doch noch groß genug,
um das Wagnis der Familiengründung zu verbieten. Und selbst wenn einem
Publizisten sein Einkommen vollkommen gesichert wäre, so würde es doch, falls
er weder Romane noch Operettentexte dichten kann, zu klein sein, um die
Grundlage für eine standesgemäße Familienexistenz abzugeben. In der Zeit
der Vorbereitung auf die Steuerreform wurde der Unterschied zwischen fundirtem
und unfundirtem Einkommen sehr gründlich erörtert und dabei oft hervor¬
gehoben, daß ein Arzt oder Publizist, um nicht allein standesgemäß zu leben,
sondern auch Söhne erziehen, Töchter ausstatten, sich eine Altersrente und
der Witwe den Unterhalt nach seinem Tode sichern zu können, etwa viertausend
Thäler jährlich verdienen müsse. Wer das Pnblizistengcwerbe kennt, der wird
wissen, daß dabei auch in ausnahmsweise günstigen Jahren noch nicht die
Hälfte verdient werden kann. Ich sage daS nicht etwa, um Unzufriedenheit
zu bekunden. Im Gegenteil, ich habe mich schon oft gefragt, ob der gesell¬
schaftliche Wert meiner Leistungen das Einkommen wert sei, das ich beziehe.
Ich Pflege mich über solche Skrupel mit dem Gedanken an das Tabaksgeschäft
hinwegzusetzen. Ich kalkulire: ein mittlerer Cigarrcnkrümcr verdient wahr¬
scheinlich ebenso viel wie ich oder noch etwas mehr. Er liefert so wie ich ein
nicht unbedingt notwendiges Genußmittel. Daß seine Arbeit vielleicht weder
so anhaltend noch so anstrengend ist wie die meine, kommt nicht in Betracht,
da sich die Bezahlung nicht darnach richtet, sondern allein nach der durch den
gesellschaftlichen Zusammenhang erzeugten Nachfrage, und wird außerdem durch
den Umstand aufgewogen, daß meine Arbeit angenehmer ist als seine. Auch
braucht nicht untersucht zu werden, ob der Tabak oder die Zeitschrift das


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[0634] Endlich den Beruf gefunden Ladenklingel störte ihn im traulichen Flitterwochen-tods-a-tods. Was in der Gegend epidemisch war, das war allein die Gesundheit. Die einzige Einnahme, erzählte er mir, habe ich Sonntags früh, da holen sich die Ocbsenjnngen jeder für einen Sechser Pomade. Was hatte der Ärmste zur Verbesserung seiner Lage thun sollen, da Brunnenvergiftung doch nicht ratsam war? Also da sind wir von der Feder besser dran: jeden Tag können wir durch Lesen und Schreiben unsern Beruf ausüben. In einem Stück freilich wird unsre Freiheit vielleicht mit der Zeit beschnitten werden. Da alles zünftelt, werden sich wohl zuletzt anch die ältern und angesehenern Zeitungsschreiber als Zunft organisiren, und zunächst wird das Hausirer mit Manuskripten als unlauterer Wettbewerb verboten, dann aber vielleicht den nichtzünftigen das Schreiben oder wenigstens das Druckenlassen gar nicht mehr gestattet werden. Als letzten wahrlich nicht geringen Vorzug führe ich an, daß man Herr seiner Zeit ist, sich seine Tages¬ ordnung selbst machen und durch den angemessenen Wechsel vou Arbeit und Ruhe Gesundheitsschädigungeu abwehren kann. Der einzige Nachteil einer solchen Stellung oder Stellungslvsigkeit besteht darin, daß man nicht heiraten kann. Wenn die Unsicherheit auch nicht so groß ist, daß sie die eigne Existenz gefährdete, so ist sie doch noch groß genug, um das Wagnis der Familiengründung zu verbieten. Und selbst wenn einem Publizisten sein Einkommen vollkommen gesichert wäre, so würde es doch, falls er weder Romane noch Operettentexte dichten kann, zu klein sein, um die Grundlage für eine standesgemäße Familienexistenz abzugeben. In der Zeit der Vorbereitung auf die Steuerreform wurde der Unterschied zwischen fundirtem und unfundirtem Einkommen sehr gründlich erörtert und dabei oft hervor¬ gehoben, daß ein Arzt oder Publizist, um nicht allein standesgemäß zu leben, sondern auch Söhne erziehen, Töchter ausstatten, sich eine Altersrente und der Witwe den Unterhalt nach seinem Tode sichern zu können, etwa viertausend Thäler jährlich verdienen müsse. Wer das Pnblizistengcwerbe kennt, der wird wissen, daß dabei auch in ausnahmsweise günstigen Jahren noch nicht die Hälfte verdient werden kann. Ich sage daS nicht etwa, um Unzufriedenheit zu bekunden. Im Gegenteil, ich habe mich schon oft gefragt, ob der gesell¬ schaftliche Wert meiner Leistungen das Einkommen wert sei, das ich beziehe. Ich Pflege mich über solche Skrupel mit dem Gedanken an das Tabaksgeschäft hinwegzusetzen. Ich kalkulire: ein mittlerer Cigarrcnkrümcr verdient wahr¬ scheinlich ebenso viel wie ich oder noch etwas mehr. Er liefert so wie ich ein nicht unbedingt notwendiges Genußmittel. Daß seine Arbeit vielleicht weder so anhaltend noch so anstrengend ist wie die meine, kommt nicht in Betracht, da sich die Bezahlung nicht darnach richtet, sondern allein nach der durch den gesellschaftlichen Zusammenhang erzeugten Nachfrage, und wird außerdem durch den Umstand aufgewogen, daß meine Arbeit angenehmer ist als seine. Auch braucht nicht untersucht zu werden, ob der Tabak oder die Zeitschrift das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/634>, abgerufen am 26.06.2024.