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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Endlich den Beruf gefunden

man wird gleich vollständig bekannt. Und überdies ist ja in diesen Erinnerungen
meine Person nur Nebensache; sie sollen ein Stück Zeitgeschichte erzählen, das
sich fern von den Mittelpunkten des politischen und des Geisteslebens ab¬
gespielt hat.

Wenn mau weder von seinem Vermögen noch von einem Amte leben
kann, so ist unter deu freien Erwerbsarten, unter denen man wählen muß, die
Schriftstellerei wahrlich nicht die schlechteste. Ja sie bietet eine Anzahl von
Vorteilen, die man nicht leicht in einer andern vereinigt finden wird. Zunächst
gehört sie zu denen, deren Ausübung innere Befriedigung gewährt. Sich aus¬
sprechen ist ein Bedürfnis, sich vor einem größern Hörer- oder Leserkreise
aussprechen ist ein Genuß, und was thut denn der Publizist oder Schriftsteller,
der nicht rein als Fröhner schreibt, andres, als daß er sich ausspricht? Ein
volles Menschenleben ist das des Zeituugschreibers freilich nicht; dazu gehört,
daß man in die Natur und in die Menjchenwelt körperlich gestaltend und
umgestaltend eingreife, als Künstler, oder als Baumeister, oder als Ingenieur,
oder als Landwirt, oder als Staatsmann, oder als alles dieses znscuumen-
genommeu. Ja eigentlich sollten nur solche Schriftstellern, die dergleichen
schöpferische Thätigkeit üben, weil nur sie aus eigner Erfahrung über alles
wichtige zu berichten und in allen Fragen geeignete Ratschläge zu geben
wissen -- wenn nämlich ihre Theorie auf der Höhe ihrer Praxis steht. Wer
nichts kaun als schreiben, der ist ein halber Krüppel. Aber die Welt ist nnn
einmal leider so eingerichtet, daß auf je tausend Plätze für Stückmeuschen kaum
ein Platz für einen Vollmenschen kommt, und je mehr die Arbeitsteilung fort¬
schreitet, in desto größeren Maße werden Menschen erfordert, die sich zu einer
ganz einseitigen Thätigkeit verstehen, die darauf verzichten, ein Ganzes zu sein,
und sich mit der Stellung von kleinen Rädchen in einer großen Maschine
begnügen. Vielleicht geht die Hoffnung der Utopisten auf eine schließliche
Nedintegrirung dieser fortschreitenden Differenzirung nach Jahrhunderten einmal
in Erfüllung, vorläufig scheint sich noch keine Aussicht darauf zu eröffnen.
Wenn man also in solcher Zeit die Grenzen erkannt hat, die einem Begabung
und Verhältnisse ziehen, so darf man sich glücklich schätzen, in einen Beruf
geraten zu sei", der trotz seiner Einseitigkeit soviel Befriedigung gewährt wie
die Schriftstellerei.

Ein zweiter Vorzug besteht darin, daß man alles, was man leistet, durch
eigne Arbeit schafft, daher weder sich selbst noch andern verdächtig wird, ein
Ausbeuter zu sein. Freilich bedarf der Schriftsteller des Verlegers und des
Druckers, aber von diesen dreien verhält sich keiner zum andern wie der Unter¬
nehmer zum Lohnarbeiter, sondern sie betreiben ein genossenschaftliches Geschäft,
dessen Ertrag sie ehrlich miteinander teilen. Ein weiterer, gar nicht hoch
genug zu schätzender Vorzug ist es, daß man niemals zur Unthätigkeit ge¬
zwungen ist. Man kann stets arbeiten, und zwar stets für seinen Beruf


Endlich den Beruf gefunden

man wird gleich vollständig bekannt. Und überdies ist ja in diesen Erinnerungen
meine Person nur Nebensache; sie sollen ein Stück Zeitgeschichte erzählen, das
sich fern von den Mittelpunkten des politischen und des Geisteslebens ab¬
gespielt hat.

Wenn mau weder von seinem Vermögen noch von einem Amte leben
kann, so ist unter deu freien Erwerbsarten, unter denen man wählen muß, die
Schriftstellerei wahrlich nicht die schlechteste. Ja sie bietet eine Anzahl von
Vorteilen, die man nicht leicht in einer andern vereinigt finden wird. Zunächst
gehört sie zu denen, deren Ausübung innere Befriedigung gewährt. Sich aus¬
sprechen ist ein Bedürfnis, sich vor einem größern Hörer- oder Leserkreise
aussprechen ist ein Genuß, und was thut denn der Publizist oder Schriftsteller,
der nicht rein als Fröhner schreibt, andres, als daß er sich ausspricht? Ein
volles Menschenleben ist das des Zeituugschreibers freilich nicht; dazu gehört,
daß man in die Natur und in die Menjchenwelt körperlich gestaltend und
umgestaltend eingreife, als Künstler, oder als Baumeister, oder als Ingenieur,
oder als Landwirt, oder als Staatsmann, oder als alles dieses znscuumen-
genommeu. Ja eigentlich sollten nur solche Schriftstellern, die dergleichen
schöpferische Thätigkeit üben, weil nur sie aus eigner Erfahrung über alles
wichtige zu berichten und in allen Fragen geeignete Ratschläge zu geben
wissen — wenn nämlich ihre Theorie auf der Höhe ihrer Praxis steht. Wer
nichts kaun als schreiben, der ist ein halber Krüppel. Aber die Welt ist nnn
einmal leider so eingerichtet, daß auf je tausend Plätze für Stückmeuschen kaum
ein Platz für einen Vollmenschen kommt, und je mehr die Arbeitsteilung fort¬
schreitet, in desto größeren Maße werden Menschen erfordert, die sich zu einer
ganz einseitigen Thätigkeit verstehen, die darauf verzichten, ein Ganzes zu sein,
und sich mit der Stellung von kleinen Rädchen in einer großen Maschine
begnügen. Vielleicht geht die Hoffnung der Utopisten auf eine schließliche
Nedintegrirung dieser fortschreitenden Differenzirung nach Jahrhunderten einmal
in Erfüllung, vorläufig scheint sich noch keine Aussicht darauf zu eröffnen.
Wenn man also in solcher Zeit die Grenzen erkannt hat, die einem Begabung
und Verhältnisse ziehen, so darf man sich glücklich schätzen, in einen Beruf
geraten zu sei», der trotz seiner Einseitigkeit soviel Befriedigung gewährt wie
die Schriftstellerei.

Ein zweiter Vorzug besteht darin, daß man alles, was man leistet, durch
eigne Arbeit schafft, daher weder sich selbst noch andern verdächtig wird, ein
Ausbeuter zu sein. Freilich bedarf der Schriftsteller des Verlegers und des
Druckers, aber von diesen dreien verhält sich keiner zum andern wie der Unter¬
nehmer zum Lohnarbeiter, sondern sie betreiben ein genossenschaftliches Geschäft,
dessen Ertrag sie ehrlich miteinander teilen. Ein weiterer, gar nicht hoch
genug zu schätzender Vorzug ist es, daß man niemals zur Unthätigkeit ge¬
zwungen ist. Man kann stets arbeiten, und zwar stets für seinen Beruf


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[0632] Endlich den Beruf gefunden man wird gleich vollständig bekannt. Und überdies ist ja in diesen Erinnerungen meine Person nur Nebensache; sie sollen ein Stück Zeitgeschichte erzählen, das sich fern von den Mittelpunkten des politischen und des Geisteslebens ab¬ gespielt hat. Wenn mau weder von seinem Vermögen noch von einem Amte leben kann, so ist unter deu freien Erwerbsarten, unter denen man wählen muß, die Schriftstellerei wahrlich nicht die schlechteste. Ja sie bietet eine Anzahl von Vorteilen, die man nicht leicht in einer andern vereinigt finden wird. Zunächst gehört sie zu denen, deren Ausübung innere Befriedigung gewährt. Sich aus¬ sprechen ist ein Bedürfnis, sich vor einem größern Hörer- oder Leserkreise aussprechen ist ein Genuß, und was thut denn der Publizist oder Schriftsteller, der nicht rein als Fröhner schreibt, andres, als daß er sich ausspricht? Ein volles Menschenleben ist das des Zeituugschreibers freilich nicht; dazu gehört, daß man in die Natur und in die Menjchenwelt körperlich gestaltend und umgestaltend eingreife, als Künstler, oder als Baumeister, oder als Ingenieur, oder als Landwirt, oder als Staatsmann, oder als alles dieses znscuumen- genommeu. Ja eigentlich sollten nur solche Schriftstellern, die dergleichen schöpferische Thätigkeit üben, weil nur sie aus eigner Erfahrung über alles wichtige zu berichten und in allen Fragen geeignete Ratschläge zu geben wissen — wenn nämlich ihre Theorie auf der Höhe ihrer Praxis steht. Wer nichts kaun als schreiben, der ist ein halber Krüppel. Aber die Welt ist nnn einmal leider so eingerichtet, daß auf je tausend Plätze für Stückmeuschen kaum ein Platz für einen Vollmenschen kommt, und je mehr die Arbeitsteilung fort¬ schreitet, in desto größeren Maße werden Menschen erfordert, die sich zu einer ganz einseitigen Thätigkeit verstehen, die darauf verzichten, ein Ganzes zu sein, und sich mit der Stellung von kleinen Rädchen in einer großen Maschine begnügen. Vielleicht geht die Hoffnung der Utopisten auf eine schließliche Nedintegrirung dieser fortschreitenden Differenzirung nach Jahrhunderten einmal in Erfüllung, vorläufig scheint sich noch keine Aussicht darauf zu eröffnen. Wenn man also in solcher Zeit die Grenzen erkannt hat, die einem Begabung und Verhältnisse ziehen, so darf man sich glücklich schätzen, in einen Beruf geraten zu sei», der trotz seiner Einseitigkeit soviel Befriedigung gewährt wie die Schriftstellerei. Ein zweiter Vorzug besteht darin, daß man alles, was man leistet, durch eigne Arbeit schafft, daher weder sich selbst noch andern verdächtig wird, ein Ausbeuter zu sein. Freilich bedarf der Schriftsteller des Verlegers und des Druckers, aber von diesen dreien verhält sich keiner zum andern wie der Unter¬ nehmer zum Lohnarbeiter, sondern sie betreiben ein genossenschaftliches Geschäft, dessen Ertrag sie ehrlich miteinander teilen. Ein weiterer, gar nicht hoch genug zu schätzender Vorzug ist es, daß man niemals zur Unthätigkeit ge¬ zwungen ist. Man kann stets arbeiten, und zwar stets für seinen Beruf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/632>, abgerufen am 26.06.2024.