Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Endlich den Beruf gefunden

immer vermißt werden. Aber an vollkommnen litterarischen Leistungen haben
wir ja keinen Mangel, dagegen fehlt es desto mehr an Leuten, die dem Zuge
zur Großstadt Widerstand leisteten. Alle Welt jammert über die Anhüusung
der Bevölkerung in den großen Städten und fordert Dezentralisation, aber
jedermann, vom höhern Verwnltnngsbeamten und vom Gelehrten bis zur Kuh-
magd und dem Handwerksgesellen, brennt vor Begierde nach dem großstädtischen
Pflaster. Ich danke Gott, daß ich nicht gezwungen bin, in einer Großstadt
zu leben. Prinzipientreue würde übrigens eine zu stolze Bezeichnung sein für
meine Liebe zur Natur und zur Bequemlichkeit, die mich an die Kleinstadt
fesselt. Dieser doppelten Liebe gesellt sich als Verstärkung der Umstand zu,
daß ich seit meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahre zehnmal den Wohnort
habe wechseln müssen, dabei mehreremale mein bischen Fahrhabe halb eingebüßt,
und nnr zweimal, wo es über hundert Meilen weit ging, eine Umzugseut-
schüdigung bekommen habe, das einemal von 150, das andremal von 100 Mark,
sodaß es wohl nicht zu verwundern ist, wenn ich kein Verlangen darnach trage,
das Vergnügen ein elftes mal zu kosten.

Schon ehe ich Ende Dezember 1838 die Redaktion niederlegte, war ich
für den Einnahmeausfall reichlich entschädigt. Einer meiner Freunde war von
hier uach Schweionitz übergesiedelt und vermittelte meine Verbindung mit dem
dort erscheinenden Schlesischen Tageblatt, dem ich ein paar Jahre hindurch
allwöchentlich sechs Leitartikel geliefert habe. Mit dem Herausgeber und da¬
maligen Redakteur des hiesigen Zentrnmsblattes, F. I. Neise, einem sehr
tüchtigen und ehrlichen Mann und weit und breit gefürchteten Wahlstrategen,
war ich auf dem Wege anständiger Polemik und dann teilweiser politischer
Gesinnuugsgenosfenschaft in freundschaftlichen Verkehr gekommen. Ihm lieferte
ich eine Reihe von Beiträgen meist lvtalgeschichtlichen Inhalts; den Stoff dazu
lieferte mir das Stadtarchiv, dessen nicht sehr anstrengende Verwaltung ich seit
1889 gegen eine kleine Entschüoignng führe. Endlich schrieb ich Feuilletons
für die Breslauer Morgenzeitnng, der ich aus einem Gegner ein Bundesgenosse
geworden war. Diese Verbindungen sind dann später durch andre ersetzt
worden. Die wichtigste unter den neuen war die mit den Grenzboten, die im
März 1889 ihren Anfang genommen hat. Sie ist mir nicht allein durch die
Gewährung gleichmäßiger Beschäftigung wert geworden, sondern auch durch
die Unterstützung mit litterarischen Hilfsmitteln und durch die persönliche
Freundschaft mit dem Verleger, mit dem ich mich je nach der politischen Kon¬
stellation schlage und vertrage. Außerdem hat sie mir dazu verholfen, durch
die Herausgabe von ein paar Büchern in weitern Kreisen bekannt zu werden;
an und für sich ist mir daran nichts gelegen, denn ich hnlvige wie einigen
andern Grundsätzen des Epikur auch seinem /^"Ac /?"!)<7"L. Damit scheint
freilich die Herausgabe von Lebenserinnerungen im Widerspruch zu stehn, aber
wenn man einmal das Bekanntwerden nicht vermeiden kann, so ist es besser,


Endlich den Beruf gefunden

immer vermißt werden. Aber an vollkommnen litterarischen Leistungen haben
wir ja keinen Mangel, dagegen fehlt es desto mehr an Leuten, die dem Zuge
zur Großstadt Widerstand leisteten. Alle Welt jammert über die Anhüusung
der Bevölkerung in den großen Städten und fordert Dezentralisation, aber
jedermann, vom höhern Verwnltnngsbeamten und vom Gelehrten bis zur Kuh-
magd und dem Handwerksgesellen, brennt vor Begierde nach dem großstädtischen
Pflaster. Ich danke Gott, daß ich nicht gezwungen bin, in einer Großstadt
zu leben. Prinzipientreue würde übrigens eine zu stolze Bezeichnung sein für
meine Liebe zur Natur und zur Bequemlichkeit, die mich an die Kleinstadt
fesselt. Dieser doppelten Liebe gesellt sich als Verstärkung der Umstand zu,
daß ich seit meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahre zehnmal den Wohnort
habe wechseln müssen, dabei mehreremale mein bischen Fahrhabe halb eingebüßt,
und nnr zweimal, wo es über hundert Meilen weit ging, eine Umzugseut-
schüdigung bekommen habe, das einemal von 150, das andremal von 100 Mark,
sodaß es wohl nicht zu verwundern ist, wenn ich kein Verlangen darnach trage,
das Vergnügen ein elftes mal zu kosten.

Schon ehe ich Ende Dezember 1838 die Redaktion niederlegte, war ich
für den Einnahmeausfall reichlich entschädigt. Einer meiner Freunde war von
hier uach Schweionitz übergesiedelt und vermittelte meine Verbindung mit dem
dort erscheinenden Schlesischen Tageblatt, dem ich ein paar Jahre hindurch
allwöchentlich sechs Leitartikel geliefert habe. Mit dem Herausgeber und da¬
maligen Redakteur des hiesigen Zentrnmsblattes, F. I. Neise, einem sehr
tüchtigen und ehrlichen Mann und weit und breit gefürchteten Wahlstrategen,
war ich auf dem Wege anständiger Polemik und dann teilweiser politischer
Gesinnuugsgenosfenschaft in freundschaftlichen Verkehr gekommen. Ihm lieferte
ich eine Reihe von Beiträgen meist lvtalgeschichtlichen Inhalts; den Stoff dazu
lieferte mir das Stadtarchiv, dessen nicht sehr anstrengende Verwaltung ich seit
1889 gegen eine kleine Entschüoignng führe. Endlich schrieb ich Feuilletons
für die Breslauer Morgenzeitnng, der ich aus einem Gegner ein Bundesgenosse
geworden war. Diese Verbindungen sind dann später durch andre ersetzt
worden. Die wichtigste unter den neuen war die mit den Grenzboten, die im
März 1889 ihren Anfang genommen hat. Sie ist mir nicht allein durch die
Gewährung gleichmäßiger Beschäftigung wert geworden, sondern auch durch
die Unterstützung mit litterarischen Hilfsmitteln und durch die persönliche
Freundschaft mit dem Verleger, mit dem ich mich je nach der politischen Kon¬
stellation schlage und vertrage. Außerdem hat sie mir dazu verholfen, durch
die Herausgabe von ein paar Büchern in weitern Kreisen bekannt zu werden;
an und für sich ist mir daran nichts gelegen, denn ich hnlvige wie einigen
andern Grundsätzen des Epikur auch seinem /^«Ac /?«!)<7«L. Damit scheint
freilich die Herausgabe von Lebenserinnerungen im Widerspruch zu stehn, aber
wenn man einmal das Bekanntwerden nicht vermeiden kann, so ist es besser,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0631" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226861"/>
          <fw type="header" place="top"> Endlich den Beruf gefunden</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1599" prev="#ID_1598"> immer vermißt werden. Aber an vollkommnen litterarischen Leistungen haben<lb/>
wir ja keinen Mangel, dagegen fehlt es desto mehr an Leuten, die dem Zuge<lb/>
zur Großstadt Widerstand leisteten. Alle Welt jammert über die Anhüusung<lb/>
der Bevölkerung in den großen Städten und fordert Dezentralisation, aber<lb/>
jedermann, vom höhern Verwnltnngsbeamten und vom Gelehrten bis zur Kuh-<lb/>
magd und dem Handwerksgesellen, brennt vor Begierde nach dem großstädtischen<lb/>
Pflaster. Ich danke Gott, daß ich nicht gezwungen bin, in einer Großstadt<lb/>
zu leben. Prinzipientreue würde übrigens eine zu stolze Bezeichnung sein für<lb/>
meine Liebe zur Natur und zur Bequemlichkeit, die mich an die Kleinstadt<lb/>
fesselt. Dieser doppelten Liebe gesellt sich als Verstärkung der Umstand zu,<lb/>
daß ich seit meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahre zehnmal den Wohnort<lb/>
habe wechseln müssen, dabei mehreremale mein bischen Fahrhabe halb eingebüßt,<lb/>
und nnr zweimal, wo es über hundert Meilen weit ging, eine Umzugseut-<lb/>
schüdigung bekommen habe, das einemal von 150, das andremal von 100 Mark,<lb/>
sodaß es wohl nicht zu verwundern ist, wenn ich kein Verlangen darnach trage,<lb/>
das Vergnügen ein elftes mal zu kosten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1600" next="#ID_1601"> Schon ehe ich Ende Dezember 1838 die Redaktion niederlegte, war ich<lb/>
für den Einnahmeausfall reichlich entschädigt. Einer meiner Freunde war von<lb/>
hier uach Schweionitz übergesiedelt und vermittelte meine Verbindung mit dem<lb/>
dort erscheinenden Schlesischen Tageblatt, dem ich ein paar Jahre hindurch<lb/>
allwöchentlich sechs Leitartikel geliefert habe. Mit dem Herausgeber und da¬<lb/>
maligen Redakteur des hiesigen Zentrnmsblattes, F. I. Neise, einem sehr<lb/>
tüchtigen und ehrlichen Mann und weit und breit gefürchteten Wahlstrategen,<lb/>
war ich auf dem Wege anständiger Polemik und dann teilweiser politischer<lb/>
Gesinnuugsgenosfenschaft in freundschaftlichen Verkehr gekommen. Ihm lieferte<lb/>
ich eine Reihe von Beiträgen meist lvtalgeschichtlichen Inhalts; den Stoff dazu<lb/>
lieferte mir das Stadtarchiv, dessen nicht sehr anstrengende Verwaltung ich seit<lb/>
1889 gegen eine kleine Entschüoignng führe. Endlich schrieb ich Feuilletons<lb/>
für die Breslauer Morgenzeitnng, der ich aus einem Gegner ein Bundesgenosse<lb/>
geworden war. Diese Verbindungen sind dann später durch andre ersetzt<lb/>
worden. Die wichtigste unter den neuen war die mit den Grenzboten, die im<lb/>
März 1889 ihren Anfang genommen hat. Sie ist mir nicht allein durch die<lb/>
Gewährung gleichmäßiger Beschäftigung wert geworden, sondern auch durch<lb/>
die Unterstützung mit litterarischen Hilfsmitteln und durch die persönliche<lb/>
Freundschaft mit dem Verleger, mit dem ich mich je nach der politischen Kon¬<lb/>
stellation schlage und vertrage. Außerdem hat sie mir dazu verholfen, durch<lb/>
die Herausgabe von ein paar Büchern in weitern Kreisen bekannt zu werden;<lb/>
an und für sich ist mir daran nichts gelegen, denn ich hnlvige wie einigen<lb/>
andern Grundsätzen des Epikur auch seinem /^«Ac /?«!)&lt;7«L. Damit scheint<lb/>
freilich die Herausgabe von Lebenserinnerungen im Widerspruch zu stehn, aber<lb/>
wenn man einmal das Bekanntwerden nicht vermeiden kann, so ist es besser,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0631] Endlich den Beruf gefunden immer vermißt werden. Aber an vollkommnen litterarischen Leistungen haben wir ja keinen Mangel, dagegen fehlt es desto mehr an Leuten, die dem Zuge zur Großstadt Widerstand leisteten. Alle Welt jammert über die Anhüusung der Bevölkerung in den großen Städten und fordert Dezentralisation, aber jedermann, vom höhern Verwnltnngsbeamten und vom Gelehrten bis zur Kuh- magd und dem Handwerksgesellen, brennt vor Begierde nach dem großstädtischen Pflaster. Ich danke Gott, daß ich nicht gezwungen bin, in einer Großstadt zu leben. Prinzipientreue würde übrigens eine zu stolze Bezeichnung sein für meine Liebe zur Natur und zur Bequemlichkeit, die mich an die Kleinstadt fesselt. Dieser doppelten Liebe gesellt sich als Verstärkung der Umstand zu, daß ich seit meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahre zehnmal den Wohnort habe wechseln müssen, dabei mehreremale mein bischen Fahrhabe halb eingebüßt, und nnr zweimal, wo es über hundert Meilen weit ging, eine Umzugseut- schüdigung bekommen habe, das einemal von 150, das andremal von 100 Mark, sodaß es wohl nicht zu verwundern ist, wenn ich kein Verlangen darnach trage, das Vergnügen ein elftes mal zu kosten. Schon ehe ich Ende Dezember 1838 die Redaktion niederlegte, war ich für den Einnahmeausfall reichlich entschädigt. Einer meiner Freunde war von hier uach Schweionitz übergesiedelt und vermittelte meine Verbindung mit dem dort erscheinenden Schlesischen Tageblatt, dem ich ein paar Jahre hindurch allwöchentlich sechs Leitartikel geliefert habe. Mit dem Herausgeber und da¬ maligen Redakteur des hiesigen Zentrnmsblattes, F. I. Neise, einem sehr tüchtigen und ehrlichen Mann und weit und breit gefürchteten Wahlstrategen, war ich auf dem Wege anständiger Polemik und dann teilweiser politischer Gesinnuugsgenosfenschaft in freundschaftlichen Verkehr gekommen. Ihm lieferte ich eine Reihe von Beiträgen meist lvtalgeschichtlichen Inhalts; den Stoff dazu lieferte mir das Stadtarchiv, dessen nicht sehr anstrengende Verwaltung ich seit 1889 gegen eine kleine Entschüoignng führe. Endlich schrieb ich Feuilletons für die Breslauer Morgenzeitnng, der ich aus einem Gegner ein Bundesgenosse geworden war. Diese Verbindungen sind dann später durch andre ersetzt worden. Die wichtigste unter den neuen war die mit den Grenzboten, die im März 1889 ihren Anfang genommen hat. Sie ist mir nicht allein durch die Gewährung gleichmäßiger Beschäftigung wert geworden, sondern auch durch die Unterstützung mit litterarischen Hilfsmitteln und durch die persönliche Freundschaft mit dem Verleger, mit dem ich mich je nach der politischen Kon¬ stellation schlage und vertrage. Außerdem hat sie mir dazu verholfen, durch die Herausgabe von ein paar Büchern in weitern Kreisen bekannt zu werden; an und für sich ist mir daran nichts gelegen, denn ich hnlvige wie einigen andern Grundsätzen des Epikur auch seinem /^«Ac /?«!)<7«L. Damit scheint freilich die Herausgabe von Lebenserinnerungen im Widerspruch zu stehn, aber wenn man einmal das Bekanntwerden nicht vermeiden kann, so ist es besser,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/631
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/631>, abgerufen am 26.06.2024.