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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Endlich den Beruf gefunden

Wir haben neben vielen andern, um es kurz zu sagen, mit den Dämonen des all¬
gemeinen Stimmrechts zu kämpfen, das auf unserm Gebiet bedeutet, daß jeder
Unwissende oder Halbwissende, der die Feder zu führen weiß, uns ins Handwerk
pfuschen zu dürfen meint, und daß jede Partei darauf aus ist, die Gymnasien
ihren besondern Zwecken dienstbar zu machen. Demgegenüber wird die nächste Auf¬
gabe sein, daß wir unserm Stande in höheren Maße, als es bisher gelungen, die¬
jenige Unabhängigkeit erringen, die dem Arzt, dem Juristen und dem Ingenieur
dem Publikum gegenüber sein Berufswissen, seine Sachkenntnis verleiht. Diese
lassen sich nicht dreinreden, sondern berufen sich auf ihr Fachwissen, und das
Publikum bescheidet sich; nur uns gegenüber glaubt jeder, der des Weges kommt,
sofern er Vater von Söhnen ist, sich als Sachkenner geberden zu dürfen. Das
wird sich bessern in demselben Maße, als wir uns des ganzen Umfangs unsers
Gebiets, der ganzen Schwierigkeit unsrer Aufgaben und der besten Mittel zu ihrer
Lösung, sowie der großen Verantwortung, die wir aus uns genommen haben be¬
,
z. U. wußt werden.




Endlich den Beruf gefunden
(Schluß)

le Kündigung war ein Glück für mich. Sie befreite mich von
der Pflicht der Lokalberichterstattung, die meinen Neigungen und
Lebensgewohnheiten wenig entsprach und mir überdies durch
die Taubheit erschwert wurde; wo es sich um Reden und Debatten
handelte, mußte ich gewöhnlich die Hilfe von Freunden in An¬
spruch nehmen, deren einer mich einmal gründlich hineinlegte, nicht aus bösem
Willen, sondern weil er -- es war bei einem Festmahl -- ein wenig ange¬
heitert mehr auf die Stimme seiner Dichterphantasie als auf den Redner hörte.
Dann aber verhalf mir die Wendung zu einer gewissen Existenzsicherheit. Bei
der prekären Lage des Blattes war mein Bleiben immer nur fürs nächste
Vierteljahr gesichert, und ich wußte niemals, ob ich nach einem halben Jahre
noch hier sein würde. Die Befreiung von der Redaktion ermöglichte mir die
Anknüpfung einer gröszern Anzahl von Verbindungen, und da es nicht wahr¬
scheinlich war, daß alle auf einmal abreißen könnten, und wenn man einiger¬
maßen bekannt war, der Ersatz der Verlornen durch neue nicht so gar schwierig
war, so brauchte ein Ortswechsel nicht mehr in Erwägung gezogen zu werden.
Gewiß ist ein Ort, der keine große öffentliche Bibliothek und keinen gut aus¬
gestatteten öffentlichen Lcsesanl hat, so ungeeignet wie möglich für litterarische
Thätigkeit; soweit die Vollkommenheit litterarischer Leistungen von dem zur
Verfügung stehenden Material abhängt, wird sie also uuter diesen Umständen


Endlich den Beruf gefunden

Wir haben neben vielen andern, um es kurz zu sagen, mit den Dämonen des all¬
gemeinen Stimmrechts zu kämpfen, das auf unserm Gebiet bedeutet, daß jeder
Unwissende oder Halbwissende, der die Feder zu führen weiß, uns ins Handwerk
pfuschen zu dürfen meint, und daß jede Partei darauf aus ist, die Gymnasien
ihren besondern Zwecken dienstbar zu machen. Demgegenüber wird die nächste Auf¬
gabe sein, daß wir unserm Stande in höheren Maße, als es bisher gelungen, die¬
jenige Unabhängigkeit erringen, die dem Arzt, dem Juristen und dem Ingenieur
dem Publikum gegenüber sein Berufswissen, seine Sachkenntnis verleiht. Diese
lassen sich nicht dreinreden, sondern berufen sich auf ihr Fachwissen, und das
Publikum bescheidet sich; nur uns gegenüber glaubt jeder, der des Weges kommt,
sofern er Vater von Söhnen ist, sich als Sachkenner geberden zu dürfen. Das
wird sich bessern in demselben Maße, als wir uns des ganzen Umfangs unsers
Gebiets, der ganzen Schwierigkeit unsrer Aufgaben und der besten Mittel zu ihrer
Lösung, sowie der großen Verantwortung, die wir aus uns genommen haben be¬
,
z. U. wußt werden.




Endlich den Beruf gefunden
(Schluß)

le Kündigung war ein Glück für mich. Sie befreite mich von
der Pflicht der Lokalberichterstattung, die meinen Neigungen und
Lebensgewohnheiten wenig entsprach und mir überdies durch
die Taubheit erschwert wurde; wo es sich um Reden und Debatten
handelte, mußte ich gewöhnlich die Hilfe von Freunden in An¬
spruch nehmen, deren einer mich einmal gründlich hineinlegte, nicht aus bösem
Willen, sondern weil er — es war bei einem Festmahl — ein wenig ange¬
heitert mehr auf die Stimme seiner Dichterphantasie als auf den Redner hörte.
Dann aber verhalf mir die Wendung zu einer gewissen Existenzsicherheit. Bei
der prekären Lage des Blattes war mein Bleiben immer nur fürs nächste
Vierteljahr gesichert, und ich wußte niemals, ob ich nach einem halben Jahre
noch hier sein würde. Die Befreiung von der Redaktion ermöglichte mir die
Anknüpfung einer gröszern Anzahl von Verbindungen, und da es nicht wahr¬
scheinlich war, daß alle auf einmal abreißen könnten, und wenn man einiger¬
maßen bekannt war, der Ersatz der Verlornen durch neue nicht so gar schwierig
war, so brauchte ein Ortswechsel nicht mehr in Erwägung gezogen zu werden.
Gewiß ist ein Ort, der keine große öffentliche Bibliothek und keinen gut aus¬
gestatteten öffentlichen Lcsesanl hat, so ungeeignet wie möglich für litterarische
Thätigkeit; soweit die Vollkommenheit litterarischer Leistungen von dem zur
Verfügung stehenden Material abhängt, wird sie also uuter diesen Umständen


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[0630] Endlich den Beruf gefunden Wir haben neben vielen andern, um es kurz zu sagen, mit den Dämonen des all¬ gemeinen Stimmrechts zu kämpfen, das auf unserm Gebiet bedeutet, daß jeder Unwissende oder Halbwissende, der die Feder zu führen weiß, uns ins Handwerk pfuschen zu dürfen meint, und daß jede Partei darauf aus ist, die Gymnasien ihren besondern Zwecken dienstbar zu machen. Demgegenüber wird die nächste Auf¬ gabe sein, daß wir unserm Stande in höheren Maße, als es bisher gelungen, die¬ jenige Unabhängigkeit erringen, die dem Arzt, dem Juristen und dem Ingenieur dem Publikum gegenüber sein Berufswissen, seine Sachkenntnis verleiht. Diese lassen sich nicht dreinreden, sondern berufen sich auf ihr Fachwissen, und das Publikum bescheidet sich; nur uns gegenüber glaubt jeder, der des Weges kommt, sofern er Vater von Söhnen ist, sich als Sachkenner geberden zu dürfen. Das wird sich bessern in demselben Maße, als wir uns des ganzen Umfangs unsers Gebiets, der ganzen Schwierigkeit unsrer Aufgaben und der besten Mittel zu ihrer Lösung, sowie der großen Verantwortung, die wir aus uns genommen haben be¬ , z. U. wußt werden. Endlich den Beruf gefunden (Schluß) le Kündigung war ein Glück für mich. Sie befreite mich von der Pflicht der Lokalberichterstattung, die meinen Neigungen und Lebensgewohnheiten wenig entsprach und mir überdies durch die Taubheit erschwert wurde; wo es sich um Reden und Debatten handelte, mußte ich gewöhnlich die Hilfe von Freunden in An¬ spruch nehmen, deren einer mich einmal gründlich hineinlegte, nicht aus bösem Willen, sondern weil er — es war bei einem Festmahl — ein wenig ange¬ heitert mehr auf die Stimme seiner Dichterphantasie als auf den Redner hörte. Dann aber verhalf mir die Wendung zu einer gewissen Existenzsicherheit. Bei der prekären Lage des Blattes war mein Bleiben immer nur fürs nächste Vierteljahr gesichert, und ich wußte niemals, ob ich nach einem halben Jahre noch hier sein würde. Die Befreiung von der Redaktion ermöglichte mir die Anknüpfung einer gröszern Anzahl von Verbindungen, und da es nicht wahr¬ scheinlich war, daß alle auf einmal abreißen könnten, und wenn man einiger¬ maßen bekannt war, der Ersatz der Verlornen durch neue nicht so gar schwierig war, so brauchte ein Ortswechsel nicht mehr in Erwägung gezogen zu werden. Gewiß ist ein Ort, der keine große öffentliche Bibliothek und keinen gut aus¬ gestatteten öffentlichen Lcsesanl hat, so ungeeignet wie möglich für litterarische Thätigkeit; soweit die Vollkommenheit litterarischer Leistungen von dem zur Verfügung stehenden Material abhängt, wird sie also uuter diesen Umständen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/630>, abgerufen am 26.06.2024.