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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Lehrkunst mit Lehrhandiverk

Den hier in wenigen flüchtigen Strichen gezeichneten Mißständen tritt
Jägers Buch mit der Entschlossenheit und der freimütiger Sprache eines
Mannes entgegen, der eine gute und ihm teure Sache gefährdet sieht. Aber
so sehr auch den Leser in den der Verteidigung und Notwehr gewidmeten
Sätzen die meisterhaft geführte Klinge des Witzes entzückt, so liegt doch der
Schwerpunkt des Buches keineswegs in der Kritik. In seinen wesentlichen
Abschnitten ist es nämlich aus Vorträgen erwachsen, die der Verfasser in den
letzten sieben Jahren in dem unter seiner Leitung stehenden Seminar gehalten
hat. Wohl hält er es sür seine Pflicht, die ihm anvertrauten Kandidaten
nicht mit verbundnen Angen an den ihnen bevorstehenden Gefahren vorbei¬
zuführen, sondern diese vorbeugend, "prophylaktisch," wie die Ärzte sagen, zu
bekämpfen, aber seine Hauptaufgabe sieht er darin, die künftigen Lehrer über
Wesen und Bedeutung des Gymnasialunterrichts aufzuklären und sie zu einer
hohen Auffassung ihres Berufes, seiner Würde und seiner Pflichten zu führen.

Das Buch besteht aus drei Abschnitten, von denen der erste die Bedeutung,
die Aufgaben und die Methode jedes Unterrichtsfaches in den Klassen Sexta
bis Untersekunda erörtert. Ein besondrer Wert dieser Erörterungen liegt in
der großen Zahl der packenden, aus dem Schullebeu gegrisfnen Beispiele, an
denen der Verfasser seine Lehren veranschaulicht. Für die drei Oberklassen
hat er eine andre Einteilung gewählt, indem er die verschiednen Lehrfächer
nicht nach Klassen geschieden, sondern zusammenhängend sür die ganze Ober¬
stufe bespricht. Zwischen diese beiden Abschnitte des Buches schiebt sich als
selbständiger dritter Teil die Erörterung einiger wichtiger Grundbegriffe der
Pädagogik. Diese Anordnung rechtfertigt sich aus praktischen Erwägungen,
weil sie einem natürlichen und zweckmüßigen Gang der Seminarunterweisungen
am ehesten entsprechen dürfte. Überdies wollte Jäger zeigen, wie er selbst bei
der Ausbildung der Kandidaten ans Werk geht, und aus diesem Grunde hat
er auch die Form von Borträgen beibehalten. Damit hat er einen Meistergriff
gethan, nicht nur weil infolgedessen seinem Buche die Frische des gesprochnen
Wortes geblieben ist, sondern anch deshalb, weil die Form der vertraulichen
Aussprache inwr pMistss es dem Verfasser leichter gemacht hat, allerhand heikle
Dinge, z. B. gewisse Irrungen und Schwächen der Schulbehörden, mit behag¬
lichem Freimut zu erörtern.

In den vorwiegend didaktischen Abschnitten fließt auch dem erfahrnen
Lehrer eine reiche Quelle der Anregung und Belehrung. Die Art, wie der
aus einer ungewöhnlichen Fülle der Erfahrung und des Nachdenkens schöpfende
Verfasser überall mit sicherm Griff den Kern der Sache heraushebt und das,
worauf es ankommt, in durchsichtiger Klarheit vorträgt, ist ein weiterer Vor¬
zug des Buches und unterscheidet es vorteilhaft von manchen andern, die es
darauf anzulegen scheinen, die dem Lehrer gestellte Aufgabe immer schwieriger
und verwickelter zu machen. Dagegen zieht sich dnrch Jägers Buch der Ge-


Lehrkunst mit Lehrhandiverk

Den hier in wenigen flüchtigen Strichen gezeichneten Mißständen tritt
Jägers Buch mit der Entschlossenheit und der freimütiger Sprache eines
Mannes entgegen, der eine gute und ihm teure Sache gefährdet sieht. Aber
so sehr auch den Leser in den der Verteidigung und Notwehr gewidmeten
Sätzen die meisterhaft geführte Klinge des Witzes entzückt, so liegt doch der
Schwerpunkt des Buches keineswegs in der Kritik. In seinen wesentlichen
Abschnitten ist es nämlich aus Vorträgen erwachsen, die der Verfasser in den
letzten sieben Jahren in dem unter seiner Leitung stehenden Seminar gehalten
hat. Wohl hält er es sür seine Pflicht, die ihm anvertrauten Kandidaten
nicht mit verbundnen Angen an den ihnen bevorstehenden Gefahren vorbei¬
zuführen, sondern diese vorbeugend, „prophylaktisch," wie die Ärzte sagen, zu
bekämpfen, aber seine Hauptaufgabe sieht er darin, die künftigen Lehrer über
Wesen und Bedeutung des Gymnasialunterrichts aufzuklären und sie zu einer
hohen Auffassung ihres Berufes, seiner Würde und seiner Pflichten zu führen.

Das Buch besteht aus drei Abschnitten, von denen der erste die Bedeutung,
die Aufgaben und die Methode jedes Unterrichtsfaches in den Klassen Sexta
bis Untersekunda erörtert. Ein besondrer Wert dieser Erörterungen liegt in
der großen Zahl der packenden, aus dem Schullebeu gegrisfnen Beispiele, an
denen der Verfasser seine Lehren veranschaulicht. Für die drei Oberklassen
hat er eine andre Einteilung gewählt, indem er die verschiednen Lehrfächer
nicht nach Klassen geschieden, sondern zusammenhängend sür die ganze Ober¬
stufe bespricht. Zwischen diese beiden Abschnitte des Buches schiebt sich als
selbständiger dritter Teil die Erörterung einiger wichtiger Grundbegriffe der
Pädagogik. Diese Anordnung rechtfertigt sich aus praktischen Erwägungen,
weil sie einem natürlichen und zweckmüßigen Gang der Seminarunterweisungen
am ehesten entsprechen dürfte. Überdies wollte Jäger zeigen, wie er selbst bei
der Ausbildung der Kandidaten ans Werk geht, und aus diesem Grunde hat
er auch die Form von Borträgen beibehalten. Damit hat er einen Meistergriff
gethan, nicht nur weil infolgedessen seinem Buche die Frische des gesprochnen
Wortes geblieben ist, sondern anch deshalb, weil die Form der vertraulichen
Aussprache inwr pMistss es dem Verfasser leichter gemacht hat, allerhand heikle
Dinge, z. B. gewisse Irrungen und Schwächen der Schulbehörden, mit behag¬
lichem Freimut zu erörtern.

In den vorwiegend didaktischen Abschnitten fließt auch dem erfahrnen
Lehrer eine reiche Quelle der Anregung und Belehrung. Die Art, wie der
aus einer ungewöhnlichen Fülle der Erfahrung und des Nachdenkens schöpfende
Verfasser überall mit sicherm Griff den Kern der Sache heraushebt und das,
worauf es ankommt, in durchsichtiger Klarheit vorträgt, ist ein weiterer Vor¬
zug des Buches und unterscheidet es vorteilhaft von manchen andern, die es
darauf anzulegen scheinen, die dem Lehrer gestellte Aufgabe immer schwieriger
und verwickelter zu machen. Dagegen zieht sich dnrch Jägers Buch der Ge-


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[0626] Lehrkunst mit Lehrhandiverk Den hier in wenigen flüchtigen Strichen gezeichneten Mißständen tritt Jägers Buch mit der Entschlossenheit und der freimütiger Sprache eines Mannes entgegen, der eine gute und ihm teure Sache gefährdet sieht. Aber so sehr auch den Leser in den der Verteidigung und Notwehr gewidmeten Sätzen die meisterhaft geführte Klinge des Witzes entzückt, so liegt doch der Schwerpunkt des Buches keineswegs in der Kritik. In seinen wesentlichen Abschnitten ist es nämlich aus Vorträgen erwachsen, die der Verfasser in den letzten sieben Jahren in dem unter seiner Leitung stehenden Seminar gehalten hat. Wohl hält er es sür seine Pflicht, die ihm anvertrauten Kandidaten nicht mit verbundnen Angen an den ihnen bevorstehenden Gefahren vorbei¬ zuführen, sondern diese vorbeugend, „prophylaktisch," wie die Ärzte sagen, zu bekämpfen, aber seine Hauptaufgabe sieht er darin, die künftigen Lehrer über Wesen und Bedeutung des Gymnasialunterrichts aufzuklären und sie zu einer hohen Auffassung ihres Berufes, seiner Würde und seiner Pflichten zu führen. Das Buch besteht aus drei Abschnitten, von denen der erste die Bedeutung, die Aufgaben und die Methode jedes Unterrichtsfaches in den Klassen Sexta bis Untersekunda erörtert. Ein besondrer Wert dieser Erörterungen liegt in der großen Zahl der packenden, aus dem Schullebeu gegrisfnen Beispiele, an denen der Verfasser seine Lehren veranschaulicht. Für die drei Oberklassen hat er eine andre Einteilung gewählt, indem er die verschiednen Lehrfächer nicht nach Klassen geschieden, sondern zusammenhängend sür die ganze Ober¬ stufe bespricht. Zwischen diese beiden Abschnitte des Buches schiebt sich als selbständiger dritter Teil die Erörterung einiger wichtiger Grundbegriffe der Pädagogik. Diese Anordnung rechtfertigt sich aus praktischen Erwägungen, weil sie einem natürlichen und zweckmüßigen Gang der Seminarunterweisungen am ehesten entsprechen dürfte. Überdies wollte Jäger zeigen, wie er selbst bei der Ausbildung der Kandidaten ans Werk geht, und aus diesem Grunde hat er auch die Form von Borträgen beibehalten. Damit hat er einen Meistergriff gethan, nicht nur weil infolgedessen seinem Buche die Frische des gesprochnen Wortes geblieben ist, sondern anch deshalb, weil die Form der vertraulichen Aussprache inwr pMistss es dem Verfasser leichter gemacht hat, allerhand heikle Dinge, z. B. gewisse Irrungen und Schwächen der Schulbehörden, mit behag¬ lichem Freimut zu erörtern. In den vorwiegend didaktischen Abschnitten fließt auch dem erfahrnen Lehrer eine reiche Quelle der Anregung und Belehrung. Die Art, wie der aus einer ungewöhnlichen Fülle der Erfahrung und des Nachdenkens schöpfende Verfasser überall mit sicherm Griff den Kern der Sache heraushebt und das, worauf es ankommt, in durchsichtiger Klarheit vorträgt, ist ein weiterer Vor¬ zug des Buches und unterscheidet es vorteilhaft von manchen andern, die es darauf anzulegen scheinen, die dem Lehrer gestellte Aufgabe immer schwieriger und verwickelter zu machen. Dagegen zieht sich dnrch Jägers Buch der Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/626>, abgerufen am 26.06.2024.