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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Lehrkunst und Lehrhandwerk

Stückzahl der zur Versendung gekommnen Gegenstände festzustellen, hätte man
dann nur nötig, die Postivertzeichenstatistik einzusehen. Ein ganz genaues
Ergebnis würde freilich auch auf diese Weise nicht erreicht werden, aber es
würden doch wenigstens brauchbare Zahlen sein.




Lehrkunst und Lehrhandwerk

ndem ich mich anschicke, in diesen Blättern über Oskar Jägers
neuestes pädagogisches Buch zu berichten,^) verspüre ich etwas
von jener Stimmung, in die wir zu geraten Pflegen, wenn wir
alten Freunden eine gute Neuigkeit erzählen. Den Lesern der
Grenzboten ist der Altmeister der rheinischen Pädagogen, der in
dem Kampf um die höhere Schule fast seit drei Jahrzehnten in der vordersten
Reihe steht, kein Fremder. Ich wende mich deshalb ohne weitere Einleitung
zur Sache. Jägers "Lehrkunst und Lehrhandwerk" bedeutet nicht nur für die
pädagogische Welt in Deutschland ein Ereignis, sondern verdient auch außer¬
halb der Lehrzunft gelesen und beherzigt zu werden. Daß in der Oekonomie der
deutschen Wissenschaft die Felder der Pädagogik und der Didaktik mit besondrer
Gründlichkeit beackert werden, ist bekannt, und der Ertrag dieser Arbeit ist ii?
langen Reihen dick- und dünnleibiger Bände aufgespeichert. Aber Überproduktion
ist nicht nur der Landwirtschaft und der Industrie gefährlich, sondern auch
in den Wissenschaften steht der Wert mitunter in einem umgekehrten Verhältnis
zu der Menge der auf den Markt gebrachten Ware. Wahrend die Bibliothek-
Verwalter ranmsuchend und ratlos vor der sich nimmer erschöpfenden Hochflut
des pädagogischen Druckwcrks stehen, droht dieses durch seine erstickende
Mannhaftigkeit auch außerhalb der Büchersäle Schaden anzurichten. Vor
allem bei denen, zu deren Nutz und Frommen es bestimmt ist, bei den Lehrern.
Wenn diese auch nur den zehnten Teil von dem lesen wollten, was schreib¬
selige Jünger der Pädagogik -- auserwählte, berufne und ach! auch unberufne --
drucken lassen, so bliebe ihnen keine Zeit sür das, was dein Lehrer vor allem
not thut, wenn er seinen Unterricht vor Verflachung und sich selbst vor Ver-
knöcherung bewahren will. Die geheime Kraft, die nach einem von Jäger in
Umlauf gesetzten Ausdruck den Lehrer vom Stundengeber unterscheidet, können
ihm Pädagogik und Didaktik allein nicht verleihen, sondern dazu bedarf es



") Lehrkunst und Lehrhandwert, von Oskar Jäger ".Verlag von Kurzes Nach¬
folger in Wiesbaden).
Lehrkunst und Lehrhandwerk

Stückzahl der zur Versendung gekommnen Gegenstände festzustellen, hätte man
dann nur nötig, die Postivertzeichenstatistik einzusehen. Ein ganz genaues
Ergebnis würde freilich auch auf diese Weise nicht erreicht werden, aber es
würden doch wenigstens brauchbare Zahlen sein.




Lehrkunst und Lehrhandwerk

ndem ich mich anschicke, in diesen Blättern über Oskar Jägers
neuestes pädagogisches Buch zu berichten,^) verspüre ich etwas
von jener Stimmung, in die wir zu geraten Pflegen, wenn wir
alten Freunden eine gute Neuigkeit erzählen. Den Lesern der
Grenzboten ist der Altmeister der rheinischen Pädagogen, der in
dem Kampf um die höhere Schule fast seit drei Jahrzehnten in der vordersten
Reihe steht, kein Fremder. Ich wende mich deshalb ohne weitere Einleitung
zur Sache. Jägers „Lehrkunst und Lehrhandwerk" bedeutet nicht nur für die
pädagogische Welt in Deutschland ein Ereignis, sondern verdient auch außer¬
halb der Lehrzunft gelesen und beherzigt zu werden. Daß in der Oekonomie der
deutschen Wissenschaft die Felder der Pädagogik und der Didaktik mit besondrer
Gründlichkeit beackert werden, ist bekannt, und der Ertrag dieser Arbeit ist ii?
langen Reihen dick- und dünnleibiger Bände aufgespeichert. Aber Überproduktion
ist nicht nur der Landwirtschaft und der Industrie gefährlich, sondern auch
in den Wissenschaften steht der Wert mitunter in einem umgekehrten Verhältnis
zu der Menge der auf den Markt gebrachten Ware. Wahrend die Bibliothek-
Verwalter ranmsuchend und ratlos vor der sich nimmer erschöpfenden Hochflut
des pädagogischen Druckwcrks stehen, droht dieses durch seine erstickende
Mannhaftigkeit auch außerhalb der Büchersäle Schaden anzurichten. Vor
allem bei denen, zu deren Nutz und Frommen es bestimmt ist, bei den Lehrern.
Wenn diese auch nur den zehnten Teil von dem lesen wollten, was schreib¬
selige Jünger der Pädagogik — auserwählte, berufne und ach! auch unberufne —
drucken lassen, so bliebe ihnen keine Zeit sür das, was dein Lehrer vor allem
not thut, wenn er seinen Unterricht vor Verflachung und sich selbst vor Ver-
knöcherung bewahren will. Die geheime Kraft, die nach einem von Jäger in
Umlauf gesetzten Ausdruck den Lehrer vom Stundengeber unterscheidet, können
ihm Pädagogik und Didaktik allein nicht verleihen, sondern dazu bedarf es



«) Lehrkunst und Lehrhandwert, von Oskar Jäger «.Verlag von Kurzes Nach¬
folger in Wiesbaden).
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[0624] Lehrkunst und Lehrhandwerk Stückzahl der zur Versendung gekommnen Gegenstände festzustellen, hätte man dann nur nötig, die Postivertzeichenstatistik einzusehen. Ein ganz genaues Ergebnis würde freilich auch auf diese Weise nicht erreicht werden, aber es würden doch wenigstens brauchbare Zahlen sein. Lehrkunst und Lehrhandwerk ndem ich mich anschicke, in diesen Blättern über Oskar Jägers neuestes pädagogisches Buch zu berichten,^) verspüre ich etwas von jener Stimmung, in die wir zu geraten Pflegen, wenn wir alten Freunden eine gute Neuigkeit erzählen. Den Lesern der Grenzboten ist der Altmeister der rheinischen Pädagogen, der in dem Kampf um die höhere Schule fast seit drei Jahrzehnten in der vordersten Reihe steht, kein Fremder. Ich wende mich deshalb ohne weitere Einleitung zur Sache. Jägers „Lehrkunst und Lehrhandwerk" bedeutet nicht nur für die pädagogische Welt in Deutschland ein Ereignis, sondern verdient auch außer¬ halb der Lehrzunft gelesen und beherzigt zu werden. Daß in der Oekonomie der deutschen Wissenschaft die Felder der Pädagogik und der Didaktik mit besondrer Gründlichkeit beackert werden, ist bekannt, und der Ertrag dieser Arbeit ist ii? langen Reihen dick- und dünnleibiger Bände aufgespeichert. Aber Überproduktion ist nicht nur der Landwirtschaft und der Industrie gefährlich, sondern auch in den Wissenschaften steht der Wert mitunter in einem umgekehrten Verhältnis zu der Menge der auf den Markt gebrachten Ware. Wahrend die Bibliothek- Verwalter ranmsuchend und ratlos vor der sich nimmer erschöpfenden Hochflut des pädagogischen Druckwcrks stehen, droht dieses durch seine erstickende Mannhaftigkeit auch außerhalb der Büchersäle Schaden anzurichten. Vor allem bei denen, zu deren Nutz und Frommen es bestimmt ist, bei den Lehrern. Wenn diese auch nur den zehnten Teil von dem lesen wollten, was schreib¬ selige Jünger der Pädagogik — auserwählte, berufne und ach! auch unberufne — drucken lassen, so bliebe ihnen keine Zeit sür das, was dein Lehrer vor allem not thut, wenn er seinen Unterricht vor Verflachung und sich selbst vor Ver- knöcherung bewahren will. Die geheime Kraft, die nach einem von Jäger in Umlauf gesetzten Ausdruck den Lehrer vom Stundengeber unterscheidet, können ihm Pädagogik und Didaktik allein nicht verleihen, sondern dazu bedarf es «) Lehrkunst und Lehrhandwert, von Oskar Jäger «.Verlag von Kurzes Nach¬ folger in Wiesbaden).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/624>, abgerufen am 26.06.2024.