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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die Briefstatistik der deutschen Reichspost

die Zahl der beförderten Briefsendungen um mindestens 500 Millionen über¬
treibt. Besonders sei noch darauf aufmerksam gemacht, daß den in der Statistik
beigebrachten Zahlen über die beförderten Briefe im Gewichte von mehr als
15 Gramm und solche unter 15 Gramm nicht der geringste Wert beizulegen ist.

Nun wird mancher fragen, wie es denn möglich sei, daß dem Publikum
Zahlen vorgeführt werden, die den thatsächlichen Verhältnissen in keiner Weise
entsprechen. Das ist mir auch rätselhaft. Es giebt wohl kaum einen Post¬
beamten, der nicht von dem Unwerte des gewonnenen statistischen Materials
überzeugt wäre, wenn er das Briefzählen mit durchgemacht hat. Ich habe
mit einer großen Anzahl von Beamten im praktischen Dienste und von solchen
im Aufsichts- und Verwaltnngsdienste darüber gesprochen: von allen habe ich
dasselbe vernichtende Urteil gehört. Und doch hat sich bisher keiner öffentlich
oder auf dienstlichen Wege gegen diese Briefstatistik gewendet. Gewiß ist dies
nur aus Pietät gegen unsern allverehrten frühern Staatssekretär geschehen, der
es liebte, dem Reichstage Zahlen vorzulegen, und der diese Zahlen auch
zweifellos für richtig hielt. Jetzt dürfte es aber doch Wohl an der Zeit sein,
mit dieser Briefzählungsweise zu brechen. Vielleicht ist unter der Flut von
Verbesserungsvorschlägen, die über den jetzigen Staatssekretär hereingebrochen
ist, und der er sehr geschickt durch Verweisung auf den Dienstweg einen Damm
entgegengestellt hat, auch einer gewesen, der den hier gerügten Übelstand betraf,
vielleicht hat man schon auf Abhilfe gesonnen und einen Weg dazu gefunden.
Dann war mein Aufsatz überflüssig. Wenn nicht, dann regen vielleicht diese
Zeilen den einen oder andern der Herren Postbeamten in den höhern Ver¬
waltungsstellen dazu an, auf eine Verbesserung zu sinnen; ich halte mich nicht
für berufen dazu. Damit man aber nicht sage, ich wolle nur kritisiren, so
will ich einen Vorschlag machen. Kann man sich nicht entschließen, jene
Summen anders als durch wirkliches Zählen festzustellen, so unterlasse man
die Erhebung ganz; denn die Arbeit, die zu dem Zählen der Briefe nötig
wäre (man dürfte es natürlich nicht auf zweimal sieben Tage im Jahre
beschränken, sondern müßte es auf einen weit größern Zeitraum ausdehnen),
steht in gar keinem Verhältnis zu dem Werte dieser statistischen Angaben. Ans
andre Weise als durch Zählen würde sich die Summe der in jedem Jahre
versandten Drucksachen, Briefe, Einschreibbriefe, Postaufträge am leichtesten
dadurch ergeben, daß für jede dieser Arten von Sendungen besondre Marken
(etwa durch Ausdruck von "Drucksache" für solche vou Drucksachensendungen)
hergestellt würden lind selbstverständlich in solchen Werten, daß zur Frankirnng
einer Sendung nur eine Marke verwendet zu werden brauchte. Neben der
kleinen Unbequemlichkeit für das Publikum, für jede Art von Briefsendungen
besondre Marken kaufen zu müssen, hätte ein solches Verfahren auch seine
Vorteile: der Ausdruck oder die Aufschrift "Drucksache" aus die Sendung, die
Vermerke .einschreiben," "Postauftrag" n. a. könnten wegfallen. Um die


Die Briefstatistik der deutschen Reichspost

die Zahl der beförderten Briefsendungen um mindestens 500 Millionen über¬
treibt. Besonders sei noch darauf aufmerksam gemacht, daß den in der Statistik
beigebrachten Zahlen über die beförderten Briefe im Gewichte von mehr als
15 Gramm und solche unter 15 Gramm nicht der geringste Wert beizulegen ist.

Nun wird mancher fragen, wie es denn möglich sei, daß dem Publikum
Zahlen vorgeführt werden, die den thatsächlichen Verhältnissen in keiner Weise
entsprechen. Das ist mir auch rätselhaft. Es giebt wohl kaum einen Post¬
beamten, der nicht von dem Unwerte des gewonnenen statistischen Materials
überzeugt wäre, wenn er das Briefzählen mit durchgemacht hat. Ich habe
mit einer großen Anzahl von Beamten im praktischen Dienste und von solchen
im Aufsichts- und Verwaltnngsdienste darüber gesprochen: von allen habe ich
dasselbe vernichtende Urteil gehört. Und doch hat sich bisher keiner öffentlich
oder auf dienstlichen Wege gegen diese Briefstatistik gewendet. Gewiß ist dies
nur aus Pietät gegen unsern allverehrten frühern Staatssekretär geschehen, der
es liebte, dem Reichstage Zahlen vorzulegen, und der diese Zahlen auch
zweifellos für richtig hielt. Jetzt dürfte es aber doch Wohl an der Zeit sein,
mit dieser Briefzählungsweise zu brechen. Vielleicht ist unter der Flut von
Verbesserungsvorschlägen, die über den jetzigen Staatssekretär hereingebrochen
ist, und der er sehr geschickt durch Verweisung auf den Dienstweg einen Damm
entgegengestellt hat, auch einer gewesen, der den hier gerügten Übelstand betraf,
vielleicht hat man schon auf Abhilfe gesonnen und einen Weg dazu gefunden.
Dann war mein Aufsatz überflüssig. Wenn nicht, dann regen vielleicht diese
Zeilen den einen oder andern der Herren Postbeamten in den höhern Ver¬
waltungsstellen dazu an, auf eine Verbesserung zu sinnen; ich halte mich nicht
für berufen dazu. Damit man aber nicht sage, ich wolle nur kritisiren, so
will ich einen Vorschlag machen. Kann man sich nicht entschließen, jene
Summen anders als durch wirkliches Zählen festzustellen, so unterlasse man
die Erhebung ganz; denn die Arbeit, die zu dem Zählen der Briefe nötig
wäre (man dürfte es natürlich nicht auf zweimal sieben Tage im Jahre
beschränken, sondern müßte es auf einen weit größern Zeitraum ausdehnen),
steht in gar keinem Verhältnis zu dem Werte dieser statistischen Angaben. Ans
andre Weise als durch Zählen würde sich die Summe der in jedem Jahre
versandten Drucksachen, Briefe, Einschreibbriefe, Postaufträge am leichtesten
dadurch ergeben, daß für jede dieser Arten von Sendungen besondre Marken
(etwa durch Ausdruck von „Drucksache" für solche vou Drucksachensendungen)
hergestellt würden lind selbstverständlich in solchen Werten, daß zur Frankirnng
einer Sendung nur eine Marke verwendet zu werden brauchte. Neben der
kleinen Unbequemlichkeit für das Publikum, für jede Art von Briefsendungen
besondre Marken kaufen zu müssen, hätte ein solches Verfahren auch seine
Vorteile: der Ausdruck oder die Aufschrift „Drucksache" aus die Sendung, die
Vermerke .einschreiben," „Postauftrag" n. a. könnten wegfallen. Um die


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[0623] Die Briefstatistik der deutschen Reichspost die Zahl der beförderten Briefsendungen um mindestens 500 Millionen über¬ treibt. Besonders sei noch darauf aufmerksam gemacht, daß den in der Statistik beigebrachten Zahlen über die beförderten Briefe im Gewichte von mehr als 15 Gramm und solche unter 15 Gramm nicht der geringste Wert beizulegen ist. Nun wird mancher fragen, wie es denn möglich sei, daß dem Publikum Zahlen vorgeführt werden, die den thatsächlichen Verhältnissen in keiner Weise entsprechen. Das ist mir auch rätselhaft. Es giebt wohl kaum einen Post¬ beamten, der nicht von dem Unwerte des gewonnenen statistischen Materials überzeugt wäre, wenn er das Briefzählen mit durchgemacht hat. Ich habe mit einer großen Anzahl von Beamten im praktischen Dienste und von solchen im Aufsichts- und Verwaltnngsdienste darüber gesprochen: von allen habe ich dasselbe vernichtende Urteil gehört. Und doch hat sich bisher keiner öffentlich oder auf dienstlichen Wege gegen diese Briefstatistik gewendet. Gewiß ist dies nur aus Pietät gegen unsern allverehrten frühern Staatssekretär geschehen, der es liebte, dem Reichstage Zahlen vorzulegen, und der diese Zahlen auch zweifellos für richtig hielt. Jetzt dürfte es aber doch Wohl an der Zeit sein, mit dieser Briefzählungsweise zu brechen. Vielleicht ist unter der Flut von Verbesserungsvorschlägen, die über den jetzigen Staatssekretär hereingebrochen ist, und der er sehr geschickt durch Verweisung auf den Dienstweg einen Damm entgegengestellt hat, auch einer gewesen, der den hier gerügten Übelstand betraf, vielleicht hat man schon auf Abhilfe gesonnen und einen Weg dazu gefunden. Dann war mein Aufsatz überflüssig. Wenn nicht, dann regen vielleicht diese Zeilen den einen oder andern der Herren Postbeamten in den höhern Ver¬ waltungsstellen dazu an, auf eine Verbesserung zu sinnen; ich halte mich nicht für berufen dazu. Damit man aber nicht sage, ich wolle nur kritisiren, so will ich einen Vorschlag machen. Kann man sich nicht entschließen, jene Summen anders als durch wirkliches Zählen festzustellen, so unterlasse man die Erhebung ganz; denn die Arbeit, die zu dem Zählen der Briefe nötig wäre (man dürfte es natürlich nicht auf zweimal sieben Tage im Jahre beschränken, sondern müßte es auf einen weit größern Zeitraum ausdehnen), steht in gar keinem Verhältnis zu dem Werte dieser statistischen Angaben. Ans andre Weise als durch Zählen würde sich die Summe der in jedem Jahre versandten Drucksachen, Briefe, Einschreibbriefe, Postaufträge am leichtesten dadurch ergeben, daß für jede dieser Arten von Sendungen besondre Marken (etwa durch Ausdruck von „Drucksache" für solche vou Drucksachensendungen) hergestellt würden lind selbstverständlich in solchen Werten, daß zur Frankirnng einer Sendung nur eine Marke verwendet zu werden brauchte. Neben der kleinen Unbequemlichkeit für das Publikum, für jede Art von Briefsendungen besondre Marken kaufen zu müssen, hätte ein solches Verfahren auch seine Vorteile: der Ausdruck oder die Aufschrift „Drucksache" aus die Sendung, die Vermerke .einschreiben," „Postauftrag" n. a. könnten wegfallen. Um die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/623>, abgerufen am 26.06.2024.