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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zur Weihnachtszeit

Lächeln, daß ihr die Herren willkommen wären, und damit war die Sache in
Ordnung.

Rask stand im Hintergründe des Zimmers am Klavier und parlamentirte mit
Anna; wie ich hörte, bat er sie zu singen, aber sie machte allerlei Einwendungen.
Das wunderte mich, denn Anna singt sonst ohne Schwierigkeiten zu machen, sobald
sie jemand dumm bittet, und sie singt obendrein gut, ihre Stimme hat zwar keinen
großen Umfang, sie ist aber wirklich musikalisch und legt stets ihre ganze Seele in
den Gesang, sodaß man hören kann, daß sie ganz dabei ist.

Ach, nur ein einziges Lied, bat er; ich habe Sie ja noch niemals singen
hören!

Nein, ich kaun heute abend wirklich nicht singen, sie müssen mich nicht darum
bitte", erwiderte sie. Spielen will ich gern, aber nur nicht singen!

Nun fuhr er natürlich erst recht fort, sie zu quälen, und schließlich setzte sie
sich denn auch hiu, schlug ein paar Akkorde um und fing an zu singen:

um das Lied hatte er sie besonders gebeten.

Anfangs gings auch ganz gut, aber als sie an den Schluß des Verses kam,
mitten in den Zeilen:

da war es plötzlich, als zerrisse etwas in ihrer Stimme -- ich weiß uicht, wie
ich mich anders ausdrücken soll --, und statt des Tones kam ein heiserer Laut.

Sie sprang hastig ans und warf kurz hin: Ich wußte es ja, ich kann heute
nicht singen, am allerwenigsten das Lied. Dann brach sie in Thränen ans und
stürzte hinaus, die Mutter hinterdrein.

Nach einer Weile kehrte Frau Holgersen zurück und sagte ruhig, es wäre nur
ein nervöser Anfall, der um nächsten Tage gewiß völlig überwunden sein würde.
Bald darauf empfahl sich Rask, den Holgerseu während der Abwesenheit seiner
Frau aufgefordert hatte, an dem Jngdnusflng teilzunehmen.

Wir drei Alten blieben noch ein wenig bei einer Cigarre und einem kalten
Whisky -- dem Lieblingsgetränk des Majors -- zusammen, aber schließlich brachen
auch wir auf. Gute Besserung für Anna! sagte ich.

Vielen Dank, ach das hat wohl keine Not, erwiderte Holgersen, es war freilich
sonderbar, daß sie so plötzlich mitten im Ton abschnappte. Sie gefällt mir gar
nicht recht in letzter Zeit!

Was fehlt ihr denn?

Ach, ich weiß es nicht, aber Rask hat dem Mädchen wohl etwas die Conr
gemacht, wie wir es in unsern jungen Tagen nannten, und ich glaube anch, daß
sie -- aber in der letzten Zeit ist er gleichsam vor sich selber oder anch vor ihr
bange geworden, und das nimmt sie sich offenbar zu Herzen. Man muß wohl ver¬
suchen, ihnen ein wenig auf die Sprünge zu helfen.

Wenn du das doch nur lassen wolltest, das wäre viel besser! sagte Frau
holgersen, die herzugekommen war und die letzten Worte gehört hatte. Das wäre
das Allerverkehrteste, was du thun konntest!

Ja, ich habe mir deine Abwesenheit schon zu nutze gemacht und Rask zu der
Fahrt nach Schweden eingeladen, erwiderte Holgersen, der offenbar froh war, dieses
Geständnis ablegen zu können, solange noch andre im Zimmer waren.


Zur Weihnachtszeit

Lächeln, daß ihr die Herren willkommen wären, und damit war die Sache in
Ordnung.

Rask stand im Hintergründe des Zimmers am Klavier und parlamentirte mit
Anna; wie ich hörte, bat er sie zu singen, aber sie machte allerlei Einwendungen.
Das wunderte mich, denn Anna singt sonst ohne Schwierigkeiten zu machen, sobald
sie jemand dumm bittet, und sie singt obendrein gut, ihre Stimme hat zwar keinen
großen Umfang, sie ist aber wirklich musikalisch und legt stets ihre ganze Seele in
den Gesang, sodaß man hören kann, daß sie ganz dabei ist.

Ach, nur ein einziges Lied, bat er; ich habe Sie ja noch niemals singen
hören!

Nein, ich kaun heute abend wirklich nicht singen, sie müssen mich nicht darum
bitte«, erwiderte sie. Spielen will ich gern, aber nur nicht singen!

Nun fuhr er natürlich erst recht fort, sie zu quälen, und schließlich setzte sie
sich denn auch hiu, schlug ein paar Akkorde um und fing an zu singen:

um das Lied hatte er sie besonders gebeten.

Anfangs gings auch ganz gut, aber als sie an den Schluß des Verses kam,
mitten in den Zeilen:

da war es plötzlich, als zerrisse etwas in ihrer Stimme — ich weiß uicht, wie
ich mich anders ausdrücken soll —, und statt des Tones kam ein heiserer Laut.

Sie sprang hastig ans und warf kurz hin: Ich wußte es ja, ich kann heute
nicht singen, am allerwenigsten das Lied. Dann brach sie in Thränen ans und
stürzte hinaus, die Mutter hinterdrein.

Nach einer Weile kehrte Frau Holgersen zurück und sagte ruhig, es wäre nur
ein nervöser Anfall, der um nächsten Tage gewiß völlig überwunden sein würde.
Bald darauf empfahl sich Rask, den Holgerseu während der Abwesenheit seiner
Frau aufgefordert hatte, an dem Jngdnusflng teilzunehmen.

Wir drei Alten blieben noch ein wenig bei einer Cigarre und einem kalten
Whisky — dem Lieblingsgetränk des Majors — zusammen, aber schließlich brachen
auch wir auf. Gute Besserung für Anna! sagte ich.

Vielen Dank, ach das hat wohl keine Not, erwiderte Holgersen, es war freilich
sonderbar, daß sie so plötzlich mitten im Ton abschnappte. Sie gefällt mir gar
nicht recht in letzter Zeit!

Was fehlt ihr denn?

Ach, ich weiß es nicht, aber Rask hat dem Mädchen wohl etwas die Conr
gemacht, wie wir es in unsern jungen Tagen nannten, und ich glaube anch, daß
sie — aber in der letzten Zeit ist er gleichsam vor sich selber oder anch vor ihr
bange geworden, und das nimmt sie sich offenbar zu Herzen. Man muß wohl ver¬
suchen, ihnen ein wenig auf die Sprünge zu helfen.

Wenn du das doch nur lassen wolltest, das wäre viel besser! sagte Frau
holgersen, die herzugekommen war und die letzten Worte gehört hatte. Das wäre
das Allerverkehrteste, was du thun konntest!

Ja, ich habe mir deine Abwesenheit schon zu nutze gemacht und Rask zu der
Fahrt nach Schweden eingeladen, erwiderte Holgersen, der offenbar froh war, dieses
Geständnis ablegen zu können, solange noch andre im Zimmer waren.


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[0605] Zur Weihnachtszeit Lächeln, daß ihr die Herren willkommen wären, und damit war die Sache in Ordnung. Rask stand im Hintergründe des Zimmers am Klavier und parlamentirte mit Anna; wie ich hörte, bat er sie zu singen, aber sie machte allerlei Einwendungen. Das wunderte mich, denn Anna singt sonst ohne Schwierigkeiten zu machen, sobald sie jemand dumm bittet, und sie singt obendrein gut, ihre Stimme hat zwar keinen großen Umfang, sie ist aber wirklich musikalisch und legt stets ihre ganze Seele in den Gesang, sodaß man hören kann, daß sie ganz dabei ist. Ach, nur ein einziges Lied, bat er; ich habe Sie ja noch niemals singen hören! Nein, ich kaun heute abend wirklich nicht singen, sie müssen mich nicht darum bitte«, erwiderte sie. Spielen will ich gern, aber nur nicht singen! Nun fuhr er natürlich erst recht fort, sie zu quälen, und schließlich setzte sie sich denn auch hiu, schlug ein paar Akkorde um und fing an zu singen: um das Lied hatte er sie besonders gebeten. Anfangs gings auch ganz gut, aber als sie an den Schluß des Verses kam, mitten in den Zeilen: da war es plötzlich, als zerrisse etwas in ihrer Stimme — ich weiß uicht, wie ich mich anders ausdrücken soll —, und statt des Tones kam ein heiserer Laut. Sie sprang hastig ans und warf kurz hin: Ich wußte es ja, ich kann heute nicht singen, am allerwenigsten das Lied. Dann brach sie in Thränen ans und stürzte hinaus, die Mutter hinterdrein. Nach einer Weile kehrte Frau Holgersen zurück und sagte ruhig, es wäre nur ein nervöser Anfall, der um nächsten Tage gewiß völlig überwunden sein würde. Bald darauf empfahl sich Rask, den Holgerseu während der Abwesenheit seiner Frau aufgefordert hatte, an dem Jngdnusflng teilzunehmen. Wir drei Alten blieben noch ein wenig bei einer Cigarre und einem kalten Whisky — dem Lieblingsgetränk des Majors — zusammen, aber schließlich brachen auch wir auf. Gute Besserung für Anna! sagte ich. Vielen Dank, ach das hat wohl keine Not, erwiderte Holgersen, es war freilich sonderbar, daß sie so plötzlich mitten im Ton abschnappte. Sie gefällt mir gar nicht recht in letzter Zeit! Was fehlt ihr denn? Ach, ich weiß es nicht, aber Rask hat dem Mädchen wohl etwas die Conr gemacht, wie wir es in unsern jungen Tagen nannten, und ich glaube anch, daß sie — aber in der letzten Zeit ist er gleichsam vor sich selber oder anch vor ihr bange geworden, und das nimmt sie sich offenbar zu Herzen. Man muß wohl ver¬ suchen, ihnen ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Wenn du das doch nur lassen wolltest, das wäre viel besser! sagte Frau holgersen, die herzugekommen war und die letzten Worte gehört hatte. Das wäre das Allerverkehrteste, was du thun konntest! Ja, ich habe mir deine Abwesenheit schon zu nutze gemacht und Rask zu der Fahrt nach Schweden eingeladen, erwiderte Holgersen, der offenbar froh war, dieses Geständnis ablegen zu können, solange noch andre im Zimmer waren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/605>, abgerufen am 26.06.2024.