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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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panisens Geschichte des gelehrten Unterrichts

le zweite Auflage des zuerst 1884 erschienenen, längst als eine
bedeutende wissenschaftliche Leistung allgemein anerkannten und
vielbesprochen Buches") ist in der That ein neues Werk, fast
um das Doppelte seines Umfanges gewachsen, in allen seinen
Teilen beträchtlich erweitert und in den Schlußkapiteln fast ganz
neu. Die Grundanschauungen des Verfassers und die Tendenz -- denn ein
Tendenzbuch ist es -- sind aber dieselben geblieben, und sie treten beide be¬
sonders in den letzten wesentlich neuen Kapiteln sehr scharf hervor. Paulsen
sieht den Grundfehler des bestehenden Zustandes auch nach den neuesten Unter¬
richtsreformen im Anfange der neunziger Jahre in dem "Gymnasialmonopol,"
d. h. in dem (übrigens keineswegs unbeschränkten) Alleinrechte der humani¬
stischen Gymnasien auf die Vorbereitung zur Universität, sodaß es thatsächlich
in dieser Beziehung eine Art von "Einheitsschule" darstellt. Daraus folgt
der "Utraquismus," d. h. die Verbindung der sprachlich-historischen und der
mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer mit der Forderung an die Schüler,
in beiden so sehr verschiednen Gruppen von Unterrichtsgegenständen möglichst
Gleichmäßiges zu leisten, und daraus wieder die "Überbürdung" nicht gerade
mit einem Übermaß von Arbeit, wohl aber mit einem zerstreuenden und ab¬
stumpfenden Vielerlei von Arbeiten. Das alles führt denn nun zu einer ganz
bestimmten, jede Freiheit der Bewegung vernichtenden Abmessung der Perser
und einem Übermaß von Prüfungen, die wieder auf das "Einpauker" hin¬
drängen; und da der auf die Fakultätsstudien vorbereitende Unterricht der
frühern artistischen (philosophischen) Fakultät längst der Schule zugewiesen
worden ist, so werden die jungen Leute zu lange auf dieser festgehalten und
empfinden die Übelstände umso schwerer. Paulsen geht uun von der Grund¬
anschauung aus. daß das klassische Altertum trotz seiner Wiederbelebung durch
den "Neuhumanismus" seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts immer mehr
an Geltung für unsre Kultur verloren habe. Die Klassiker sind für uns nicht



(beschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten
vom Ausgange des Mittelalters bis zur Gegenwart. Von Friedrich Paulsen, Zweite Auf¬
lage. 2 Bände. Leipzig, Veit u. Comp., 1S9ö, 1897.


panisens Geschichte des gelehrten Unterrichts

le zweite Auflage des zuerst 1884 erschienenen, längst als eine
bedeutende wissenschaftliche Leistung allgemein anerkannten und
vielbesprochen Buches") ist in der That ein neues Werk, fast
um das Doppelte seines Umfanges gewachsen, in allen seinen
Teilen beträchtlich erweitert und in den Schlußkapiteln fast ganz
neu. Die Grundanschauungen des Verfassers und die Tendenz — denn ein
Tendenzbuch ist es — sind aber dieselben geblieben, und sie treten beide be¬
sonders in den letzten wesentlich neuen Kapiteln sehr scharf hervor. Paulsen
sieht den Grundfehler des bestehenden Zustandes auch nach den neuesten Unter¬
richtsreformen im Anfange der neunziger Jahre in dem „Gymnasialmonopol,"
d. h. in dem (übrigens keineswegs unbeschränkten) Alleinrechte der humani¬
stischen Gymnasien auf die Vorbereitung zur Universität, sodaß es thatsächlich
in dieser Beziehung eine Art von „Einheitsschule" darstellt. Daraus folgt
der „Utraquismus," d. h. die Verbindung der sprachlich-historischen und der
mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer mit der Forderung an die Schüler,
in beiden so sehr verschiednen Gruppen von Unterrichtsgegenständen möglichst
Gleichmäßiges zu leisten, und daraus wieder die „Überbürdung" nicht gerade
mit einem Übermaß von Arbeit, wohl aber mit einem zerstreuenden und ab¬
stumpfenden Vielerlei von Arbeiten. Das alles führt denn nun zu einer ganz
bestimmten, jede Freiheit der Bewegung vernichtenden Abmessung der Perser
und einem Übermaß von Prüfungen, die wieder auf das „Einpauker" hin¬
drängen; und da der auf die Fakultätsstudien vorbereitende Unterricht der
frühern artistischen (philosophischen) Fakultät längst der Schule zugewiesen
worden ist, so werden die jungen Leute zu lange auf dieser festgehalten und
empfinden die Übelstände umso schwerer. Paulsen geht uun von der Grund¬
anschauung aus. daß das klassische Altertum trotz seiner Wiederbelebung durch
den „Neuhumanismus" seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts immer mehr
an Geltung für unsre Kultur verloren habe. Die Klassiker sind für uns nicht



(beschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten
vom Ausgange des Mittelalters bis zur Gegenwart. Von Friedrich Paulsen, Zweite Auf¬
lage. 2 Bände. Leipzig, Veit u. Comp., 1S9ö, 1897.
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[0597] [Abbildung] panisens Geschichte des gelehrten Unterrichts le zweite Auflage des zuerst 1884 erschienenen, längst als eine bedeutende wissenschaftliche Leistung allgemein anerkannten und vielbesprochen Buches") ist in der That ein neues Werk, fast um das Doppelte seines Umfanges gewachsen, in allen seinen Teilen beträchtlich erweitert und in den Schlußkapiteln fast ganz neu. Die Grundanschauungen des Verfassers und die Tendenz — denn ein Tendenzbuch ist es — sind aber dieselben geblieben, und sie treten beide be¬ sonders in den letzten wesentlich neuen Kapiteln sehr scharf hervor. Paulsen sieht den Grundfehler des bestehenden Zustandes auch nach den neuesten Unter¬ richtsreformen im Anfange der neunziger Jahre in dem „Gymnasialmonopol," d. h. in dem (übrigens keineswegs unbeschränkten) Alleinrechte der humani¬ stischen Gymnasien auf die Vorbereitung zur Universität, sodaß es thatsächlich in dieser Beziehung eine Art von „Einheitsschule" darstellt. Daraus folgt der „Utraquismus," d. h. die Verbindung der sprachlich-historischen und der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer mit der Forderung an die Schüler, in beiden so sehr verschiednen Gruppen von Unterrichtsgegenständen möglichst Gleichmäßiges zu leisten, und daraus wieder die „Überbürdung" nicht gerade mit einem Übermaß von Arbeit, wohl aber mit einem zerstreuenden und ab¬ stumpfenden Vielerlei von Arbeiten. Das alles führt denn nun zu einer ganz bestimmten, jede Freiheit der Bewegung vernichtenden Abmessung der Perser und einem Übermaß von Prüfungen, die wieder auf das „Einpauker" hin¬ drängen; und da der auf die Fakultätsstudien vorbereitende Unterricht der frühern artistischen (philosophischen) Fakultät längst der Schule zugewiesen worden ist, so werden die jungen Leute zu lange auf dieser festgehalten und empfinden die Übelstände umso schwerer. Paulsen geht uun von der Grund¬ anschauung aus. daß das klassische Altertum trotz seiner Wiederbelebung durch den „Neuhumanismus" seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts immer mehr an Geltung für unsre Kultur verloren habe. Die Klassiker sind für uns nicht (beschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgange des Mittelalters bis zur Gegenwart. Von Friedrich Paulsen, Zweite Auf¬ lage. 2 Bände. Leipzig, Veit u. Comp., 1S9ö, 1897.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/597>, abgerufen am 26.06.2024.