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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Neue Romane

hatte. Aber es war nicht die hochsliegende, freischaffende, sondern die sich an
alten Erinnerungen in die Höhe zu ranken liebt, und seine Dichtung ist die
betrachtende des nachdenkenden, tiefgebildeten Mannes. Unter den Erinnerungen
aus seiner Kindheit ist eine besonders ergreifende an den krank und gebrochen
zum letztenmale aus Italien heimgekehrten alten Walter Scott, den Riehl einst
als Kind auf einer Bank im Schloßgarten zu Viebrich mit seiner schonen,
vornehmen Tochter hat sitzen sehen; aus solchen Stimmungen wurden seine
Novellen, aber auch seine Abhandlungen bekamen daraus etwas mit von der
Wärme des Dichters. Daß die Abhandlung bei Riehl mit der Zeit zurücktrat,
und die Novelle hänfiger wurde, haben wir persönlich immer bedauert, aber
es war wohl ein Zugeständnis an die neue Zeit, der er mit Unterhaltung
besser nahe zu kommen meinte als mit Belehrung. Vielleicht fand er auch
schriftstellerisch den Lehrton nicht mehr so leicht, seit er viel auf mündliche
Vorträge reiste, sodaß ihm nun die dichtende Form eine angenehme Abwechslung
bot. Wie dem aber auch immer sei, jedenfalls haben wir so den verknüpfenden
Faden gefunden zwischen dem Gelehrten und dem Novellisten Riehl, und auch
dieser ausgeführte Roman ist nichts neues und unvermitteltes, was aus dieser
Verbindung herausfiele.

Man kann das Buch "Ein ganzer Mann" geradezu einen kulturgeschicht¬
lichen Roman nennen, denn die Fabel ist ungemein einfach und nur der
Rahmen für die Betrachtung, unser pshchologisches Interesse an den Figuren
ist auch nur gering, das Zustündliche aber, die Schilderung von Ort und Zeit,
macht alles aus, und das Interesse steigert sich, weil es die Kultur unsrer
Gegenwart ist, die uns in dem Leben dieser Romcmsiguren vorgeführt wird.
Es handelt sich nämlich in dem ganzen Buche um weiter nichts, als um die
Einrichtung eines kleinen Altertümermuseums in einem hessischen Städtchen,
Frankenfeld genannt, in den Jahren vor 1870, also um eine Krähwinkelei, die
mit ausführlichen. Humor behandelt wird. Alles, was sich auf diese Samm-
lnngsangelegenheit selbst bezieht, ist echt in der Farbe, Riehl kennt ja das
Gebiet aus persönlicher Erfahrung; die Nutzanwendungen für die Leser sind
mannichfcich, denn das Sammeln hat ja sein Gutes und seine üble, lächerliche
Seite. "Und in diesem ungeheuern Bette soll ich schlafen? rief Hermine.
Das ist ja entsetzlich, das Geschlecht, dessen letzter Restbestand in diesem Bette
ausgestorben ist, würde mir im Wachen und im Traume erscheinen. Alter¬
tümer betrachte ich gern, bewundre sie wohl auch, aber ich verabscheue sie zum
täglichen Gebrauche. Die Erinnerung des Todes klebt an allem." Die
Menschen, sür die die Sachen gemacht wurden, sind längst nicht mehr, ihr
Trödelkram hat sich erhalten und verfolgt uns als Gespenst der Jahrhunderte,
beschämt uns wohl gar, insofern wir uns selbst keinen Ersatz verfertigen können.

Das Romanereignis, das neben der Museumsgeschichte herläuft, ist, daß
der Direktor, die eine Hauptperson, zuletzt der Gatte der andern wird, einer


Grenzlinien IV 18!)7 74
Neue Romane

hatte. Aber es war nicht die hochsliegende, freischaffende, sondern die sich an
alten Erinnerungen in die Höhe zu ranken liebt, und seine Dichtung ist die
betrachtende des nachdenkenden, tiefgebildeten Mannes. Unter den Erinnerungen
aus seiner Kindheit ist eine besonders ergreifende an den krank und gebrochen
zum letztenmale aus Italien heimgekehrten alten Walter Scott, den Riehl einst
als Kind auf einer Bank im Schloßgarten zu Viebrich mit seiner schonen,
vornehmen Tochter hat sitzen sehen; aus solchen Stimmungen wurden seine
Novellen, aber auch seine Abhandlungen bekamen daraus etwas mit von der
Wärme des Dichters. Daß die Abhandlung bei Riehl mit der Zeit zurücktrat,
und die Novelle hänfiger wurde, haben wir persönlich immer bedauert, aber
es war wohl ein Zugeständnis an die neue Zeit, der er mit Unterhaltung
besser nahe zu kommen meinte als mit Belehrung. Vielleicht fand er auch
schriftstellerisch den Lehrton nicht mehr so leicht, seit er viel auf mündliche
Vorträge reiste, sodaß ihm nun die dichtende Form eine angenehme Abwechslung
bot. Wie dem aber auch immer sei, jedenfalls haben wir so den verknüpfenden
Faden gefunden zwischen dem Gelehrten und dem Novellisten Riehl, und auch
dieser ausgeführte Roman ist nichts neues und unvermitteltes, was aus dieser
Verbindung herausfiele.

Man kann das Buch „Ein ganzer Mann" geradezu einen kulturgeschicht¬
lichen Roman nennen, denn die Fabel ist ungemein einfach und nur der
Rahmen für die Betrachtung, unser pshchologisches Interesse an den Figuren
ist auch nur gering, das Zustündliche aber, die Schilderung von Ort und Zeit,
macht alles aus, und das Interesse steigert sich, weil es die Kultur unsrer
Gegenwart ist, die uns in dem Leben dieser Romcmsiguren vorgeführt wird.
Es handelt sich nämlich in dem ganzen Buche um weiter nichts, als um die
Einrichtung eines kleinen Altertümermuseums in einem hessischen Städtchen,
Frankenfeld genannt, in den Jahren vor 1870, also um eine Krähwinkelei, die
mit ausführlichen. Humor behandelt wird. Alles, was sich auf diese Samm-
lnngsangelegenheit selbst bezieht, ist echt in der Farbe, Riehl kennt ja das
Gebiet aus persönlicher Erfahrung; die Nutzanwendungen für die Leser sind
mannichfcich, denn das Sammeln hat ja sein Gutes und seine üble, lächerliche
Seite. „Und in diesem ungeheuern Bette soll ich schlafen? rief Hermine.
Das ist ja entsetzlich, das Geschlecht, dessen letzter Restbestand in diesem Bette
ausgestorben ist, würde mir im Wachen und im Traume erscheinen. Alter¬
tümer betrachte ich gern, bewundre sie wohl auch, aber ich verabscheue sie zum
täglichen Gebrauche. Die Erinnerung des Todes klebt an allem." Die
Menschen, sür die die Sachen gemacht wurden, sind längst nicht mehr, ihr
Trödelkram hat sich erhalten und verfolgt uns als Gespenst der Jahrhunderte,
beschämt uns wohl gar, insofern wir uns selbst keinen Ersatz verfertigen können.

Das Romanereignis, das neben der Museumsgeschichte herläuft, ist, daß
der Direktor, die eine Hauptperson, zuletzt der Gatte der andern wird, einer


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[0595] Neue Romane hatte. Aber es war nicht die hochsliegende, freischaffende, sondern die sich an alten Erinnerungen in die Höhe zu ranken liebt, und seine Dichtung ist die betrachtende des nachdenkenden, tiefgebildeten Mannes. Unter den Erinnerungen aus seiner Kindheit ist eine besonders ergreifende an den krank und gebrochen zum letztenmale aus Italien heimgekehrten alten Walter Scott, den Riehl einst als Kind auf einer Bank im Schloßgarten zu Viebrich mit seiner schonen, vornehmen Tochter hat sitzen sehen; aus solchen Stimmungen wurden seine Novellen, aber auch seine Abhandlungen bekamen daraus etwas mit von der Wärme des Dichters. Daß die Abhandlung bei Riehl mit der Zeit zurücktrat, und die Novelle hänfiger wurde, haben wir persönlich immer bedauert, aber es war wohl ein Zugeständnis an die neue Zeit, der er mit Unterhaltung besser nahe zu kommen meinte als mit Belehrung. Vielleicht fand er auch schriftstellerisch den Lehrton nicht mehr so leicht, seit er viel auf mündliche Vorträge reiste, sodaß ihm nun die dichtende Form eine angenehme Abwechslung bot. Wie dem aber auch immer sei, jedenfalls haben wir so den verknüpfenden Faden gefunden zwischen dem Gelehrten und dem Novellisten Riehl, und auch dieser ausgeführte Roman ist nichts neues und unvermitteltes, was aus dieser Verbindung herausfiele. Man kann das Buch „Ein ganzer Mann" geradezu einen kulturgeschicht¬ lichen Roman nennen, denn die Fabel ist ungemein einfach und nur der Rahmen für die Betrachtung, unser pshchologisches Interesse an den Figuren ist auch nur gering, das Zustündliche aber, die Schilderung von Ort und Zeit, macht alles aus, und das Interesse steigert sich, weil es die Kultur unsrer Gegenwart ist, die uns in dem Leben dieser Romcmsiguren vorgeführt wird. Es handelt sich nämlich in dem ganzen Buche um weiter nichts, als um die Einrichtung eines kleinen Altertümermuseums in einem hessischen Städtchen, Frankenfeld genannt, in den Jahren vor 1870, also um eine Krähwinkelei, die mit ausführlichen. Humor behandelt wird. Alles, was sich auf diese Samm- lnngsangelegenheit selbst bezieht, ist echt in der Farbe, Riehl kennt ja das Gebiet aus persönlicher Erfahrung; die Nutzanwendungen für die Leser sind mannichfcich, denn das Sammeln hat ja sein Gutes und seine üble, lächerliche Seite. „Und in diesem ungeheuern Bette soll ich schlafen? rief Hermine. Das ist ja entsetzlich, das Geschlecht, dessen letzter Restbestand in diesem Bette ausgestorben ist, würde mir im Wachen und im Traume erscheinen. Alter¬ tümer betrachte ich gern, bewundre sie wohl auch, aber ich verabscheue sie zum täglichen Gebrauche. Die Erinnerung des Todes klebt an allem." Die Menschen, sür die die Sachen gemacht wurden, sind längst nicht mehr, ihr Trödelkram hat sich erhalten und verfolgt uns als Gespenst der Jahrhunderte, beschämt uns wohl gar, insofern wir uns selbst keinen Ersatz verfertigen können. Das Romanereignis, das neben der Museumsgeschichte herläuft, ist, daß der Direktor, die eine Hauptperson, zuletzt der Gatte der andern wird, einer Grenzlinien IV 18!)7 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/595>, abgerufen am 26.06.2024.