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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Neue Romane

des Verfassers. Wir erhalten eine höchst lebendige Schilderung der kriegerischen
Zeitläufe, in deren Mittelpunkt der allbeliebte Herzog Ferdinand von Braun¬
schweig gestellt ist. Der Amtmann von Amelungsborn wird von französischen
Marodeurs angegriffen, der Schulmeister flieht mit ein paar Leuten durch
Freund und Feindesscharen, bis er auf des Herzogs Hauptquartier trifft.
Sein Schüler, ein junger Münchhausen, thut sich rühmlich hervor und findet
seinen Tod beim Angriff auf den Nachtrab der fliehenden Franzosen, und der
Alte kehrt wehmütig resignirt nach Amelungsborn zurück. Wir finden uns
von lauter sympathischen Menschen umgeben, die von dem Verfasser als Zeugen
und Zuschauer der großen Geschichtswelt verwendet werden, ohne daß sie sür
ihre Person, durch Erlebnisse oder romanhafte Verwicklung, viel bedeuten.
Um so natürlicher mutet uns ihre Erscheinung an, und da Raabe hier auch
die lokalgeschichttiche Kleinmalerei nicht so weit getrieben hat, wie in manchen
seiner andern historischen Romane, so liest sich das "Odfeld" selbst von den
Ansprüchen eines nur auf Unterhaltung ausgehenden Lesers aus sehr angenehm.
Man könnte ja wohl immer noch etwas von diesen buchmäßigen Zuthaten des
Gelehrten ohne Schaden entbehren, aber Raabe thut es einmal nicht anders,
darin ist er ein echter Norddeutscher; nur soll man darüber nicht vergessen,
wie unendlich hoch an rein dichterischer Erfindung und echter, farbiger Schilderei
ein solches "Odfeld" über den Hunderten von alljährlich erscheinenden Romanen
steht, von denen wir ausgingen, und nur weil das vielen heutigen Lesern nicht
mehr leicht zum Bewußtsein kommen wird, bedauern wir, daß es der Verfasser
nicht über sich gewinnen mag, in den neuen Auflagen das wissenschaftliche Ge¬
strüpp, an dem seine Phantasie emporsteigt, noch etwas mehr zu beschneiden.

Daß das nicht nur für den Eindruck günstiger wäre, sondern auch künst¬
lerisch richtiger, sehen wir an dem soeben schon in zweiter Auflage erschienenen
Roman des kürzlich verstorbnen W. H. Riese, Ein ganzer Mann (Stutt¬
gart, Cottci). Riehl bildete ja als Schriftsteller bei uns in Deutschland beinahe
eine Abteilung für sich. Obwohl er in verschiednen Fächern seines sehr umfang¬
reichen Wissens ein selbständiger Forscher war, so wollte er doch in allein ein
allgemeinverständlicher Darsteller sein, und dadurch hat er sich in einem selten
anzutreffenden Grade die Kunst angeeignet, über einen wissenschaftlichen Gegen¬
stand leicht und angenehm und doch nicht dilettantisch zu schreiben. Seiner
geistigen Anlage nach war er mehr ein Kind des Südens, und unser Volk im
Süden und in der Mitte bis an den Rhein kannte er wie wenige, sowohl im
Leben der Gegenwart wie nach seinen kulturgeschichtlichen Boraussetzungen; er
war einer der besten Kenner des achtzehnten Jahrhunderts, in dem er mit
seinen Gedanken, auch den dichtenden, so oft verweilt hat. Seine Novellen,
die dem gegenwärtigen Geschlecht besser bekannt sind als seine volkspolitischen
Schriften, waren für ihn meistens nur eine andre Form, Gedanken, Ansichten,
anch wohl Kenntnisse mitzuteilen, wenn auch die Phantasie ihren Anteil daran


Neue Romane

des Verfassers. Wir erhalten eine höchst lebendige Schilderung der kriegerischen
Zeitläufe, in deren Mittelpunkt der allbeliebte Herzog Ferdinand von Braun¬
schweig gestellt ist. Der Amtmann von Amelungsborn wird von französischen
Marodeurs angegriffen, der Schulmeister flieht mit ein paar Leuten durch
Freund und Feindesscharen, bis er auf des Herzogs Hauptquartier trifft.
Sein Schüler, ein junger Münchhausen, thut sich rühmlich hervor und findet
seinen Tod beim Angriff auf den Nachtrab der fliehenden Franzosen, und der
Alte kehrt wehmütig resignirt nach Amelungsborn zurück. Wir finden uns
von lauter sympathischen Menschen umgeben, die von dem Verfasser als Zeugen
und Zuschauer der großen Geschichtswelt verwendet werden, ohne daß sie sür
ihre Person, durch Erlebnisse oder romanhafte Verwicklung, viel bedeuten.
Um so natürlicher mutet uns ihre Erscheinung an, und da Raabe hier auch
die lokalgeschichttiche Kleinmalerei nicht so weit getrieben hat, wie in manchen
seiner andern historischen Romane, so liest sich das „Odfeld" selbst von den
Ansprüchen eines nur auf Unterhaltung ausgehenden Lesers aus sehr angenehm.
Man könnte ja wohl immer noch etwas von diesen buchmäßigen Zuthaten des
Gelehrten ohne Schaden entbehren, aber Raabe thut es einmal nicht anders,
darin ist er ein echter Norddeutscher; nur soll man darüber nicht vergessen,
wie unendlich hoch an rein dichterischer Erfindung und echter, farbiger Schilderei
ein solches „Odfeld" über den Hunderten von alljährlich erscheinenden Romanen
steht, von denen wir ausgingen, und nur weil das vielen heutigen Lesern nicht
mehr leicht zum Bewußtsein kommen wird, bedauern wir, daß es der Verfasser
nicht über sich gewinnen mag, in den neuen Auflagen das wissenschaftliche Ge¬
strüpp, an dem seine Phantasie emporsteigt, noch etwas mehr zu beschneiden.

Daß das nicht nur für den Eindruck günstiger wäre, sondern auch künst¬
lerisch richtiger, sehen wir an dem soeben schon in zweiter Auflage erschienenen
Roman des kürzlich verstorbnen W. H. Riese, Ein ganzer Mann (Stutt¬
gart, Cottci). Riehl bildete ja als Schriftsteller bei uns in Deutschland beinahe
eine Abteilung für sich. Obwohl er in verschiednen Fächern seines sehr umfang¬
reichen Wissens ein selbständiger Forscher war, so wollte er doch in allein ein
allgemeinverständlicher Darsteller sein, und dadurch hat er sich in einem selten
anzutreffenden Grade die Kunst angeeignet, über einen wissenschaftlichen Gegen¬
stand leicht und angenehm und doch nicht dilettantisch zu schreiben. Seiner
geistigen Anlage nach war er mehr ein Kind des Südens, und unser Volk im
Süden und in der Mitte bis an den Rhein kannte er wie wenige, sowohl im
Leben der Gegenwart wie nach seinen kulturgeschichtlichen Boraussetzungen; er
war einer der besten Kenner des achtzehnten Jahrhunderts, in dem er mit
seinen Gedanken, auch den dichtenden, so oft verweilt hat. Seine Novellen,
die dem gegenwärtigen Geschlecht besser bekannt sind als seine volkspolitischen
Schriften, waren für ihn meistens nur eine andre Form, Gedanken, Ansichten,
anch wohl Kenntnisse mitzuteilen, wenn auch die Phantasie ihren Anteil daran


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[0594] Neue Romane des Verfassers. Wir erhalten eine höchst lebendige Schilderung der kriegerischen Zeitläufe, in deren Mittelpunkt der allbeliebte Herzog Ferdinand von Braun¬ schweig gestellt ist. Der Amtmann von Amelungsborn wird von französischen Marodeurs angegriffen, der Schulmeister flieht mit ein paar Leuten durch Freund und Feindesscharen, bis er auf des Herzogs Hauptquartier trifft. Sein Schüler, ein junger Münchhausen, thut sich rühmlich hervor und findet seinen Tod beim Angriff auf den Nachtrab der fliehenden Franzosen, und der Alte kehrt wehmütig resignirt nach Amelungsborn zurück. Wir finden uns von lauter sympathischen Menschen umgeben, die von dem Verfasser als Zeugen und Zuschauer der großen Geschichtswelt verwendet werden, ohne daß sie sür ihre Person, durch Erlebnisse oder romanhafte Verwicklung, viel bedeuten. Um so natürlicher mutet uns ihre Erscheinung an, und da Raabe hier auch die lokalgeschichttiche Kleinmalerei nicht so weit getrieben hat, wie in manchen seiner andern historischen Romane, so liest sich das „Odfeld" selbst von den Ansprüchen eines nur auf Unterhaltung ausgehenden Lesers aus sehr angenehm. Man könnte ja wohl immer noch etwas von diesen buchmäßigen Zuthaten des Gelehrten ohne Schaden entbehren, aber Raabe thut es einmal nicht anders, darin ist er ein echter Norddeutscher; nur soll man darüber nicht vergessen, wie unendlich hoch an rein dichterischer Erfindung und echter, farbiger Schilderei ein solches „Odfeld" über den Hunderten von alljährlich erscheinenden Romanen steht, von denen wir ausgingen, und nur weil das vielen heutigen Lesern nicht mehr leicht zum Bewußtsein kommen wird, bedauern wir, daß es der Verfasser nicht über sich gewinnen mag, in den neuen Auflagen das wissenschaftliche Ge¬ strüpp, an dem seine Phantasie emporsteigt, noch etwas mehr zu beschneiden. Daß das nicht nur für den Eindruck günstiger wäre, sondern auch künst¬ lerisch richtiger, sehen wir an dem soeben schon in zweiter Auflage erschienenen Roman des kürzlich verstorbnen W. H. Riese, Ein ganzer Mann (Stutt¬ gart, Cottci). Riehl bildete ja als Schriftsteller bei uns in Deutschland beinahe eine Abteilung für sich. Obwohl er in verschiednen Fächern seines sehr umfang¬ reichen Wissens ein selbständiger Forscher war, so wollte er doch in allein ein allgemeinverständlicher Darsteller sein, und dadurch hat er sich in einem selten anzutreffenden Grade die Kunst angeeignet, über einen wissenschaftlichen Gegen¬ stand leicht und angenehm und doch nicht dilettantisch zu schreiben. Seiner geistigen Anlage nach war er mehr ein Kind des Südens, und unser Volk im Süden und in der Mitte bis an den Rhein kannte er wie wenige, sowohl im Leben der Gegenwart wie nach seinen kulturgeschichtlichen Boraussetzungen; er war einer der besten Kenner des achtzehnten Jahrhunderts, in dem er mit seinen Gedanken, auch den dichtenden, so oft verweilt hat. Seine Novellen, die dem gegenwärtigen Geschlecht besser bekannt sind als seine volkspolitischen Schriften, waren für ihn meistens nur eine andre Form, Gedanken, Ansichten, anch wohl Kenntnisse mitzuteilen, wenn auch die Phantasie ihren Anteil daran

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/594>, abgerufen am 26.06.2024.