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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Neue Romane

Bankerotts ihren Haushalt auflösen müssen, nehmen immer an demselben Platz
Dienste und üben in dieser Form eine ganz uneigennützige Nächstenliebe, die
sie als ihre Lebensaufgabe ansehen. Begreiflicherweise kommt es zwischen ihnen
und dem Baron zu vielen Konflikten, mit deren Schilderung das Buch in der
Art weitergeht, daß wir auch allerlei über die Vergangenheit und über die
Grundsätze des dienenden Ehepaars erfahren- Er ist ein Engländer, war einst
Händler mit Japanwaren, dann verschiednes andre, sie hat sich immer lebhaft
für die Frauenbewegung interessirt und fühlt sich erst jetzt am zufriedensten,
wo sie zu ihrem Manne in dem Zustande gegenseitiger Achtung steht; er hat
nichts, und sie hat nichts, beide wirken mit gleichem Erfolg im Dienst andrer.
Unter einander leben sie nur noch in einer Gewissensehe, an die Stelle der
Gattenliebe ist ein fast zeremonieller Verkehr, eine Art Nokokodasein getreten.
Sie sind Theosophen, und was das sei, erfahren wir nunmehr, da sie eigent¬
lich die Hauptfiguren des Romans werden zu sollen scheinen. Was könnte
auch aus Herrn von Zorn noch werden? Haben wir uns aber deswegen für
ihn interessiren lassen, um fortan von diesem phantastischen, unmöglichen Ehe¬
paar unterhalten zu werden? Der einstige Japanwarenhändler hat nämlich,
wie wir weiter mitgeteilt bekommen, früher eine bedeutende Rolle in der Heils¬
armee gehabt, ist aber dann von einer russischen Dame auf einer Reise nach
Madras für die Theosophie gewonnen worden, und da diese Dame "nicht un¬
hübsch war und die Kunst verstand, ungeheuer zu imponiren, so war er bald
der überzeugteste Belehrte, den es gab" -- doch nein, wir sind nun auf der
achtzigsten Seite und haben schon einmal von einer gelesen, die "nicht un¬
hübsch" war --, wir klappen das Buch lieber zu, denn die Figur dieses eng¬
lischen Kautschukmanns hat für uns schlechterdings kein Interesse mehr, jene
Kunst, zu imponiren, fehlt dieser Romandarstellnng ganz und gar, und lang¬
weilen können wir uns auf irgend eine andre Weise ebenso gut.

Wir wollen damit keineswegs gesagt haben, daß dieser Roman besonders
schlecht wäre. Wir könnten noch eine Anzahl ähnlicher erwähnen, aber Weih¬
nachtsbücher giebt das nicht, und da uns diese Art von Litteraturbesprechnng
ebenso wenig freut, wie sie unsern Lesern nützen kann, so ziehen wir es vor,
über mancherlei derartiges mit einem langen Gedankenstrich hinwegzugehen und
dafür auf weniger moderne Autoren zurückzugreifen, die unsre Erwartungen
nicht so oft zu täuschen pflegen.

Da wäre zunächst Das Odfeld von Wilhelm Raabe (3. Auflage,
Berlin, O. Janke), womit die Gegend an der Weser bei Holzminden gemeint
ist. Dort stand ein altes Cisterzienserklöster, Amelungsborn, aus dessen Schule
das Holzmindner Gymnasium hervorgegangen ist, und von dem letzten in dem
ehemaligen Kloster übrig gebliebner Schulmeister und von dem, was er im
Jahre 1761 erlebte, handelt Naabes Erzählung. Das ist nun freilich keine
spannende Romanfigur, dennoch gehört dieses Buch zu den unterhaltendsten


Neue Romane

Bankerotts ihren Haushalt auflösen müssen, nehmen immer an demselben Platz
Dienste und üben in dieser Form eine ganz uneigennützige Nächstenliebe, die
sie als ihre Lebensaufgabe ansehen. Begreiflicherweise kommt es zwischen ihnen
und dem Baron zu vielen Konflikten, mit deren Schilderung das Buch in der
Art weitergeht, daß wir auch allerlei über die Vergangenheit und über die
Grundsätze des dienenden Ehepaars erfahren- Er ist ein Engländer, war einst
Händler mit Japanwaren, dann verschiednes andre, sie hat sich immer lebhaft
für die Frauenbewegung interessirt und fühlt sich erst jetzt am zufriedensten,
wo sie zu ihrem Manne in dem Zustande gegenseitiger Achtung steht; er hat
nichts, und sie hat nichts, beide wirken mit gleichem Erfolg im Dienst andrer.
Unter einander leben sie nur noch in einer Gewissensehe, an die Stelle der
Gattenliebe ist ein fast zeremonieller Verkehr, eine Art Nokokodasein getreten.
Sie sind Theosophen, und was das sei, erfahren wir nunmehr, da sie eigent¬
lich die Hauptfiguren des Romans werden zu sollen scheinen. Was könnte
auch aus Herrn von Zorn noch werden? Haben wir uns aber deswegen für
ihn interessiren lassen, um fortan von diesem phantastischen, unmöglichen Ehe¬
paar unterhalten zu werden? Der einstige Japanwarenhändler hat nämlich,
wie wir weiter mitgeteilt bekommen, früher eine bedeutende Rolle in der Heils¬
armee gehabt, ist aber dann von einer russischen Dame auf einer Reise nach
Madras für die Theosophie gewonnen worden, und da diese Dame „nicht un¬
hübsch war und die Kunst verstand, ungeheuer zu imponiren, so war er bald
der überzeugteste Belehrte, den es gab" — doch nein, wir sind nun auf der
achtzigsten Seite und haben schon einmal von einer gelesen, die „nicht un¬
hübsch" war —, wir klappen das Buch lieber zu, denn die Figur dieses eng¬
lischen Kautschukmanns hat für uns schlechterdings kein Interesse mehr, jene
Kunst, zu imponiren, fehlt dieser Romandarstellnng ganz und gar, und lang¬
weilen können wir uns auf irgend eine andre Weise ebenso gut.

Wir wollen damit keineswegs gesagt haben, daß dieser Roman besonders
schlecht wäre. Wir könnten noch eine Anzahl ähnlicher erwähnen, aber Weih¬
nachtsbücher giebt das nicht, und da uns diese Art von Litteraturbesprechnng
ebenso wenig freut, wie sie unsern Lesern nützen kann, so ziehen wir es vor,
über mancherlei derartiges mit einem langen Gedankenstrich hinwegzugehen und
dafür auf weniger moderne Autoren zurückzugreifen, die unsre Erwartungen
nicht so oft zu täuschen pflegen.

Da wäre zunächst Das Odfeld von Wilhelm Raabe (3. Auflage,
Berlin, O. Janke), womit die Gegend an der Weser bei Holzminden gemeint
ist. Dort stand ein altes Cisterzienserklöster, Amelungsborn, aus dessen Schule
das Holzmindner Gymnasium hervorgegangen ist, und von dem letzten in dem
ehemaligen Kloster übrig gebliebner Schulmeister und von dem, was er im
Jahre 1761 erlebte, handelt Naabes Erzählung. Das ist nun freilich keine
spannende Romanfigur, dennoch gehört dieses Buch zu den unterhaltendsten


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[0593] Neue Romane Bankerotts ihren Haushalt auflösen müssen, nehmen immer an demselben Platz Dienste und üben in dieser Form eine ganz uneigennützige Nächstenliebe, die sie als ihre Lebensaufgabe ansehen. Begreiflicherweise kommt es zwischen ihnen und dem Baron zu vielen Konflikten, mit deren Schilderung das Buch in der Art weitergeht, daß wir auch allerlei über die Vergangenheit und über die Grundsätze des dienenden Ehepaars erfahren- Er ist ein Engländer, war einst Händler mit Japanwaren, dann verschiednes andre, sie hat sich immer lebhaft für die Frauenbewegung interessirt und fühlt sich erst jetzt am zufriedensten, wo sie zu ihrem Manne in dem Zustande gegenseitiger Achtung steht; er hat nichts, und sie hat nichts, beide wirken mit gleichem Erfolg im Dienst andrer. Unter einander leben sie nur noch in einer Gewissensehe, an die Stelle der Gattenliebe ist ein fast zeremonieller Verkehr, eine Art Nokokodasein getreten. Sie sind Theosophen, und was das sei, erfahren wir nunmehr, da sie eigent¬ lich die Hauptfiguren des Romans werden zu sollen scheinen. Was könnte auch aus Herrn von Zorn noch werden? Haben wir uns aber deswegen für ihn interessiren lassen, um fortan von diesem phantastischen, unmöglichen Ehe¬ paar unterhalten zu werden? Der einstige Japanwarenhändler hat nämlich, wie wir weiter mitgeteilt bekommen, früher eine bedeutende Rolle in der Heils¬ armee gehabt, ist aber dann von einer russischen Dame auf einer Reise nach Madras für die Theosophie gewonnen worden, und da diese Dame „nicht un¬ hübsch war und die Kunst verstand, ungeheuer zu imponiren, so war er bald der überzeugteste Belehrte, den es gab" — doch nein, wir sind nun auf der achtzigsten Seite und haben schon einmal von einer gelesen, die „nicht un¬ hübsch" war —, wir klappen das Buch lieber zu, denn die Figur dieses eng¬ lischen Kautschukmanns hat für uns schlechterdings kein Interesse mehr, jene Kunst, zu imponiren, fehlt dieser Romandarstellnng ganz und gar, und lang¬ weilen können wir uns auf irgend eine andre Weise ebenso gut. Wir wollen damit keineswegs gesagt haben, daß dieser Roman besonders schlecht wäre. Wir könnten noch eine Anzahl ähnlicher erwähnen, aber Weih¬ nachtsbücher giebt das nicht, und da uns diese Art von Litteraturbesprechnng ebenso wenig freut, wie sie unsern Lesern nützen kann, so ziehen wir es vor, über mancherlei derartiges mit einem langen Gedankenstrich hinwegzugehen und dafür auf weniger moderne Autoren zurückzugreifen, die unsre Erwartungen nicht so oft zu täuschen pflegen. Da wäre zunächst Das Odfeld von Wilhelm Raabe (3. Auflage, Berlin, O. Janke), womit die Gegend an der Weser bei Holzminden gemeint ist. Dort stand ein altes Cisterzienserklöster, Amelungsborn, aus dessen Schule das Holzmindner Gymnasium hervorgegangen ist, und von dem letzten in dem ehemaligen Kloster übrig gebliebner Schulmeister und von dem, was er im Jahre 1761 erlebte, handelt Naabes Erzählung. Das ist nun freilich keine spannende Romanfigur, dennoch gehört dieses Buch zu den unterhaltendsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/593>, abgerufen am 26.06.2024.