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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Kunstausstelluilgen des Jahres i^LZ?

funden, die an Kraftanstrengung und an Methode in der Tollheit ihre fran¬
zösischen Vorbilder völlig in den Schatten stellen, und der rohe Naturalismus
eines Memel und Degas erscheint bereits im milden Lichte einer entschuldbaren
Verirrung, wenn man daneben die Bilder einiger besonders weit vorgeschrittener
Holländer, besonders des Amsterdamers Brenner betrachtet, der auf seinen
Straßenszenen aus der Großstadt in Formlosigkeit des Farbenauftrags schwelgt
und sich mit Hohn über die einfachsten Grundlagen der Zeichnung und Model-
lirung hinwegsetzt. Dieser Cynismus imponirt aber so gewaltig, daß diesem
Manne auf allen deutschen Ausstellungen die großen Medaillen zufallen, die
bisher den Franzosen als ein selbstverständliches Anrecht zuteil geworden
waren. Die deutschen, insbesondre die Münchner Künstler sind natürlich nicht
zurückgeblieben. Nur brachten sie ein größeres Maß von Bescheidenheit und
den heiligen Ernst mit, der sie hinderte, die burlesken Sprünge gallischer
Neuerungssucht scherzhaft zu nehmen oder sie gar durch größere gymnastische
Kunststücke zu übertreffen. Sie haben zwar auch ihre Nichtigkeiten auf großen
Leinwaudflächen ausgekramt; aber als sie sich endlich dazu entschlossen hatten,
waren ihnen die Italiener, Spanier, Russen und Ungarn, die über mehr Leicht¬
sinn oder über mehr Geld gebieten, zuvorgekommen.

So sehr wir auch die verblendeten deutschen Künstler beklagen, die bei
diesem internationalen Wettlauf zu kurz gekommen sind, ebenso sehr erfüllt es
uns mit Befriedigung, daß endlich einmal die Legende von der Überlegenheit
der französischen Kunst über die aller übrigen Völker Europas zerstört worden
ist. Daß die siegenden Mächte keine Lichtbringer sind, sondern nur zu weitern
Werken der Vernichtung schreiten werden, stört uns in unserm Behagen nicht.
Mögen sie draußen machen, was sie wollen! Wir wollen nur unsre deutsche
Kunst in ihrer Ursprünglich keit zu erhalten suchen. Die Hoffnung dazu giebt
uns der Charakter des Gesamtbildes der europäischen Kunst, das wir aus den
drei Ausstellungen dieses Jahres in Berlin, Dresden und München gewonnen
haben. Der Bann, den die Franzosen fast fünfzig Jahre ausgeübt haben, ist
gebrochen. Der Zwist, der vor sechs Jahren die Pariser Künstler in zwei
feindliche Lager getrieben hat, ist auch der französischen Kunst und ihrer mora¬
lischen Wirkung auf das Ausland nachteilig geworden. Die französischen
Künstler treten auf auswärtigen Ausstellungen nicht mehr geschlossen auf, und
nur einigemal ist es in München und Berlin gelungen, die beiden Parteien
zu Sonderausstelluiigen zu bewegen, die aber nur dem imponiren konnten, der
niemals Pariser Kunstausstellungen besucht hatte. Von Jahr zu Jahr sind
diese Almosen, die ans Paris für deutsche Kunstausstellungen abfielen, kärg¬
licher geworden, und in diesem Jahre haben sich die französischen Maler und
Bildhauer, wenn man von einigen Reklamemachern und einigen Geschäfts¬
männern absieht, gegen die Werbungen aus München und Berlin so kühl oder
eigentlich so beleidigend verhalten, daß wir begierig sind, wie lange die Geduld


Die großen Kunstausstelluilgen des Jahres i^LZ?

funden, die an Kraftanstrengung und an Methode in der Tollheit ihre fran¬
zösischen Vorbilder völlig in den Schatten stellen, und der rohe Naturalismus
eines Memel und Degas erscheint bereits im milden Lichte einer entschuldbaren
Verirrung, wenn man daneben die Bilder einiger besonders weit vorgeschrittener
Holländer, besonders des Amsterdamers Brenner betrachtet, der auf seinen
Straßenszenen aus der Großstadt in Formlosigkeit des Farbenauftrags schwelgt
und sich mit Hohn über die einfachsten Grundlagen der Zeichnung und Model-
lirung hinwegsetzt. Dieser Cynismus imponirt aber so gewaltig, daß diesem
Manne auf allen deutschen Ausstellungen die großen Medaillen zufallen, die
bisher den Franzosen als ein selbstverständliches Anrecht zuteil geworden
waren. Die deutschen, insbesondre die Münchner Künstler sind natürlich nicht
zurückgeblieben. Nur brachten sie ein größeres Maß von Bescheidenheit und
den heiligen Ernst mit, der sie hinderte, die burlesken Sprünge gallischer
Neuerungssucht scherzhaft zu nehmen oder sie gar durch größere gymnastische
Kunststücke zu übertreffen. Sie haben zwar auch ihre Nichtigkeiten auf großen
Leinwaudflächen ausgekramt; aber als sie sich endlich dazu entschlossen hatten,
waren ihnen die Italiener, Spanier, Russen und Ungarn, die über mehr Leicht¬
sinn oder über mehr Geld gebieten, zuvorgekommen.

So sehr wir auch die verblendeten deutschen Künstler beklagen, die bei
diesem internationalen Wettlauf zu kurz gekommen sind, ebenso sehr erfüllt es
uns mit Befriedigung, daß endlich einmal die Legende von der Überlegenheit
der französischen Kunst über die aller übrigen Völker Europas zerstört worden
ist. Daß die siegenden Mächte keine Lichtbringer sind, sondern nur zu weitern
Werken der Vernichtung schreiten werden, stört uns in unserm Behagen nicht.
Mögen sie draußen machen, was sie wollen! Wir wollen nur unsre deutsche
Kunst in ihrer Ursprünglich keit zu erhalten suchen. Die Hoffnung dazu giebt
uns der Charakter des Gesamtbildes der europäischen Kunst, das wir aus den
drei Ausstellungen dieses Jahres in Berlin, Dresden und München gewonnen
haben. Der Bann, den die Franzosen fast fünfzig Jahre ausgeübt haben, ist
gebrochen. Der Zwist, der vor sechs Jahren die Pariser Künstler in zwei
feindliche Lager getrieben hat, ist auch der französischen Kunst und ihrer mora¬
lischen Wirkung auf das Ausland nachteilig geworden. Die französischen
Künstler treten auf auswärtigen Ausstellungen nicht mehr geschlossen auf, und
nur einigemal ist es in München und Berlin gelungen, die beiden Parteien
zu Sonderausstelluiigen zu bewegen, die aber nur dem imponiren konnten, der
niemals Pariser Kunstausstellungen besucht hatte. Von Jahr zu Jahr sind
diese Almosen, die ans Paris für deutsche Kunstausstellungen abfielen, kärg¬
licher geworden, und in diesem Jahre haben sich die französischen Maler und
Bildhauer, wenn man von einigen Reklamemachern und einigen Geschäfts¬
männern absieht, gegen die Werbungen aus München und Berlin so kühl oder
eigentlich so beleidigend verhalten, daß wir begierig sind, wie lange die Geduld


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/589>, abgerufen am 26.06.2024.