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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^89?

stücke wie die Lavallsri"' rustiosua, die ^Lips.Wi und ^ Lauts I^uviA berechnet
sind, keine Wirkung machen. Also mußte ein neues Wort erfunden werden.
Aber allzulange hat der Zauber dieses neuen Wortes trotz einer emsigen
Reklame, die von einem Meister in diesem Fach betrieben wurde, nicht vor¬
gehalten. Maseagni und Leoneavallo haben mit ihren musikalischen Kleinig¬
keiten sehr schnell abgewirtschaftet, und als sie Anläufe zu höhern und edlern
Zielen der Kunst nahmen, mußte sie die traurige Erfahrung machen, daß das-
Publikum, dessen Ohren sie durch die gröbsten sinnlichen Reize übersättigt
hatten, diesen Aufschwung mit ihnen nicht mitmachen wollte. ,

Auch in der Malerei hat sich ein Streben nach ähnlichen grellen Wirkungen,
die auf möglichst scharfe Kontraste gestellt sind, seit einigen Jahren zur Geltung
gebracht, natürlich unterstützt von derselben Macht der Reklame, die sich dabei
nur den besser klingenden Namen Kunstkritik beigelegt hat. Aus Mailand,
dem Hauptsitz des italienischen Radikalismus in Politik, Litteratur, Musik und
Theater, ist auch diese Art von Malerei entsprossen. Dort hat ihr Haupt¬
vertreter, der ehemalige Schweinehirt Segcmtiui, den seine Landsleute ihren
zweiten Giotto nennen, weil sein Talent beim Zeichnen eines seiner Schutz-
befohlnen entdeckt worden ist, seine künstlerischen Studien gemacht, und dort
hat er auch sofort ein volles Verständnis für seine Genrebilder aus dem Volks¬
leben, vor allem für seine Darstellungen aus dem Leben der Bewohner der'
italienischen Alpen gefunden, die er meist inmitten ihrer einsamen Gebirgsnatur
bei ihren Beschäftigungen, bei ihrem harten Ringen um die kärglichen Gaben
dieser Natur vorführt. Fest wie aus Holz geschnitzt stehen diese Menschen
auf armseligen Matten oder Feldern, die von schneebedeckten Bergen umgeben
sind, in einer grellen, gleichmäßig kalten Beleuchtung. Luftperspektive giebt
es sür diesen Maler nicht, weil er sie in seinen Hochgebirgslandschaften auch
nicht bemerkt hat, und für malerische oder gar romantische Lichtwirkungen hat
er nicht das geringste Interesse. Sie würden ihn auch nur in seiner Absicht
stören, die darauf ausgeht, das bis zum Stumpfsinn ausgeartete Elend
dieser Armen in seiner ganzen Trostlosigkeit, auf die nicht einmal die erhabne
Natur einen versöhnenden Schimmer fallen läßt, mit möglichst grellen Farben
zu schildern. Mit Darstellungen aus dem angeblichen Jammerleben der
"Proletarier der Arbeit" in den großen Städten ist heute nicht mehr viel zu
machen. Das "majestätische" Elend der Ackerbauer, die bei der steten Sorge um
ihre Scholle, zu der sie sich unablässig hinabbeugen müssen, beinahe zu stumpf¬
sinnigen Vierfüßlern geworden sind, ist von dem Franzosen Jean Frankens Millet
schon viel früher bis auf den Grund ausgebeutet worden. Darum blieb für
Segantini, der übrigens Millet fleißig studirt und ihm gewisse Kunstgriffe nach¬
geahmt hat, nichts andres übrig, als ans die höchsten Berge zu steigen. Er
hat sich auch, nachdem er einmal auf dem internationalen Kunstmarkt eine
Größe geworden ist, deren Wert durch Zahlen ausgedrückt wird, in einer ein-


Grenzboten IV 1897 73
Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^89?

stücke wie die Lavallsri»' rustiosua, die ^Lips.Wi und ^ Lauts I^uviA berechnet
sind, keine Wirkung machen. Also mußte ein neues Wort erfunden werden.
Aber allzulange hat der Zauber dieses neuen Wortes trotz einer emsigen
Reklame, die von einem Meister in diesem Fach betrieben wurde, nicht vor¬
gehalten. Maseagni und Leoneavallo haben mit ihren musikalischen Kleinig¬
keiten sehr schnell abgewirtschaftet, und als sie Anläufe zu höhern und edlern
Zielen der Kunst nahmen, mußte sie die traurige Erfahrung machen, daß das-
Publikum, dessen Ohren sie durch die gröbsten sinnlichen Reize übersättigt
hatten, diesen Aufschwung mit ihnen nicht mitmachen wollte. ,

Auch in der Malerei hat sich ein Streben nach ähnlichen grellen Wirkungen,
die auf möglichst scharfe Kontraste gestellt sind, seit einigen Jahren zur Geltung
gebracht, natürlich unterstützt von derselben Macht der Reklame, die sich dabei
nur den besser klingenden Namen Kunstkritik beigelegt hat. Aus Mailand,
dem Hauptsitz des italienischen Radikalismus in Politik, Litteratur, Musik und
Theater, ist auch diese Art von Malerei entsprossen. Dort hat ihr Haupt¬
vertreter, der ehemalige Schweinehirt Segcmtiui, den seine Landsleute ihren
zweiten Giotto nennen, weil sein Talent beim Zeichnen eines seiner Schutz-
befohlnen entdeckt worden ist, seine künstlerischen Studien gemacht, und dort
hat er auch sofort ein volles Verständnis für seine Genrebilder aus dem Volks¬
leben, vor allem für seine Darstellungen aus dem Leben der Bewohner der'
italienischen Alpen gefunden, die er meist inmitten ihrer einsamen Gebirgsnatur
bei ihren Beschäftigungen, bei ihrem harten Ringen um die kärglichen Gaben
dieser Natur vorführt. Fest wie aus Holz geschnitzt stehen diese Menschen
auf armseligen Matten oder Feldern, die von schneebedeckten Bergen umgeben
sind, in einer grellen, gleichmäßig kalten Beleuchtung. Luftperspektive giebt
es sür diesen Maler nicht, weil er sie in seinen Hochgebirgslandschaften auch
nicht bemerkt hat, und für malerische oder gar romantische Lichtwirkungen hat
er nicht das geringste Interesse. Sie würden ihn auch nur in seiner Absicht
stören, die darauf ausgeht, das bis zum Stumpfsinn ausgeartete Elend
dieser Armen in seiner ganzen Trostlosigkeit, auf die nicht einmal die erhabne
Natur einen versöhnenden Schimmer fallen läßt, mit möglichst grellen Farben
zu schildern. Mit Darstellungen aus dem angeblichen Jammerleben der
„Proletarier der Arbeit" in den großen Städten ist heute nicht mehr viel zu
machen. Das „majestätische" Elend der Ackerbauer, die bei der steten Sorge um
ihre Scholle, zu der sie sich unablässig hinabbeugen müssen, beinahe zu stumpf¬
sinnigen Vierfüßlern geworden sind, ist von dem Franzosen Jean Frankens Millet
schon viel früher bis auf den Grund ausgebeutet worden. Darum blieb für
Segantini, der übrigens Millet fleißig studirt und ihm gewisse Kunstgriffe nach¬
geahmt hat, nichts andres übrig, als ans die höchsten Berge zu steigen. Er
hat sich auch, nachdem er einmal auf dem internationalen Kunstmarkt eine
Größe geworden ist, deren Wert durch Zahlen ausgedrückt wird, in einer ein-


Grenzboten IV 1897 73
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/587>, abgerufen am 26.06.2024.