Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^3H?

Ofens im Jahre 1686, die Schlacht bei Zerda, den Landtag von Torda, die
Verkündigung der Königswahl an den jungen Matthias Corvinus und eine
Greuelszeue aus dem Leben der wahnsinnigen Elisabeth Bathory dargestellt
haben. Das gesteigerte Nationalgefühl macht es nicht allein; es muß auch
etwas wirkliche Kunst, nicht gemachte Kunst dabei sein. An der Rasse liegt
es nicht. Es giebt auch unter deu Ungarn viele echte Künstler. Aber sie
scheren sich nicht um die dunkeln Ereignisse der ungarischen Geschichte, die
nur in den politischen Klubs der Hauptstadt und ihren Ablegern in den
Komitaten ein verständnisvolles oder auch verständnisloses Murmeln der Be¬
wunderung erregen, wenn sie zur Stärkung gegenwärtigen Heldenmuth bei
Parlaments- oder Komitatswahlen heraufbeschworen werden. Von diesen echten
Künstlern waren in München leider nur zwei erschienen: der Tiermaler Pallik,
ein Spezialist in der Malerei von Schafen, der, wenn er so fortführt, diesen
bei Lebzeiten stets verkannten Tieren noch den Stempel des Heroentums auf¬
drücken wird, und der Landschaftsmaler Vela von Spanyi, dessen Ansicht einer
alten Burg der Frangipani am Adriatischen Meere auch etwas heroisches,
freilich in anderm Sinne, an sich hat. Vor dieser großen Natur werden selbst
realistische Landschaftsmaler gedrängt, sich unter dem Zwang der großen Linien
und der satten Farbentöne zu beugen, die ihnen überall in die Augen springen
und leuchten, und die sie nur durch den Versuch eigner Bemeisterung zur Ruhe
zum Gewinn für künstlerischen Besitz bringen können.

Daß die Lust der italienischen Maler an der Wiedergabe des fröhlichen,
glitzernden Scheins unter einer meist wohlwollenden Sonne nicht allzu üppig
ins Kraut schieße, dafür sorgt schon der Naturalismus, der wie ein Wurm
an allen künstlerischen Erzeugnissen unsrer Zeit nagt. Die italienische Litteratur
ist in ihrer nationalen Eigenart längst dabei zu Grunde gegangen. Indem
sie mit vollen Segeln in das Fahrwasser der Franzosen einlief, ist sie auch
auf den Sand geraten, als das günstige Wasser bei jenen plötzlich ablief. In
der ernsten Musik, in der die Franzosen umgekehrt immer die Schüler der
Italiener geblieben sind und es trotz der neumodischen Koketterie mit Wagner
noch sind, haben die heutigen Italiener allerdings einen neuen Anlauf ge¬
nommen. Sie haben die musikalischen Kunststücke, die ihre Vorfahren mit
Weiser und glücklicher Hand ans drei- und vieraktige Opern verteilten, zu¬
sammengepreßt und in einer Stunde die Nerven ihrer Zuhörer durch musika¬
lischen Spektakel so erregt, daß der Jubel am Schlüsse dieser Ohrenpeinigung
immer wie eine Art Freudenbezeuguug klang, zum Dank dafür, daß endlich
diese grellen Dissonanzen zur Ruhe gekommen waren. Für diese Art von
musikalischer Kunst wurde auch ein Name gefunden, der schnell zu einem Be¬
griff für alle geistigen Erzeugnisse dieser Gattung wurde: "Verismus." Auf
deutsch heißt das ganz einfach Streben nach Wahrheit oder Liebe zur Wahrheit.
So schlichte Worte würden aber in der internationalen Welt, auf die Spektakel-


Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^3H?

Ofens im Jahre 1686, die Schlacht bei Zerda, den Landtag von Torda, die
Verkündigung der Königswahl an den jungen Matthias Corvinus und eine
Greuelszeue aus dem Leben der wahnsinnigen Elisabeth Bathory dargestellt
haben. Das gesteigerte Nationalgefühl macht es nicht allein; es muß auch
etwas wirkliche Kunst, nicht gemachte Kunst dabei sein. An der Rasse liegt
es nicht. Es giebt auch unter deu Ungarn viele echte Künstler. Aber sie
scheren sich nicht um die dunkeln Ereignisse der ungarischen Geschichte, die
nur in den politischen Klubs der Hauptstadt und ihren Ablegern in den
Komitaten ein verständnisvolles oder auch verständnisloses Murmeln der Be¬
wunderung erregen, wenn sie zur Stärkung gegenwärtigen Heldenmuth bei
Parlaments- oder Komitatswahlen heraufbeschworen werden. Von diesen echten
Künstlern waren in München leider nur zwei erschienen: der Tiermaler Pallik,
ein Spezialist in der Malerei von Schafen, der, wenn er so fortführt, diesen
bei Lebzeiten stets verkannten Tieren noch den Stempel des Heroentums auf¬
drücken wird, und der Landschaftsmaler Vela von Spanyi, dessen Ansicht einer
alten Burg der Frangipani am Adriatischen Meere auch etwas heroisches,
freilich in anderm Sinne, an sich hat. Vor dieser großen Natur werden selbst
realistische Landschaftsmaler gedrängt, sich unter dem Zwang der großen Linien
und der satten Farbentöne zu beugen, die ihnen überall in die Augen springen
und leuchten, und die sie nur durch den Versuch eigner Bemeisterung zur Ruhe
zum Gewinn für künstlerischen Besitz bringen können.

Daß die Lust der italienischen Maler an der Wiedergabe des fröhlichen,
glitzernden Scheins unter einer meist wohlwollenden Sonne nicht allzu üppig
ins Kraut schieße, dafür sorgt schon der Naturalismus, der wie ein Wurm
an allen künstlerischen Erzeugnissen unsrer Zeit nagt. Die italienische Litteratur
ist in ihrer nationalen Eigenart längst dabei zu Grunde gegangen. Indem
sie mit vollen Segeln in das Fahrwasser der Franzosen einlief, ist sie auch
auf den Sand geraten, als das günstige Wasser bei jenen plötzlich ablief. In
der ernsten Musik, in der die Franzosen umgekehrt immer die Schüler der
Italiener geblieben sind und es trotz der neumodischen Koketterie mit Wagner
noch sind, haben die heutigen Italiener allerdings einen neuen Anlauf ge¬
nommen. Sie haben die musikalischen Kunststücke, die ihre Vorfahren mit
Weiser und glücklicher Hand ans drei- und vieraktige Opern verteilten, zu¬
sammengepreßt und in einer Stunde die Nerven ihrer Zuhörer durch musika¬
lischen Spektakel so erregt, daß der Jubel am Schlüsse dieser Ohrenpeinigung
immer wie eine Art Freudenbezeuguug klang, zum Dank dafür, daß endlich
diese grellen Dissonanzen zur Ruhe gekommen waren. Für diese Art von
musikalischer Kunst wurde auch ein Name gefunden, der schnell zu einem Be¬
griff für alle geistigen Erzeugnisse dieser Gattung wurde: „Verismus." Auf
deutsch heißt das ganz einfach Streben nach Wahrheit oder Liebe zur Wahrheit.
So schlichte Worte würden aber in der internationalen Welt, auf die Spektakel-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0586" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226816"/>
          <fw type="header" place="top"> Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^3H?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1425" prev="#ID_1424"> Ofens im Jahre 1686, die Schlacht bei Zerda, den Landtag von Torda, die<lb/>
Verkündigung der Königswahl an den jungen Matthias Corvinus und eine<lb/>
Greuelszeue aus dem Leben der wahnsinnigen Elisabeth Bathory dargestellt<lb/>
haben. Das gesteigerte Nationalgefühl macht es nicht allein; es muß auch<lb/>
etwas wirkliche Kunst, nicht gemachte Kunst dabei sein. An der Rasse liegt<lb/>
es nicht. Es giebt auch unter deu Ungarn viele echte Künstler. Aber sie<lb/>
scheren sich nicht um die dunkeln Ereignisse der ungarischen Geschichte, die<lb/>
nur in den politischen Klubs der Hauptstadt und ihren Ablegern in den<lb/>
Komitaten ein verständnisvolles oder auch verständnisloses Murmeln der Be¬<lb/>
wunderung erregen, wenn sie zur Stärkung gegenwärtigen Heldenmuth bei<lb/>
Parlaments- oder Komitatswahlen heraufbeschworen werden. Von diesen echten<lb/>
Künstlern waren in München leider nur zwei erschienen: der Tiermaler Pallik,<lb/>
ein Spezialist in der Malerei von Schafen, der, wenn er so fortführt, diesen<lb/>
bei Lebzeiten stets verkannten Tieren noch den Stempel des Heroentums auf¬<lb/>
drücken wird, und der Landschaftsmaler Vela von Spanyi, dessen Ansicht einer<lb/>
alten Burg der Frangipani am Adriatischen Meere auch etwas heroisches,<lb/>
freilich in anderm Sinne, an sich hat. Vor dieser großen Natur werden selbst<lb/>
realistische Landschaftsmaler gedrängt, sich unter dem Zwang der großen Linien<lb/>
und der satten Farbentöne zu beugen, die ihnen überall in die Augen springen<lb/>
und leuchten, und die sie nur durch den Versuch eigner Bemeisterung zur Ruhe<lb/>
zum Gewinn für künstlerischen Besitz bringen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1426" next="#ID_1427"> Daß die Lust der italienischen Maler an der Wiedergabe des fröhlichen,<lb/>
glitzernden Scheins unter einer meist wohlwollenden Sonne nicht allzu üppig<lb/>
ins Kraut schieße, dafür sorgt schon der Naturalismus, der wie ein Wurm<lb/>
an allen künstlerischen Erzeugnissen unsrer Zeit nagt. Die italienische Litteratur<lb/>
ist in ihrer nationalen Eigenart längst dabei zu Grunde gegangen. Indem<lb/>
sie mit vollen Segeln in das Fahrwasser der Franzosen einlief, ist sie auch<lb/>
auf den Sand geraten, als das günstige Wasser bei jenen plötzlich ablief. In<lb/>
der ernsten Musik, in der die Franzosen umgekehrt immer die Schüler der<lb/>
Italiener geblieben sind und es trotz der neumodischen Koketterie mit Wagner<lb/>
noch sind, haben die heutigen Italiener allerdings einen neuen Anlauf ge¬<lb/>
nommen. Sie haben die musikalischen Kunststücke, die ihre Vorfahren mit<lb/>
Weiser und glücklicher Hand ans drei- und vieraktige Opern verteilten, zu¬<lb/>
sammengepreßt und in einer Stunde die Nerven ihrer Zuhörer durch musika¬<lb/>
lischen Spektakel so erregt, daß der Jubel am Schlüsse dieser Ohrenpeinigung<lb/>
immer wie eine Art Freudenbezeuguug klang, zum Dank dafür, daß endlich<lb/>
diese grellen Dissonanzen zur Ruhe gekommen waren. Für diese Art von<lb/>
musikalischer Kunst wurde auch ein Name gefunden, der schnell zu einem Be¬<lb/>
griff für alle geistigen Erzeugnisse dieser Gattung wurde: &#x201E;Verismus." Auf<lb/>
deutsch heißt das ganz einfach Streben nach Wahrheit oder Liebe zur Wahrheit.<lb/>
So schlichte Worte würden aber in der internationalen Welt, auf die Spektakel-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0586] Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^3H? Ofens im Jahre 1686, die Schlacht bei Zerda, den Landtag von Torda, die Verkündigung der Königswahl an den jungen Matthias Corvinus und eine Greuelszeue aus dem Leben der wahnsinnigen Elisabeth Bathory dargestellt haben. Das gesteigerte Nationalgefühl macht es nicht allein; es muß auch etwas wirkliche Kunst, nicht gemachte Kunst dabei sein. An der Rasse liegt es nicht. Es giebt auch unter deu Ungarn viele echte Künstler. Aber sie scheren sich nicht um die dunkeln Ereignisse der ungarischen Geschichte, die nur in den politischen Klubs der Hauptstadt und ihren Ablegern in den Komitaten ein verständnisvolles oder auch verständnisloses Murmeln der Be¬ wunderung erregen, wenn sie zur Stärkung gegenwärtigen Heldenmuth bei Parlaments- oder Komitatswahlen heraufbeschworen werden. Von diesen echten Künstlern waren in München leider nur zwei erschienen: der Tiermaler Pallik, ein Spezialist in der Malerei von Schafen, der, wenn er so fortführt, diesen bei Lebzeiten stets verkannten Tieren noch den Stempel des Heroentums auf¬ drücken wird, und der Landschaftsmaler Vela von Spanyi, dessen Ansicht einer alten Burg der Frangipani am Adriatischen Meere auch etwas heroisches, freilich in anderm Sinne, an sich hat. Vor dieser großen Natur werden selbst realistische Landschaftsmaler gedrängt, sich unter dem Zwang der großen Linien und der satten Farbentöne zu beugen, die ihnen überall in die Augen springen und leuchten, und die sie nur durch den Versuch eigner Bemeisterung zur Ruhe zum Gewinn für künstlerischen Besitz bringen können. Daß die Lust der italienischen Maler an der Wiedergabe des fröhlichen, glitzernden Scheins unter einer meist wohlwollenden Sonne nicht allzu üppig ins Kraut schieße, dafür sorgt schon der Naturalismus, der wie ein Wurm an allen künstlerischen Erzeugnissen unsrer Zeit nagt. Die italienische Litteratur ist in ihrer nationalen Eigenart längst dabei zu Grunde gegangen. Indem sie mit vollen Segeln in das Fahrwasser der Franzosen einlief, ist sie auch auf den Sand geraten, als das günstige Wasser bei jenen plötzlich ablief. In der ernsten Musik, in der die Franzosen umgekehrt immer die Schüler der Italiener geblieben sind und es trotz der neumodischen Koketterie mit Wagner noch sind, haben die heutigen Italiener allerdings einen neuen Anlauf ge¬ nommen. Sie haben die musikalischen Kunststücke, die ihre Vorfahren mit Weiser und glücklicher Hand ans drei- und vieraktige Opern verteilten, zu¬ sammengepreßt und in einer Stunde die Nerven ihrer Zuhörer durch musika¬ lischen Spektakel so erregt, daß der Jubel am Schlüsse dieser Ohrenpeinigung immer wie eine Art Freudenbezeuguug klang, zum Dank dafür, daß endlich diese grellen Dissonanzen zur Ruhe gekommen waren. Für diese Art von musikalischer Kunst wurde auch ein Name gefunden, der schnell zu einem Be¬ griff für alle geistigen Erzeugnisse dieser Gattung wurde: „Verismus." Auf deutsch heißt das ganz einfach Streben nach Wahrheit oder Liebe zur Wahrheit. So schlichte Worte würden aber in der internationalen Welt, auf die Spektakel-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/586
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/586>, abgerufen am 26.06.2024.