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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^LH?

immer mit ihrem eignen Gelde bezahlen müssen. Die Direktoren deutscher
Galerien sind natürlich unschuldig an dieser für hochstrebende Künstler uner¬
freulichen Thatsache. Sie haben seit Jahren keine Räume und auch kein Geld
mehr übrig sür große Historien ihrer Landsleute, aber sür kleine, intime
Bildchen französischer Impressionisten und Naturalisten findet sich bisweilen
noch ein Plätzchen, weil ein "bischen Französisch" immer noch ganz wunder¬
schön ist.

Der imponirende Eindruck, den die großen spanischen und italienischen
Geschichtsbilder zuerst 1883 und dann von Jahr zu Jahr immer mehr gemacht
haben, hat sich schnell abgestumpft. Mit den wachsenden Erfolgen haben die
Italiener und Spanier geglaubt, in den jährlichen Münchner Ausstellungen
eine unversiegliche Quelle des Absatzes zu finden. Aber schon nach zehn Jahren
war der Kunstmarkt, trotzdem daß er sich von München über ganz Deutschland
ausbreitete, so vollgestopft, daß die großen Historienbilder nur noch selten
untergebracht und die kleinen Feinmalereien bald wie Erzeugnisse des Kunst-
gewerbes geschätzt und bezahlt wurden. Die Italiener und Spanier sind in
ihrem Fatalismus mit diesem Sturz ihrer Preise zufrieden gewesen, und sie
malen ruhig weiter, so lange ihr Weizen blüht. Daß sie sich so oft wieder¬
holen, ist nicht so sehr ihre Schuld, als die der unersättlichen Ausstelluugssucht
in Deutschland und in den andern Ländern, die natürlich von Agenten jeglicher
Art, die unter dem Namen Kunsthändler ihr schmarotzendes Gewerbe treiben,
eifrig geschürt wird. So stark kann aber die Täuschung nicht gewesen sein,
daß nun mit einemmale alle die Spanier und Italiener, die wir vor einem
Jahrzehnt noch für wirkliche Künstler gehalten hatten, zu Kunsthandwerkern
und Farbenschwindlern herabgesunken wären. Männer wie Villegas, Benlliure
Y Gil, Augusto Corelli und Francesco de Pradilla werden trotz starker Produktion
immer die Bedeutung beanspruchen dürfen, gewisse Richtungen der modernen
Malerei bis zu einem Höhepunkt geführt zu haben, von dem kein weiterer
Ausblick, sondern nur ein Abstieg nach der andern, entgegengesetzten Seite
möglich ist. Ein Bild wie Pradillas Maiserute in Terracina, bei der die
fröhliche Betriebsamkeit der die gewonnenen Maiskolben zu sicherm Transport
sammelnden Frauen und Kinder durch den Einbruch einer gefräßigen Gänse¬
herde gestört wird, vereinigt in der Wahrheit der Schilderung, in der Schärfe
der Beobachtung, in dem Natürlichkeitssinn und der zarten und doch malerisch
freien, koloristisch reizvollen Ausführung alle Vorzüge, die wir an Meisfonier
und Menzel zusammen bewundern.

Wenn man den höchsten Maßstab ästhetischer Schätzung anlegt, sind
freilich solche Kleinmalereien nicht würdig und auch nicht kräftig genug, den
tiefsten Grund der Menschheit aufzuregen. Das haben aber auch die Ungarn
trotz ihrer großen Leinwandslächen nicht vermocht, auf denen geschickte Virtuosen
der Farbe und immer auf den Effekt gestimmte Theaterregisseure die Eroberung


Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^LH?

immer mit ihrem eignen Gelde bezahlen müssen. Die Direktoren deutscher
Galerien sind natürlich unschuldig an dieser für hochstrebende Künstler uner¬
freulichen Thatsache. Sie haben seit Jahren keine Räume und auch kein Geld
mehr übrig sür große Historien ihrer Landsleute, aber sür kleine, intime
Bildchen französischer Impressionisten und Naturalisten findet sich bisweilen
noch ein Plätzchen, weil ein „bischen Französisch" immer noch ganz wunder¬
schön ist.

Der imponirende Eindruck, den die großen spanischen und italienischen
Geschichtsbilder zuerst 1883 und dann von Jahr zu Jahr immer mehr gemacht
haben, hat sich schnell abgestumpft. Mit den wachsenden Erfolgen haben die
Italiener und Spanier geglaubt, in den jährlichen Münchner Ausstellungen
eine unversiegliche Quelle des Absatzes zu finden. Aber schon nach zehn Jahren
war der Kunstmarkt, trotzdem daß er sich von München über ganz Deutschland
ausbreitete, so vollgestopft, daß die großen Historienbilder nur noch selten
untergebracht und die kleinen Feinmalereien bald wie Erzeugnisse des Kunst-
gewerbes geschätzt und bezahlt wurden. Die Italiener und Spanier sind in
ihrem Fatalismus mit diesem Sturz ihrer Preise zufrieden gewesen, und sie
malen ruhig weiter, so lange ihr Weizen blüht. Daß sie sich so oft wieder¬
holen, ist nicht so sehr ihre Schuld, als die der unersättlichen Ausstelluugssucht
in Deutschland und in den andern Ländern, die natürlich von Agenten jeglicher
Art, die unter dem Namen Kunsthändler ihr schmarotzendes Gewerbe treiben,
eifrig geschürt wird. So stark kann aber die Täuschung nicht gewesen sein,
daß nun mit einemmale alle die Spanier und Italiener, die wir vor einem
Jahrzehnt noch für wirkliche Künstler gehalten hatten, zu Kunsthandwerkern
und Farbenschwindlern herabgesunken wären. Männer wie Villegas, Benlliure
Y Gil, Augusto Corelli und Francesco de Pradilla werden trotz starker Produktion
immer die Bedeutung beanspruchen dürfen, gewisse Richtungen der modernen
Malerei bis zu einem Höhepunkt geführt zu haben, von dem kein weiterer
Ausblick, sondern nur ein Abstieg nach der andern, entgegengesetzten Seite
möglich ist. Ein Bild wie Pradillas Maiserute in Terracina, bei der die
fröhliche Betriebsamkeit der die gewonnenen Maiskolben zu sicherm Transport
sammelnden Frauen und Kinder durch den Einbruch einer gefräßigen Gänse¬
herde gestört wird, vereinigt in der Wahrheit der Schilderung, in der Schärfe
der Beobachtung, in dem Natürlichkeitssinn und der zarten und doch malerisch
freien, koloristisch reizvollen Ausführung alle Vorzüge, die wir an Meisfonier
und Menzel zusammen bewundern.

Wenn man den höchsten Maßstab ästhetischer Schätzung anlegt, sind
freilich solche Kleinmalereien nicht würdig und auch nicht kräftig genug, den
tiefsten Grund der Menschheit aufzuregen. Das haben aber auch die Ungarn
trotz ihrer großen Leinwandslächen nicht vermocht, auf denen geschickte Virtuosen
der Farbe und immer auf den Effekt gestimmte Theaterregisseure die Eroberung


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[0585] Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^LH? immer mit ihrem eignen Gelde bezahlen müssen. Die Direktoren deutscher Galerien sind natürlich unschuldig an dieser für hochstrebende Künstler uner¬ freulichen Thatsache. Sie haben seit Jahren keine Räume und auch kein Geld mehr übrig sür große Historien ihrer Landsleute, aber sür kleine, intime Bildchen französischer Impressionisten und Naturalisten findet sich bisweilen noch ein Plätzchen, weil ein „bischen Französisch" immer noch ganz wunder¬ schön ist. Der imponirende Eindruck, den die großen spanischen und italienischen Geschichtsbilder zuerst 1883 und dann von Jahr zu Jahr immer mehr gemacht haben, hat sich schnell abgestumpft. Mit den wachsenden Erfolgen haben die Italiener und Spanier geglaubt, in den jährlichen Münchner Ausstellungen eine unversiegliche Quelle des Absatzes zu finden. Aber schon nach zehn Jahren war der Kunstmarkt, trotzdem daß er sich von München über ganz Deutschland ausbreitete, so vollgestopft, daß die großen Historienbilder nur noch selten untergebracht und die kleinen Feinmalereien bald wie Erzeugnisse des Kunst- gewerbes geschätzt und bezahlt wurden. Die Italiener und Spanier sind in ihrem Fatalismus mit diesem Sturz ihrer Preise zufrieden gewesen, und sie malen ruhig weiter, so lange ihr Weizen blüht. Daß sie sich so oft wieder¬ holen, ist nicht so sehr ihre Schuld, als die der unersättlichen Ausstelluugssucht in Deutschland und in den andern Ländern, die natürlich von Agenten jeglicher Art, die unter dem Namen Kunsthändler ihr schmarotzendes Gewerbe treiben, eifrig geschürt wird. So stark kann aber die Täuschung nicht gewesen sein, daß nun mit einemmale alle die Spanier und Italiener, die wir vor einem Jahrzehnt noch für wirkliche Künstler gehalten hatten, zu Kunsthandwerkern und Farbenschwindlern herabgesunken wären. Männer wie Villegas, Benlliure Y Gil, Augusto Corelli und Francesco de Pradilla werden trotz starker Produktion immer die Bedeutung beanspruchen dürfen, gewisse Richtungen der modernen Malerei bis zu einem Höhepunkt geführt zu haben, von dem kein weiterer Ausblick, sondern nur ein Abstieg nach der andern, entgegengesetzten Seite möglich ist. Ein Bild wie Pradillas Maiserute in Terracina, bei der die fröhliche Betriebsamkeit der die gewonnenen Maiskolben zu sicherm Transport sammelnden Frauen und Kinder durch den Einbruch einer gefräßigen Gänse¬ herde gestört wird, vereinigt in der Wahrheit der Schilderung, in der Schärfe der Beobachtung, in dem Natürlichkeitssinn und der zarten und doch malerisch freien, koloristisch reizvollen Ausführung alle Vorzüge, die wir an Meisfonier und Menzel zusammen bewundern. Wenn man den höchsten Maßstab ästhetischer Schätzung anlegt, sind freilich solche Kleinmalereien nicht würdig und auch nicht kräftig genug, den tiefsten Grund der Menschheit aufzuregen. Das haben aber auch die Ungarn trotz ihrer großen Leinwandslächen nicht vermocht, auf denen geschickte Virtuosen der Farbe und immer auf den Effekt gestimmte Theaterregisseure die Eroberung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/585>, abgerufen am 26.06.2024.