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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^39?

Räume läßt sich durch einige glänzende Schaustücke niemand hinwegtäuschen,
der Augen hat zu sehen.

Wenn sich also München durchaus darauf versteifen will, die "Kunststadt
Deutschlands" zu sein und zu bleiben, dann müssen Staat und Stadt zunächst
für ein anständiges Ausstellungsgebäude mit allem Zubehör sorgen. Die
künstlerischen Kräfte dazu sind in großer Zahl und Auswahl vorhanden, und
an Geld scheint es auch nicht zu fehlen. Das sieht man an dem neuen Justiz¬
palast von Friedrich Thiersch und an dem Neubau des bairischen National¬
museums von Gabriel Seidl.

Ein neues Kunstausstellungsgebäude würde aber im günstigsten Falle
nur ein neues Reizmittel zu stürkerm Besuch der Ausstellungen bieten. Wie
steht es aber um die Kunst, die dem neuen glänzenden Rahmen einen ent¬
sprechenden Inhalt zu geben hat? Wenn man die Ausstellung des Jahres 1897
zum Maßstabe nimmt, füllt die Antwort auf diese Frage nicht gerade zu
Gunsten der autochthonen Kunst oder, vorsichtiger ausgedrückt, nicht zu Gunsten
der Leiter der Ausstellung aus, die zu der Zugkraft der nationalen Kunst im
weitern Sinne kein großes Vertrauen zu haben scheinen. Die Sendboten des
Komitees haben auch für diese "siebente internationale Kunstausstellung" ihre
Fangarme nach allen Ländern ausgestreckt, und sie haben auch viel Gegenliebe
gefunden. Die sprach sich allerdings meist in Zahlen aus: die Anzahl der
ausländischen Kunstwerke war beinahe größer als je zuvor und unzweifelhaft
noch größer die Zahl der bemalten Quadratmeter. Noch niemals sind die Säle
des Münchner Glaspalastes von so vielen "großen Schinken" heimgesucht worden
wie in diesem Jahre. Neben den Italienern und Spaniern, denen glückliche
Landesnatur und glückliche Bedürfnislosigkeit den Aufwand großer Leinwcmd-
und Farbemasfen erleichtern, ist ein neues "Kunstvolk" auf den Plan getreten:
die Ungarn. Sie haben im vorigen Jahre eine "Milleniumsausstellung" in
ihrem Budapest gehabt, und einem so riesenhaften Ereignis vermochten nur
Gemälde in entsprechendem Umsange gerecht zu werden. Die tausendjährige
Geschichte der Magyaren ist reich genug an kriegerischen und politischen
Massenaktionen, mit denen sich solche Gemälde sehr reichlich füllen lassen, und
es fehlt auch nicht an Greuel- und Schreckensszenen, deren Darstellung dem
Beschauer das Gruseln über die Haut jagt. Ein Teil dieser großen Historien,
die in der Geschichte Ungarns schwelgen, wurde nun nach München gesandt,
und das Stoffinteresse hat auch die Schaulust der Menge befriedigt. Alle
Künstler und Kunstkenner aber wissen, daß diese Art von Malerei nicht in Pest,
sondern in München und Paris erzeugt worden ist, und daß die Ungarn nur
Nachahmer sind, allerdings sehr kühne und sehr glückliche. Denn sie werden
ohne Ansehen ihrer Kunst von dem Patriotismus einer leidenschaftlich erregten
Nation getragen, und ihre Bilder werden für die öffentlichen Sammlungen
angekauft, während deutsche Maler, die ähnliches wagen, dieses Wagnis sast


Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^39?

Räume läßt sich durch einige glänzende Schaustücke niemand hinwegtäuschen,
der Augen hat zu sehen.

Wenn sich also München durchaus darauf versteifen will, die „Kunststadt
Deutschlands" zu sein und zu bleiben, dann müssen Staat und Stadt zunächst
für ein anständiges Ausstellungsgebäude mit allem Zubehör sorgen. Die
künstlerischen Kräfte dazu sind in großer Zahl und Auswahl vorhanden, und
an Geld scheint es auch nicht zu fehlen. Das sieht man an dem neuen Justiz¬
palast von Friedrich Thiersch und an dem Neubau des bairischen National¬
museums von Gabriel Seidl.

Ein neues Kunstausstellungsgebäude würde aber im günstigsten Falle
nur ein neues Reizmittel zu stürkerm Besuch der Ausstellungen bieten. Wie
steht es aber um die Kunst, die dem neuen glänzenden Rahmen einen ent¬
sprechenden Inhalt zu geben hat? Wenn man die Ausstellung des Jahres 1897
zum Maßstabe nimmt, füllt die Antwort auf diese Frage nicht gerade zu
Gunsten der autochthonen Kunst oder, vorsichtiger ausgedrückt, nicht zu Gunsten
der Leiter der Ausstellung aus, die zu der Zugkraft der nationalen Kunst im
weitern Sinne kein großes Vertrauen zu haben scheinen. Die Sendboten des
Komitees haben auch für diese „siebente internationale Kunstausstellung" ihre
Fangarme nach allen Ländern ausgestreckt, und sie haben auch viel Gegenliebe
gefunden. Die sprach sich allerdings meist in Zahlen aus: die Anzahl der
ausländischen Kunstwerke war beinahe größer als je zuvor und unzweifelhaft
noch größer die Zahl der bemalten Quadratmeter. Noch niemals sind die Säle
des Münchner Glaspalastes von so vielen „großen Schinken" heimgesucht worden
wie in diesem Jahre. Neben den Italienern und Spaniern, denen glückliche
Landesnatur und glückliche Bedürfnislosigkeit den Aufwand großer Leinwcmd-
und Farbemasfen erleichtern, ist ein neues „Kunstvolk" auf den Plan getreten:
die Ungarn. Sie haben im vorigen Jahre eine „Milleniumsausstellung" in
ihrem Budapest gehabt, und einem so riesenhaften Ereignis vermochten nur
Gemälde in entsprechendem Umsange gerecht zu werden. Die tausendjährige
Geschichte der Magyaren ist reich genug an kriegerischen und politischen
Massenaktionen, mit denen sich solche Gemälde sehr reichlich füllen lassen, und
es fehlt auch nicht an Greuel- und Schreckensszenen, deren Darstellung dem
Beschauer das Gruseln über die Haut jagt. Ein Teil dieser großen Historien,
die in der Geschichte Ungarns schwelgen, wurde nun nach München gesandt,
und das Stoffinteresse hat auch die Schaulust der Menge befriedigt. Alle
Künstler und Kunstkenner aber wissen, daß diese Art von Malerei nicht in Pest,
sondern in München und Paris erzeugt worden ist, und daß die Ungarn nur
Nachahmer sind, allerdings sehr kühne und sehr glückliche. Denn sie werden
ohne Ansehen ihrer Kunst von dem Patriotismus einer leidenschaftlich erregten
Nation getragen, und ihre Bilder werden für die öffentlichen Sammlungen
angekauft, während deutsche Maler, die ähnliches wagen, dieses Wagnis sast


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[0584] Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^39? Räume läßt sich durch einige glänzende Schaustücke niemand hinwegtäuschen, der Augen hat zu sehen. Wenn sich also München durchaus darauf versteifen will, die „Kunststadt Deutschlands" zu sein und zu bleiben, dann müssen Staat und Stadt zunächst für ein anständiges Ausstellungsgebäude mit allem Zubehör sorgen. Die künstlerischen Kräfte dazu sind in großer Zahl und Auswahl vorhanden, und an Geld scheint es auch nicht zu fehlen. Das sieht man an dem neuen Justiz¬ palast von Friedrich Thiersch und an dem Neubau des bairischen National¬ museums von Gabriel Seidl. Ein neues Kunstausstellungsgebäude würde aber im günstigsten Falle nur ein neues Reizmittel zu stürkerm Besuch der Ausstellungen bieten. Wie steht es aber um die Kunst, die dem neuen glänzenden Rahmen einen ent¬ sprechenden Inhalt zu geben hat? Wenn man die Ausstellung des Jahres 1897 zum Maßstabe nimmt, füllt die Antwort auf diese Frage nicht gerade zu Gunsten der autochthonen Kunst oder, vorsichtiger ausgedrückt, nicht zu Gunsten der Leiter der Ausstellung aus, die zu der Zugkraft der nationalen Kunst im weitern Sinne kein großes Vertrauen zu haben scheinen. Die Sendboten des Komitees haben auch für diese „siebente internationale Kunstausstellung" ihre Fangarme nach allen Ländern ausgestreckt, und sie haben auch viel Gegenliebe gefunden. Die sprach sich allerdings meist in Zahlen aus: die Anzahl der ausländischen Kunstwerke war beinahe größer als je zuvor und unzweifelhaft noch größer die Zahl der bemalten Quadratmeter. Noch niemals sind die Säle des Münchner Glaspalastes von so vielen „großen Schinken" heimgesucht worden wie in diesem Jahre. Neben den Italienern und Spaniern, denen glückliche Landesnatur und glückliche Bedürfnislosigkeit den Aufwand großer Leinwcmd- und Farbemasfen erleichtern, ist ein neues „Kunstvolk" auf den Plan getreten: die Ungarn. Sie haben im vorigen Jahre eine „Milleniumsausstellung" in ihrem Budapest gehabt, und einem so riesenhaften Ereignis vermochten nur Gemälde in entsprechendem Umsange gerecht zu werden. Die tausendjährige Geschichte der Magyaren ist reich genug an kriegerischen und politischen Massenaktionen, mit denen sich solche Gemälde sehr reichlich füllen lassen, und es fehlt auch nicht an Greuel- und Schreckensszenen, deren Darstellung dem Beschauer das Gruseln über die Haut jagt. Ein Teil dieser großen Historien, die in der Geschichte Ungarns schwelgen, wurde nun nach München gesandt, und das Stoffinteresse hat auch die Schaulust der Menge befriedigt. Alle Künstler und Kunstkenner aber wissen, daß diese Art von Malerei nicht in Pest, sondern in München und Paris erzeugt worden ist, und daß die Ungarn nur Nachahmer sind, allerdings sehr kühne und sehr glückliche. Denn sie werden ohne Ansehen ihrer Kunst von dem Patriotismus einer leidenschaftlich erregten Nation getragen, und ihre Bilder werden für die öffentlichen Sammlungen angekauft, während deutsche Maler, die ähnliches wagen, dieses Wagnis sast

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/584>, abgerufen am 26.06.2024.