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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Endlich den Beruf gefunden

großer Teil unsrer angesehensten Abonnenten meine gegenwärtige politische
Haltung entschieden mißbillige, lege mir die Verpflichtung auf, mich vorläufig
jeder Äußerung meiner persönlichen Ansicht über innere Angelegenheiten zu
enthalten. Ich würde mich daher bis zum 21. im politischen Teile des Blattes
auf das Zusammenstellen von Nachrichten aus andern Blättern beschränken,
das Urteil über die Borkommnisse im Vaterlande aber der offiziösen Provinzial-
korrespondenz überlassen. Dadurch werde die Reißer Presse Vertreterin einer
Richtung, in die ich nicht einzulenken vermöchte, und es verstehe sich von selbst,
daß ich die Redaktion niederlegte, sobald ein Ersatz gefunden sei, jedenfalls
spätestens am 1. April, wo meine kontraktliche Verpflichtung ablief. Allerdings
sei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß nach dem 21. Februar ein Um¬
schwung der Meinungen eintrete, der mir die Vertretung meiner eignen Über¬
zeugung in dem Blatte und damit die Weiterführung der Redaktion wieder
gestatten werde.

Am 27. Februar schrieb ich im Leitartikel: obwohl sich das Wahlergebnis
vor Beendigung der Stichwahlen nicht mit Sicherheit abschätzen ließe, stehe
doch schon so viel fest, daß Bismarck das Septennat haben werde. Darüber
würden alle ohne Ausnahme, auch die Gegner des Septennats, recht froh sein,
denn kein vernünftiger Mensch könne sich eine Wahlkampagne wie die eben
abgelaufne nochmals wünschen, und eine solche hätten wir doch bei nochmaliger
Ablehnung des Septennats in verstärkter Auflage zu erwarten. Noch aus einem
zweiten Grunde sei das Ergebnis erfreulich. Die offiziöse Presse habe uns
versichert, das Septennat sei der Friede! Wir hätten es jetzt; die offiziöse
Presse sei also verpflichtet, vorläufig die Kriegstrompete ins Futteral zu stecken,
sodaß Handel und Wandel wieder floriren könnten. Ob nun aber Fürst Bismarck
von der im Werden begriffnen Majorität auch alles übrige erlangen werde,
was er außer dem Septennat noch anstrebe, und ob, wenn er das nicht erlange,
das Septennat nach einem halben Jahre noch denselben hohen Wert für ihn
haben werde wie während der Wahlkampagne, das sei eine andre Frage;
Fürst Bismarck pflege in der Wertschätzung politischer Gegenstände seine An¬
sicht mit überraschender Schnelligkeit zu wechseln. Wäre aber die Majorität
so, wie er sie sich wahrscheinlich wünsche, und wie er sie im Landtage schon
habe, dann sei er mit einemmale alle Friktionen los. Die gesetzgebende Arbeit
der beiden Parlamente sei dann nur noch eine Formalität; seine Ideen würden
dann unfehlbar Gesetz, und nichts in der Welt hindere ihn mehr an der Ver¬
wirklichung seiner Ideale.

Im lokalen Teil aber erließ ich eine Ansprache "An unsre Leser," die
ich nachstehend abgekürzt wiedergebe.

Nachdem ich mich, meinem Versprechen gemäß, bis zum 21. Februar der
Äußerung meiner eignen Meinung über die politischen Ereignisse im Vaterlands
enthalten habe, trete ich nun wieder hervor und überlasse die Entscheidung dem


Endlich den Beruf gefunden

großer Teil unsrer angesehensten Abonnenten meine gegenwärtige politische
Haltung entschieden mißbillige, lege mir die Verpflichtung auf, mich vorläufig
jeder Äußerung meiner persönlichen Ansicht über innere Angelegenheiten zu
enthalten. Ich würde mich daher bis zum 21. im politischen Teile des Blattes
auf das Zusammenstellen von Nachrichten aus andern Blättern beschränken,
das Urteil über die Borkommnisse im Vaterlande aber der offiziösen Provinzial-
korrespondenz überlassen. Dadurch werde die Reißer Presse Vertreterin einer
Richtung, in die ich nicht einzulenken vermöchte, und es verstehe sich von selbst,
daß ich die Redaktion niederlegte, sobald ein Ersatz gefunden sei, jedenfalls
spätestens am 1. April, wo meine kontraktliche Verpflichtung ablief. Allerdings
sei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß nach dem 21. Februar ein Um¬
schwung der Meinungen eintrete, der mir die Vertretung meiner eignen Über¬
zeugung in dem Blatte und damit die Weiterführung der Redaktion wieder
gestatten werde.

Am 27. Februar schrieb ich im Leitartikel: obwohl sich das Wahlergebnis
vor Beendigung der Stichwahlen nicht mit Sicherheit abschätzen ließe, stehe
doch schon so viel fest, daß Bismarck das Septennat haben werde. Darüber
würden alle ohne Ausnahme, auch die Gegner des Septennats, recht froh sein,
denn kein vernünftiger Mensch könne sich eine Wahlkampagne wie die eben
abgelaufne nochmals wünschen, und eine solche hätten wir doch bei nochmaliger
Ablehnung des Septennats in verstärkter Auflage zu erwarten. Noch aus einem
zweiten Grunde sei das Ergebnis erfreulich. Die offiziöse Presse habe uns
versichert, das Septennat sei der Friede! Wir hätten es jetzt; die offiziöse
Presse sei also verpflichtet, vorläufig die Kriegstrompete ins Futteral zu stecken,
sodaß Handel und Wandel wieder floriren könnten. Ob nun aber Fürst Bismarck
von der im Werden begriffnen Majorität auch alles übrige erlangen werde,
was er außer dem Septennat noch anstrebe, und ob, wenn er das nicht erlange,
das Septennat nach einem halben Jahre noch denselben hohen Wert für ihn
haben werde wie während der Wahlkampagne, das sei eine andre Frage;
Fürst Bismarck pflege in der Wertschätzung politischer Gegenstände seine An¬
sicht mit überraschender Schnelligkeit zu wechseln. Wäre aber die Majorität
so, wie er sie sich wahrscheinlich wünsche, und wie er sie im Landtage schon
habe, dann sei er mit einemmale alle Friktionen los. Die gesetzgebende Arbeit
der beiden Parlamente sei dann nur noch eine Formalität; seine Ideen würden
dann unfehlbar Gesetz, und nichts in der Welt hindere ihn mehr an der Ver¬
wirklichung seiner Ideale.

Im lokalen Teil aber erließ ich eine Ansprache „An unsre Leser," die
ich nachstehend abgekürzt wiedergebe.

Nachdem ich mich, meinem Versprechen gemäß, bis zum 21. Februar der
Äußerung meiner eignen Meinung über die politischen Ereignisse im Vaterlands
enthalten habe, trete ich nun wieder hervor und überlasse die Entscheidung dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/576>, abgerufen am 26.06.2024.