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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Buchenbergers Agrarpolitik

Deutschlands zu einem sehr großen Teil die Frucht der Unternehmerthätig¬
keit der Großindustrie und des Großhandels sei und schon zu einer Ver¬
schiebung der Steuerlast zu Gunsten des landwirtschaftlichen Gewerbes geführt
habe. Man sollte sich der Einsicht nicht verschließen, daß ein Reich mit so
rascher Bevölkerungszunahme, wie sie das deutsche Reich seit Jahrzehnten auf¬
weise, der Gefahr, dem Zustande der Übervölkerung zu verfallen, nur durch
diese gewaltige Zunahme industrieller Thätigkeit mit ihrem starken Arbeiter¬
bedarf bis jetzt leidlich entgangen sei, und daß, wenn in einem Reiche wie
Deutschland nicht Jahr für Jahr Hunderttausende der nachwachsenden Generation
zur Auswanderung genötigt werden sollten, eine industrielle Entwicklung nötig
wäre, die diesen Hunderttausenden von Arbeitskräften Beschäftigung im Inlande
böte. "Es ist aber volkswirtschaftlich richtiger und besser, nicht Menschen,
sondern die aus Menschenhand gefertigten Waren zu expvrtiren."

"Diese kräftige Entwicklung auf industriellem Gebiet, fährt Buchenberger
fort, ist zudem weit entfernt, dauernd einen Nachteil für die landwirtschaftlichen
Interessen darzustellen; wie man denn im Süden und Westen von Deutschland,
wo jetzt schon in zahllosen Landgemeinden die Bevölkerung dicht gedrängt sitzt
und gegendenweise die Symptome der Übervölkerung deutlich zu Tage treten,
die Ausdehnung industrieller Thätigkeit viel unbefangner zu würdigen weiß
wie etwa im deutschen Osten. In jenen Gegenden erachtet man es gerade
auch in den bäuerlichen Wirtschaften für einen Gewinn, an einer zahlungs¬
fähigen Arbeiterbevölkerung einen regelmäßigen Abnehmer für die Kleinerzeug¬
nisse der Landwirtschaft: Milch, Butter, Gemüse, Obst zu haben; man schützt
es hoch, daß ein Teil des Familiennachwuchses industrieller Beschäftigung nach¬
zugehen Gelegenheit hat und die Wirtschaftseinnahmen der Familie verbessert;
man erachtet es als ökonomische Wohlthat, wenn der in den übervölkerten
Landgemeinden chronische Landhunger mit der Begleiterscheinung übertrieben
hoher Bodenwerte durch diese Gelegenheit zu industriellem Arbeitsverdienst
gemüßigt, und wenn durch die hierdurch herbeigeführte Entlastung des Grund¬
markts von einem Teil der Nachfrage nach Grund und Boden normalere
Bodenwerte angebahnt werden." Diese großindustrielle Entwicklung sei eine
Thatsache, mit der die deutsche Wirtschaftspolitik nicht weniger zu rechnen
habe als mit den Interessen des landwirtschaftlichen Berufsstands. Zwar
bedürfe die Industrie keiner "staatlichen Subventionen" u. dergl. wie die
Landwirtschaft, aber sie bedürfe "der Erschließung und Offenhaltung aus¬
ländischer Absatzgebiete." Eine Politik, die sich die Erschließung solcher Absatz¬
gebiete in fremden Ländrrn angelegen sein lasse, sei daher nicht fehlerhaft,
sondern durch die Macht der Verhältnisse und die unaufhaltsame Entwicklung
der Produktion geboten. "Am erfolgreichsten aber wird sich diese Politik im
Wege des Abschlusses von Handels- und Zvllverträgen bethätigen, durch die
der Zutritt heimischer Erzeugnisse in fremde Staaten für eine Reihe von


Buchenbergers Agrarpolitik

Deutschlands zu einem sehr großen Teil die Frucht der Unternehmerthätig¬
keit der Großindustrie und des Großhandels sei und schon zu einer Ver¬
schiebung der Steuerlast zu Gunsten des landwirtschaftlichen Gewerbes geführt
habe. Man sollte sich der Einsicht nicht verschließen, daß ein Reich mit so
rascher Bevölkerungszunahme, wie sie das deutsche Reich seit Jahrzehnten auf¬
weise, der Gefahr, dem Zustande der Übervölkerung zu verfallen, nur durch
diese gewaltige Zunahme industrieller Thätigkeit mit ihrem starken Arbeiter¬
bedarf bis jetzt leidlich entgangen sei, und daß, wenn in einem Reiche wie
Deutschland nicht Jahr für Jahr Hunderttausende der nachwachsenden Generation
zur Auswanderung genötigt werden sollten, eine industrielle Entwicklung nötig
wäre, die diesen Hunderttausenden von Arbeitskräften Beschäftigung im Inlande
böte. „Es ist aber volkswirtschaftlich richtiger und besser, nicht Menschen,
sondern die aus Menschenhand gefertigten Waren zu expvrtiren."

„Diese kräftige Entwicklung auf industriellem Gebiet, fährt Buchenberger
fort, ist zudem weit entfernt, dauernd einen Nachteil für die landwirtschaftlichen
Interessen darzustellen; wie man denn im Süden und Westen von Deutschland,
wo jetzt schon in zahllosen Landgemeinden die Bevölkerung dicht gedrängt sitzt
und gegendenweise die Symptome der Übervölkerung deutlich zu Tage treten,
die Ausdehnung industrieller Thätigkeit viel unbefangner zu würdigen weiß
wie etwa im deutschen Osten. In jenen Gegenden erachtet man es gerade
auch in den bäuerlichen Wirtschaften für einen Gewinn, an einer zahlungs¬
fähigen Arbeiterbevölkerung einen regelmäßigen Abnehmer für die Kleinerzeug¬
nisse der Landwirtschaft: Milch, Butter, Gemüse, Obst zu haben; man schützt
es hoch, daß ein Teil des Familiennachwuchses industrieller Beschäftigung nach¬
zugehen Gelegenheit hat und die Wirtschaftseinnahmen der Familie verbessert;
man erachtet es als ökonomische Wohlthat, wenn der in den übervölkerten
Landgemeinden chronische Landhunger mit der Begleiterscheinung übertrieben
hoher Bodenwerte durch diese Gelegenheit zu industriellem Arbeitsverdienst
gemüßigt, und wenn durch die hierdurch herbeigeführte Entlastung des Grund¬
markts von einem Teil der Nachfrage nach Grund und Boden normalere
Bodenwerte angebahnt werden." Diese großindustrielle Entwicklung sei eine
Thatsache, mit der die deutsche Wirtschaftspolitik nicht weniger zu rechnen
habe als mit den Interessen des landwirtschaftlichen Berufsstands. Zwar
bedürfe die Industrie keiner „staatlichen Subventionen" u. dergl. wie die
Landwirtschaft, aber sie bedürfe „der Erschließung und Offenhaltung aus¬
ländischer Absatzgebiete." Eine Politik, die sich die Erschließung solcher Absatz¬
gebiete in fremden Ländrrn angelegen sein lasse, sei daher nicht fehlerhaft,
sondern durch die Macht der Verhältnisse und die unaufhaltsame Entwicklung
der Produktion geboten. „Am erfolgreichsten aber wird sich diese Politik im
Wege des Abschlusses von Handels- und Zvllverträgen bethätigen, durch die
der Zutritt heimischer Erzeugnisse in fremde Staaten für eine Reihe von


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[0570] Buchenbergers Agrarpolitik Deutschlands zu einem sehr großen Teil die Frucht der Unternehmerthätig¬ keit der Großindustrie und des Großhandels sei und schon zu einer Ver¬ schiebung der Steuerlast zu Gunsten des landwirtschaftlichen Gewerbes geführt habe. Man sollte sich der Einsicht nicht verschließen, daß ein Reich mit so rascher Bevölkerungszunahme, wie sie das deutsche Reich seit Jahrzehnten auf¬ weise, der Gefahr, dem Zustande der Übervölkerung zu verfallen, nur durch diese gewaltige Zunahme industrieller Thätigkeit mit ihrem starken Arbeiter¬ bedarf bis jetzt leidlich entgangen sei, und daß, wenn in einem Reiche wie Deutschland nicht Jahr für Jahr Hunderttausende der nachwachsenden Generation zur Auswanderung genötigt werden sollten, eine industrielle Entwicklung nötig wäre, die diesen Hunderttausenden von Arbeitskräften Beschäftigung im Inlande böte. „Es ist aber volkswirtschaftlich richtiger und besser, nicht Menschen, sondern die aus Menschenhand gefertigten Waren zu expvrtiren." „Diese kräftige Entwicklung auf industriellem Gebiet, fährt Buchenberger fort, ist zudem weit entfernt, dauernd einen Nachteil für die landwirtschaftlichen Interessen darzustellen; wie man denn im Süden und Westen von Deutschland, wo jetzt schon in zahllosen Landgemeinden die Bevölkerung dicht gedrängt sitzt und gegendenweise die Symptome der Übervölkerung deutlich zu Tage treten, die Ausdehnung industrieller Thätigkeit viel unbefangner zu würdigen weiß wie etwa im deutschen Osten. In jenen Gegenden erachtet man es gerade auch in den bäuerlichen Wirtschaften für einen Gewinn, an einer zahlungs¬ fähigen Arbeiterbevölkerung einen regelmäßigen Abnehmer für die Kleinerzeug¬ nisse der Landwirtschaft: Milch, Butter, Gemüse, Obst zu haben; man schützt es hoch, daß ein Teil des Familiennachwuchses industrieller Beschäftigung nach¬ zugehen Gelegenheit hat und die Wirtschaftseinnahmen der Familie verbessert; man erachtet es als ökonomische Wohlthat, wenn der in den übervölkerten Landgemeinden chronische Landhunger mit der Begleiterscheinung übertrieben hoher Bodenwerte durch diese Gelegenheit zu industriellem Arbeitsverdienst gemüßigt, und wenn durch die hierdurch herbeigeführte Entlastung des Grund¬ markts von einem Teil der Nachfrage nach Grund und Boden normalere Bodenwerte angebahnt werden." Diese großindustrielle Entwicklung sei eine Thatsache, mit der die deutsche Wirtschaftspolitik nicht weniger zu rechnen habe als mit den Interessen des landwirtschaftlichen Berufsstands. Zwar bedürfe die Industrie keiner „staatlichen Subventionen" u. dergl. wie die Landwirtschaft, aber sie bedürfe „der Erschließung und Offenhaltung aus¬ ländischer Absatzgebiete." Eine Politik, die sich die Erschließung solcher Absatz¬ gebiete in fremden Ländrrn angelegen sein lasse, sei daher nicht fehlerhaft, sondern durch die Macht der Verhältnisse und die unaufhaltsame Entwicklung der Produktion geboten. „Am erfolgreichsten aber wird sich diese Politik im Wege des Abschlusses von Handels- und Zvllverträgen bethätigen, durch die der Zutritt heimischer Erzeugnisse in fremde Staaten für eine Reihe von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/570>, abgerufen am 26.06.2024.