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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Buchenbergers Agrarpolitik

lasse, seien auch in landwirtschaftlichen Kreisen von Anfang an laut geworden.
Jedenfalls sei 1887 ein Sinken der Getreidepreise, wie es sich seit 1892
bemerkbar mache, nicht vorauszusehen gewesen, wie auch nichts der Annahme
entgegenstehe, daß sich das Preisniveau in einigen Jahren wieder heben werde.
Was drittens endlich die Einräumung der gleichen Zollermüßigung für
russisches Getreide anlange, so würde, abgesehen von der Leichtigkeit der
Umgehung eines höhern Zolls durch die Einfuhr über Österreich oder
Rumänien, der auf den Weltmarkt geworfne russische Weizen und Roggen
eine entsprechende Menge dieser Früchte aus den Vertragsstaaten für die Ein¬
fuhr nach Deutschland verfügbar gemacht haben. Selbst russischer Roggen
hätte durch vermehrte Einfuhr aus den Doncinstaaten oder Nordamerika ersetzt
werden können. Aus diesen Gründen sei man im Reichstage seinerzeit nicht
im Zweifel gewesen, daß die Genehmigung des deutsch-russischen Handels¬
vertrags nach erfolgter Genehmigung des deutsch-österreichischen und der andern
Handelsverträge folgerichtig nicht habe versagt werden können.

Ist diese kaum anfechtbare Rechtfertigung 'der Agrarpolitik der Regierung
seit 1890 den extremen Agrariern gerade jetzt in hohem Grade unwillkommen,
so wird in ihren Augen der wahrhaftig hinreichend agrarische Buchenberger
vollends zum Laudwirtschaftsfeiude durch das, was er über "die grundsätzliche
Bekämpfung einer Erneuerung der Haudelsvertragspolitik uach Ablauf der
gegenwärtigen Verträge, gleichviel welches der Inhalt der künftigen Handels¬
verträge sein möge," sagt, über diesen Kampf, der, wie er meint, "gegenwärtig
fast im Zentrum der landwirtschaftlichen Bewegung steht." Er geht dabei aus
von dem wohl unbestreitbaren Satz, daß die Ablehnung jeder Bindung der
landwirtschaftlichen Zollsätze auf eine Reihe vou Jahren in der That jede
Handelsvertragspolitik unmöglich mache, und giebt dann folgende, gerade
heute, angesichts der Flottengesetzvorlage, beherzigenswerte Darlegung der
zukünftigen Gestaltung der deutscheu Handelspolitik. Neben der Landwirt¬
schaft habe sich im Laufe und namentlich im letzten Drittel dieses Jahr¬
hunderts eine Großindustrie kräftig entwickelt, die längst aufgehört habe, nur
für den Jnlcmdsmarkt zu arbeiten, vielmehr eine im großen Stil arbeitende
Exportindustrie geworden sei. Ungeheure Kapitalwerte seien in diesen industriellen
Unternehmen angelegt, Millionen von Angestellten und Arbeitern fanden in
ihnen Unterkommen und Verdienst, die Ausfuhrwerte dieser Industrie näherten
sich der vierten Milliarde. Man könne den Vertretern landwirtschaftlicher
Interessen einräumen, daß diese Entwicklung Deutschlands nach der groß-
industriellen Seite hin mancherlei Schattenseiten gezeitigt habe: Verschiebungen
auf dem Arbeitsmarkt zum Nachteil des flachen Landes, Schaffung einer unzu¬
friednen Fabrikarbeiterbevvlkerung, Verschärfung des Gegensatzes zwischen
Kapital und Arbeit, zwischen Reich und Arm. Aber man sollte doch nicht so
einseitig sein, zu leugnen, daß die von Jahr zu Jahr wachsende Kapitalkraft


Buchenbergers Agrarpolitik

lasse, seien auch in landwirtschaftlichen Kreisen von Anfang an laut geworden.
Jedenfalls sei 1887 ein Sinken der Getreidepreise, wie es sich seit 1892
bemerkbar mache, nicht vorauszusehen gewesen, wie auch nichts der Annahme
entgegenstehe, daß sich das Preisniveau in einigen Jahren wieder heben werde.
Was drittens endlich die Einräumung der gleichen Zollermüßigung für
russisches Getreide anlange, so würde, abgesehen von der Leichtigkeit der
Umgehung eines höhern Zolls durch die Einfuhr über Österreich oder
Rumänien, der auf den Weltmarkt geworfne russische Weizen und Roggen
eine entsprechende Menge dieser Früchte aus den Vertragsstaaten für die Ein¬
fuhr nach Deutschland verfügbar gemacht haben. Selbst russischer Roggen
hätte durch vermehrte Einfuhr aus den Doncinstaaten oder Nordamerika ersetzt
werden können. Aus diesen Gründen sei man im Reichstage seinerzeit nicht
im Zweifel gewesen, daß die Genehmigung des deutsch-russischen Handels¬
vertrags nach erfolgter Genehmigung des deutsch-österreichischen und der andern
Handelsverträge folgerichtig nicht habe versagt werden können.

Ist diese kaum anfechtbare Rechtfertigung 'der Agrarpolitik der Regierung
seit 1890 den extremen Agrariern gerade jetzt in hohem Grade unwillkommen,
so wird in ihren Augen der wahrhaftig hinreichend agrarische Buchenberger
vollends zum Laudwirtschaftsfeiude durch das, was er über „die grundsätzliche
Bekämpfung einer Erneuerung der Haudelsvertragspolitik uach Ablauf der
gegenwärtigen Verträge, gleichviel welches der Inhalt der künftigen Handels¬
verträge sein möge," sagt, über diesen Kampf, der, wie er meint, „gegenwärtig
fast im Zentrum der landwirtschaftlichen Bewegung steht." Er geht dabei aus
von dem wohl unbestreitbaren Satz, daß die Ablehnung jeder Bindung der
landwirtschaftlichen Zollsätze auf eine Reihe vou Jahren in der That jede
Handelsvertragspolitik unmöglich mache, und giebt dann folgende, gerade
heute, angesichts der Flottengesetzvorlage, beherzigenswerte Darlegung der
zukünftigen Gestaltung der deutscheu Handelspolitik. Neben der Landwirt¬
schaft habe sich im Laufe und namentlich im letzten Drittel dieses Jahr¬
hunderts eine Großindustrie kräftig entwickelt, die längst aufgehört habe, nur
für den Jnlcmdsmarkt zu arbeiten, vielmehr eine im großen Stil arbeitende
Exportindustrie geworden sei. Ungeheure Kapitalwerte seien in diesen industriellen
Unternehmen angelegt, Millionen von Angestellten und Arbeitern fanden in
ihnen Unterkommen und Verdienst, die Ausfuhrwerte dieser Industrie näherten
sich der vierten Milliarde. Man könne den Vertretern landwirtschaftlicher
Interessen einräumen, daß diese Entwicklung Deutschlands nach der groß-
industriellen Seite hin mancherlei Schattenseiten gezeitigt habe: Verschiebungen
auf dem Arbeitsmarkt zum Nachteil des flachen Landes, Schaffung einer unzu¬
friednen Fabrikarbeiterbevvlkerung, Verschärfung des Gegensatzes zwischen
Kapital und Arbeit, zwischen Reich und Arm. Aber man sollte doch nicht so
einseitig sein, zu leugnen, daß die von Jahr zu Jahr wachsende Kapitalkraft


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[0569] Buchenbergers Agrarpolitik lasse, seien auch in landwirtschaftlichen Kreisen von Anfang an laut geworden. Jedenfalls sei 1887 ein Sinken der Getreidepreise, wie es sich seit 1892 bemerkbar mache, nicht vorauszusehen gewesen, wie auch nichts der Annahme entgegenstehe, daß sich das Preisniveau in einigen Jahren wieder heben werde. Was drittens endlich die Einräumung der gleichen Zollermüßigung für russisches Getreide anlange, so würde, abgesehen von der Leichtigkeit der Umgehung eines höhern Zolls durch die Einfuhr über Österreich oder Rumänien, der auf den Weltmarkt geworfne russische Weizen und Roggen eine entsprechende Menge dieser Früchte aus den Vertragsstaaten für die Ein¬ fuhr nach Deutschland verfügbar gemacht haben. Selbst russischer Roggen hätte durch vermehrte Einfuhr aus den Doncinstaaten oder Nordamerika ersetzt werden können. Aus diesen Gründen sei man im Reichstage seinerzeit nicht im Zweifel gewesen, daß die Genehmigung des deutsch-russischen Handels¬ vertrags nach erfolgter Genehmigung des deutsch-österreichischen und der andern Handelsverträge folgerichtig nicht habe versagt werden können. Ist diese kaum anfechtbare Rechtfertigung 'der Agrarpolitik der Regierung seit 1890 den extremen Agrariern gerade jetzt in hohem Grade unwillkommen, so wird in ihren Augen der wahrhaftig hinreichend agrarische Buchenberger vollends zum Laudwirtschaftsfeiude durch das, was er über „die grundsätzliche Bekämpfung einer Erneuerung der Haudelsvertragspolitik uach Ablauf der gegenwärtigen Verträge, gleichviel welches der Inhalt der künftigen Handels¬ verträge sein möge," sagt, über diesen Kampf, der, wie er meint, „gegenwärtig fast im Zentrum der landwirtschaftlichen Bewegung steht." Er geht dabei aus von dem wohl unbestreitbaren Satz, daß die Ablehnung jeder Bindung der landwirtschaftlichen Zollsätze auf eine Reihe vou Jahren in der That jede Handelsvertragspolitik unmöglich mache, und giebt dann folgende, gerade heute, angesichts der Flottengesetzvorlage, beherzigenswerte Darlegung der zukünftigen Gestaltung der deutscheu Handelspolitik. Neben der Landwirt¬ schaft habe sich im Laufe und namentlich im letzten Drittel dieses Jahr¬ hunderts eine Großindustrie kräftig entwickelt, die längst aufgehört habe, nur für den Jnlcmdsmarkt zu arbeiten, vielmehr eine im großen Stil arbeitende Exportindustrie geworden sei. Ungeheure Kapitalwerte seien in diesen industriellen Unternehmen angelegt, Millionen von Angestellten und Arbeitern fanden in ihnen Unterkommen und Verdienst, die Ausfuhrwerte dieser Industrie näherten sich der vierten Milliarde. Man könne den Vertretern landwirtschaftlicher Interessen einräumen, daß diese Entwicklung Deutschlands nach der groß- industriellen Seite hin mancherlei Schattenseiten gezeitigt habe: Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt zum Nachteil des flachen Landes, Schaffung einer unzu¬ friednen Fabrikarbeiterbevvlkerung, Verschärfung des Gegensatzes zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Reich und Arm. Aber man sollte doch nicht so einseitig sein, zu leugnen, daß die von Jahr zu Jahr wachsende Kapitalkraft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/569>, abgerufen am 26.06.2024.